In einer Publikation hat ein deutsches Wissenschaftler-Team dargelegt  wie sich Impfverhalten psychologisch erklären  messen und verändern lässt. ©iStock.com/Rallef
In einer Publikation hat ein deutsches Wissenschaftler-Team dargelegt wie sich Impfverhalten psychologisch erklären messen und verändern lässt. ©iStock.com/Rallef

Ein Manifest als Lebensretter

Jedes Jahr sterben weltweit bis zu 650.000 Menschen an den Folgen einer Grippe-Erkrankung, in Europa sind es schätzungsweise 44.000 Menschen. Diese Zahl könnte deutlich geringer ausfallen, wenn genügend Menschen gegen Influenza geimpft wären. Stattdessen gehen die Impfquoten in den meisten europäischen Ländern seit Jahren zurück. Doch das soll sich bald ändern.

Der 24. April 2018 könnte zu einem historischen Datum in der Medizingeschichte werden: An diesem Tag stellt ein Gremium aus medizinischen Experten, Patientenvertretern und politischen Entscheidungsträgern in Brüssel ein „EU Manifest“ vor, das es in sich hat. Auf vier Seiten zeigen die Autoren auf, warum die Influenza-Impfquote bei älteren Menschen europaweit viel zu niedrig ist und wie sie sich in den kommenden Jahren auf 75 Prozent steigern lässt – auf jenen Wert also, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Zielmarke ausgegeben hat. Die Veröffentlichung des „EU Manifesto on Influenza Vaccination“ soll zum Startschuss für eine ganze Reihe von Aktivitäten werden, die am Ende die jährliche Zahl der Grippe-Toten in Europa drastisch reduzieren könnte. 

Die Initiatoren und Unterzeichner des Manifests fordern anlässlich der Europäischen Impfwoche „mehr Maßnahmen zur Erhöhung der saisonalen Influenza-Durchimpfungsraten in Europa, um die Belastungen durch diese Krankheit zu verringern und somit die Gesundheit und Lebensqualität der Bürger zu verbessern.“  Zur Begründung verweist das Manifest nicht nur auf die vielen Todesfälle und die wirtschaftliche Belastung durch diese „lebensbedrohliche Krankheit“, sondern auch auf Faktoren, die in der öffentlichen Diskussion oft untergehen – etwa die „Schlüsselrolle der Grippeimpfung bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen.“ Denn weniger Grippefälle würden auch dazu führen, dass die Ärzte weniger Antibiotika verschreiben, wenn es zum Beispiel in Folge der Influenza-Infektion zu einer bakteriell verursachten Lungenentzündung kommt.

Im Einklang mit Empfehlungen der WHO und des Europäischen Rates fordert das Manifest die EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, alles zu tun, um eine Impfquote von mindestens 75 Prozent zu erreichen. Gelingen könne dies, wenn Organisationen und politische Entscheidungsträger, auch auf kommunaler Ebene, unter anderem folgende Empfehlungen beherzigen und umsetzen:

Anerkennung der Belastungen durch die Krankheit

  • Nationale Influenza-Impfprogramme einführen und umsetzen
  • Alle EU-Länder sollen Epidemiologie, Krankheitslast und Impfraten überwachen und erfassen
  • Die nationalen Influenza-Impfprogramme müssen insbesondere die Bedeutung einer Grippe-Impfung für Risikogruppen berücksichtigen
  • Vor allem Menschen in Gesundheitsberufen müssen dabei unterstützt werden, sich gegen Grippe impfen zu lassen – denn damit geben sie ein positives Beispiel und erfüllen eine ethische Verpflichtung gegenüber ihren Patienten

Vertrauen schaffen und Grippe-Bewusstsein stärken

  • Insbesondere Angehörige der Gesundheitsberufe und Gesundheitsexperten müssen die Bedeutung von Grippe-Impfungen in die öffentliche Diskussion einbringen
  • Außerdem sollte es für diese Berufsgruppe spezielle Schulungsprogramme zu Impfungen geben
  • Risikogruppen müssen besser über die Gefahren informiert werden, die durch eine Grippe-Erkrankung entstehen
  • Es muss im öffentlichen Bewusstsein deutlich werden, dass Influenza-Impfungen auch dazu beitragen, Antibiotikaresistenzen zu verringern

Gute Praxis und Zugang

  • Es muss einen europaweiten Austausch über gute Erfahrungen in der Praxis geben, die dazu beitragen, nationale Impfpläne erfolgreich umzusetzen und die WHO-Ziele zur Grippevorsorge zu erreichen
  • Angehörige der Gesundheitsberufe müssen mehr und besser zusammenarbeiten und sich austauschen – auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Das Ziel dabei: Den Zugang zu Influenza-Impfungen verbessern und das Vertrauen in diese Vorsorgemaßnahme stärken

Wie wichtig das Manifest tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Statistik: Unter allen Ländern in Europa erfüllt lediglich Schottland schon heute die WHO-Vorgaben. Das Land erreicht bei Menschen ab 65 Jahren eine Influenza-Impfquote von 76 Prozent (siehe Grafik). Dahinter folgen Weißrussland, Nordirland und England mit knapp unter 75 Prozent. Bei allen anderen Ländern aber sieht es düster aus: In Spanien liegt die Impfquote bei 56 Prozent, in Frankreich und Italien bei 49 Prozent, in Deutschland bei mageren 37 Prozent. 

Anlass zur Sorge gibt auch die Tatsache, dass die Impfquoten bei älteren Menschen in vielen Ländern seit Jahren zurückgehen: So etwa in Deutschland im Zeitraum 2008/09 bis 2014/15 von 59 auf 37 Prozent, in Frankreich von 63 auf 49 Prozent, in Italien von 66 auf 49 Prozent.

Dennoch stehen die Chancen gut, dass die Forderungen des „EU Manifesto“ tatsächlich gehört und vielleicht auch umgesetzt werden. Denn die Grippe-Saison 2017/18 gehört zu den heftigsten der vergangenen Jahre. Allein in Deutschland erkrankten nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bis zum 10. April knapp 325.000 Menschen an Influenza. 1.287 Menschen starben an den Folgen – 87 Prozent davon waren 60 Jahre oder älter. Die tatsächliche Zahl dürfte noch weitaus höher liegen, da nicht alle Grippefälle ans RKI gemeldet werden. Die Erfahrung lehrt: Nach einer besonders heftigen Grippewelle sind viele Menschen eher bereit, sich impfen zu lassen. Das Manifest könnte diese Bereitschaft noch deutlich verstärken.

Weiterführende Links:

http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(17)33293-2/fulltext

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