
Arzneimittelinnovationen
Fällt den Pharmaunternehmen nichts Neues mehr ein?
Alle neuen Arzneimittel müssen sich seit der Einführung des Arzneimittel-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) einer frühen Nutzenbewertung unterziehen. Im Jahr 2012 hatte das dafür zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 22 neue Wirkstoffe überprüft. Lediglich bei acht von ihnen lautete das Urteil „therapeutisch innovativ“. Ein Anzeichen dafür, dass die forschenden Arzneimittelhersteller nur auf Bewährtes setzen, es weiterentwickeln, dafür aber neue und unsichere Forschungswege erst gar nicht einschlagen?
„Scheininnovation“ haftet nicht erst seit den Bewertungen des IQWiG manch’ einem neuen Wirkstoff an. Doch ist diese herabstufende Bezeichnung tatsächlich gerechtfertigt? Muss sich die Pharmaindustrie noch mehr anstrengen, um endlich wirkungsvollere und wirklich neue Arzneien hervorzubringen?
Innovation schrittweise
Setzt man Innovationen mit Durchbruch gleich, dann ist die Einschätzung, dass nur wenige innovative Wirkstoffe entwickelt werden, richtig. Doch diese Sichtweise lässt gänzlich außer Acht, wie Weiterentwicklungen von Wirkstoffen den tatsächlichen Nutzen einer Therapie deutlich verbessern können. Denn in vielen Fällen retten selbst scheinbar kleine Schritte Menschen das Leben oder verlängern es. Die Lebenserwartung etwa wäre ohne stufenweise Fortschritte beileibe nicht so hoch. Das lässt sich wissenschaftlich belegen.
Der amerikanische Ökonomie-Forscher Frank R. Lichtenberg fand heraus, dass in den USA diejenigen Menschen auf eine höhere Lebenserwartung hoffen dürfen, die in den Genuss neu entwickelter Medikamente kommen. Stufenweise medizinische Innovationen und besonders die Verwendung neuer Arzneien hätten eine große Rolle gespielt, das Leben der Menschen in den Vereinigten Staaten deutlich zu erhöhen. Sein Fazit: „Der beste Weg, um nachhaltige Verbesserungen in Gesundheit, Lebenserwartung und Produktivität zu erreichen, ist es, politische Voraussetzungen zu schaffen, die medizinische Innovationen und neue medizinische Güter und Leistungen fördern.“
Zahlen belegen höhere Lebenserwartung
Neue Medikamente bei der Therapie von etlichen Krankheiten sind Grund für immer bessere Heilungschancen. Das Beispiel Brustkrebs zeigt, wie wirkungsvoll Arzneimittel helfen. Die Anzahl der Neuerkrankten hat sich seit den 80er-Jahren mehr als verdoppelt. 2012 wurde bei 74.000 Frauen Brustkrebs diagnostiziert. Und die Tendenz steigt. Dennoch ist die Überlebenschance für die Betroffenen heutzutage deutlich besser. Bei 50-Jährigen mit dieser Diagnose ist die Chance aufs Überleben doppelt so hoch wie noch bei ihrer Müttergeneration.
Auch bei der Immunschwäche-Krankheit AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) war die Weiterentwicklung von Wirkstoffen Ursache dafür, dass immer weniger mit dem HI-Virus infizierte Menschen einen Ausbruch von AIDS befürchten müssen. Mit Hilfe von unterschiedlichen Medikamenten können Infizierte inzwischen darauf hoffen, bis zu 70 Jahre alt und mehr werden zu können. Die ständige Weiterentwicklung der Anti-AIDS-Mittel hat aus der ehedem in kurzer Zeit tödlich verlaufenden Krankheit eine chronische gemacht.
Auch bei der Behandlung von Hepatitis-C ging es stufenweise mit immer besseren Wirkstoffen voran. Zurzeit sind etwa 500.000 bis 700.000 Menschen mit dem Virus infiziert. Bis zu 30 Prozent von ihnen müssen in der Folge mit einer Leberzirrhose, bis zu 15 Prozent mit der Erkrankung Leberkrebs rechnen. Die Behandlung der Betroffenen hat sich im Laufe der Jahre jedoch kontinuierlich verbessert. Während Mitte der 80er Jahre nur zehn Prozent der mit dem Hepatitis-C-Virus-Infizierten geheilt werden konnten, gilt dies nun für drei Viertel der am Typ 2 oder 3 erkrankten Menschen. Neue Präparate steigern die Heilungsrate bereits jetzt auf bis zu 100 Prozent. Möglich machen dies immer weiter entwickelte Arzneien.
Wie schwierig manchmal die Urteilsfindung zu einem neuen Wirkstoff gerade auch bei dieser Erkrankung sein kann, zeigt das jüngste Beispiel eines neuen Wirkstoffs, der zur Therapie von Hepatitis-C-Patienten angewandt wird. Letztlich beurteilte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach internen Kontroversen das neue Präparat als nutzbringend. Während die Gegner dieser Beurteilung monierten, als Beweis für die Wirksamkeit fehlten Langzeitstudien, überwog für die Befürworter, dass Patienten seither nicht mehr Medikamente mit drastischen Nebenwirkungen zu sich nehmen müssen.
Jeder Schritt ein Fortschritt
Diese Beispiele zeigen, wie nützlich die stetige Weiterentwicklung von Wirkstoffen und Medikamenten ist. Für Erkrankte sind die neuen Arzneien von hohem Wert, auch wenn ihnen manchmal ein „nur geringer oder wenig innovativer Nutzen“ attestiert wird. Ist ein hochwirksames Asthmamittel, was der Patient zukünftig nur einmal statt zweimal am Tag nehmen muss, für ihn eine wichtige Innovation oder nicht? Das IQWiG würde sicher sagen: Nein. Der Patient und sein Arzt würden das vielleicht anders beurteilen. Denn allein schon eine solche Vereinfachung der Therapie oder der Wegfall von gravierenden Nebenwirkungen wie Haarausfall, Übelkeit sowie Depressionen tragen bei Patienten zu einem insgesamt besseren Zustand bei.
Wer die Möglichkeit hat, solche Symptome hinter sich zu lassen, wird bei der Behandlung wohl kaum weiterhin auf ältere Präparate oder Therapiemethoden zurückgreifen. Zwar bringt nicht jeder neue Wirkstoff einen Durchbruch oder eine gänzliche Heilung mit sich. Jedoch kann eine kleinere Innovation, eine „Schrittinnovation“ eben, der richtige und wichtige Schritt in diese Richtung gewesen sein.
Quellen:
Frank R. Lichtenberg: Yes, New Drugs Save Lives, The Washington Post, 2007, July 11th
Robert Koch Institut
(Foto: Tempura/istockfoto.com)
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