Antibiotika-Resistenzen erschweren Behandlung von Durchfallerkrankungen

In den westlichen Ländern ist die Durchfallerkrankung Diarrhö meist nach ein paar Tagen überstanden. Doch in den Entwicklungsländern erleben viele Kinder dadurch nicht einmal ihren fünften Geburtstag: Weltweit sterben deswegen jährlich rund 700.000 unter Fünfjährige. Eine 35 Jahre alte Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Angst vor Antibiotika-Resistenzen erschweren eine Behandlung gerade in Entwicklungsländern.

Mehr als 40 Krankheitserreger können die Diarrhö in den Entwicklungsländern auslösen. Eine lange Liste, die sich noch in Bakterien, Viren oder Parasiten unterteilt. Rotaviren, Cryptosporidium, Shigellen und Enterotoxische Escherichia coli (ETEC) gelten dabei als besonders gefährlich.

Warnung vor unkritischem Antibiotika-Einsatz

„Man braucht eine klare Diagnose“, sagt Prof. Christian Trautwein von der Uniklinik RWTH Aachen. Man müsse sich sicher sein, dass die Infektion bakteriell und nicht viral sei, erklärt der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Er warnt jedoch vor einem unkritischen Einsatz von Antibiotika. Dies kann Resistenzen heraufbeschwören, sobald das Antibiotikum vorzeitig abgesetzt wird, ehe der Keim wirklich abgetötet ist. Zudem können Rückstände von Antibiotika ins Trinkwasser gelangen. Die Angst vor Resistenzen ist in den Entwicklungsländern nicht unbegründet. Dort sind aufgrund der hohen Infektionsraten viele Antibiotika im Umlauf, die jedoch oft falsch dosiert werden.

Gängige Behandlungsmethoden sind heute intravenöse Flüssigkeitstherapie, Elektrolytmischung nach WHO-Vorgabe und Zink. Gegen die Diarrhö verursachenden Rotaviren und Cholera bieten Impfungen den bestmöglichen Schutz. Eine Impfung gegen Rotaviren hilft nur bei Säuglingen, da deren Immunsystem noch ausreichend entwickelt ist. Um Diarrhö besser behandeln zu können, entwickeln US-Forscher zurzeit einen CFTR-Hemmer namens IOWH032. Dieser soll den Zeitraum der Dehydration verkürzen, indem der Fluss der Chloridionen und somit der Wasserverlust im Magen-Darm-Trakt geblockt wird. Die Gesundheitsorganisation PATH hat die Studie in Auftrag gegeben. Finanziert wird sie von der Bill & Melinda Gates-Stiftung. Die Forschung befindet sich in Phase II der klinischen Studien.

WHO will Sterberate bei Kindern bis 2025 senken

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und die WHO wollen die Sterberate von Kindern unter fünf Jahren bei Diarrhö bis zum Jahr 2025 mit dem weltweiten Aktionsplan The integrated Global Action Plan? for Pneumonia and Diarrhoea (GAPPD) auf eine pro 1000 Lebendgeburten senken. Die Diarrhö selbst soll um 75 Prozent gegenüber den Zahlen von 2010 (zehn Prozent der Lebendgeburten) reduziert werden.

1980 lag die Kindersterblichkeit durch Diarrhö weltweit noch bei 4,6 Millionen pro Jahr. Aus dieser Zeit stammt eine Leitlinie der WHO für Ärzte und Beschäftigte im Gesundheitswesen. Demnach sollen Kinder bei Diarrhö nur ein Antibiotikum erhalten, wenn sie als Zeichen einer bakteriellen Infektion Blut im Stuhl haben. Mittlerweile ist dies nicht mehr der einzige Indikator. Die letzte Überarbeitung der Richtlinie hat es laut WHO im Jahr 2010 gegeben. Die Antibiotika-Empfehlung wird fast alle fünf Jahre überprüft, eine Anpassung blieb jedoch bisher aus. „Wir glauben, dass es noch weiterer Nachforschungen bedarf“, sagt Dr. Rajiv Bahl von der WHO, die sich Erkenntnisse von einer neuen länderübergreifenden Studie erhofft. Gesucht werden dafür Kinder, die von einer Behandlung mit Antibiotika ohne einen damit verbundenen Anstieg antimikrobakterieller Resistenzen in ihrer Umgebung profitieren. „Anfang 2016 soll damit begonnen werden, die ersten Kinder für diese Studie einzuschreiben“, erklärt Bahl.

Keine blinde Eigentherapie

Viele der Millionen Menschen, die jährlich aus Industrieländern in tropische Gebiete reisen, versorgen sie sich oftmals im Vorfeld prophylaktisch mit Antibiotika. Kritiker fragen: Warum kann man diese Medikamente als Schutz nicht auch an die Kinder in den Entwicklungsländern ausgeben? „Eine prophylaktische Behandlung würden wir nicht empfehlen“, sagt Dr. Anita Durst vom Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Auch von einer „blinden Eigentherapie“ mit Antibiotika bei Durchfall rät sie ab. Es könnte sich schließlich um ein verschleiertes Symptom von Malaria oder eine Infektion mit Parasiten oder Viren handeln.

„Bei Kleinkindern ist ein Durchfall in mehr als 50 Prozent aller Fälle viral“, erklärt Durst. Eine freigiebige Verteilung von Antibiotika in Afrika ohne vorherige Diagnostik oder klinische Untersuchung sieht sie daher kritisch. „Aufgrund von Unterernährung  sind sie anfälliger dafür, eine Diarrhö nicht zu überleben. Der Einsatz eines Antibiotikums ist nur bei einem kleinen Teil der Diarrhöen wirklich hilfreich (zum Beispiel bei Cholera, Shigellen- oder Amöbenruhr). Bei Diarrhöen anderen Ursprungs können Antibiotika sogar schädlich sein, da sie die Darmflora verändern.”

Der unkritische Einsatz erhöhe außerdem die Gefahr von Resistenzbildungen. Es fehle vor allem in den ländlichen Regionen am Zugang zu den lebensrettenden unterstützenden Maßnahmen der Diarrhöbehandlung (zum Beispiel Elektrolytlösungen, Infusionen, Zinktabletten), an einem funktionierenden Gesundheitssystem mit gut ausgebildeten Mitarbeitern und nicht zuletzt einer aufgeklärten Bevölkerung. „Die Frauen kommen meistens sehr spät mit ihren Kindern. Ihnen fehlt das Bewusstsein, die Gefahrenzeichen zu erkennen und die nächste medizinische Einrichtung ist häufig einen kilometerweiten Fußmarsch entfernt”, sagt Durst.

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