Was für Erwachsene meist nur eine unangenehme Krankheit darstellt  kann für Kleinkinder im Extremfall tödlich enden: Der Keuchhusten ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Foto: CC0 (Stencil)
Was für Erwachsene meist nur eine unangenehme Krankheit darstellt kann für Kleinkinder im Extremfall tödlich enden: Der Keuchhusten ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Foto: CC0 (Stencil)

Zu wenig Erwachsene lassen sich impfen

Was für Erwachsene meist nur eine unangenehme Krankheit darstellt, kann für Kleinkinder im Extremfall tödlich enden: Der Keuchhusten ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Dabei wären die hohen Infektionsraten der letzten Zeit leicht vermeidbar - durch bewussteres Nach-Impfen im Erwachsenenalter.

In den Grundlagen-Impfungen G1 bis G4, die hierzulande fast alle Säuglinge im Lauf des ersten Lebensjahr erhalten, ist er standardmäßig mit enthalten: der Impfstoff gegen  Bordetella pertussis – das Bakterium, das in den allermeisten Fällen für den Ausbruch des Keuchhustens verantwortlich ist. Die Impfung dagegen erfolgt aus gutem Grund: Für Kleinkinder kann die tückische Krankheit tödlich enden, wenn sie nicht durch Prävention vermieden oder sehr schnell nach Ausbruch exakt behandelt wird. Noch in den 1930-er Jahren hatte – vor der Verfügbarkeit einer wirksamen Schutzimpfung – die ansteckende Krankheit nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) rund 10.000 Säuglinge pro Jahr das Leben gekostet. Die flächendeckende Impfung im Kleinkindalter hat das Auftreten der Krankheit seither um fast 97 Prozent reduziert.

Von einer vollständigen Ausrottung jedoch kann keine Rede sein: Drei Babys sind 2016 in Deutschland an Keuchhusten gestorben, für mehr als 22.000 Menschen wurde dem RKI eine Infektion gemeldet – mehr als je zuvor seit Einführung der Pflichtmeldung 2013. Nach Meinung von Wiebke Hellenbrand ist eine Besserung auch nicht in Sicht. Schuld daran sind für die Infektionsspezialistin am RKI zum einen ein tückisches medizinisches Faktum – und zum anderen eine menschliche (Fehl-)Verhaltensweise.

Klar erwiesen ist nach den Erkenntnissen der RKI-Forscher längst, dass der Keuchhusten eben nicht eine der „typischen“ Infektionskrankheiten ist, die – einmal durchgestanden – zu einer lebenslangen Immunisierung führt. Daher gibt es auch keine dauerhafte Prävention: Die regelmäßige Auffrischung der Schutzimpfung ist zwingend erforderlich, wenn man auch im Erwachsenenalter sich selbst und seine Umgebung zuverlässig vor einer Keuchhusten-Infektion schützen will. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt eine Auffrischung des Pertussis-Schutzes im Abstand von maximal zehn Jahren – gemeinsam mit der Impfung gegen Diphterie und Tetanus.

Genau das aber wissen entweder viele Erwachsene nicht – oder wollen es nicht wissen: Die Keuchhusten-Impfraten, die bei Kleinkindern fast 100 Prozent und im Grundschulalter in allen Bundesländern immerhin noch 90 bis 95 Prozent betragen, sinken mit zunehmendem Alter dramatisch. Junge Erwachsene zwischen 20 und 35 Jahren sind nur noch zu rund einem Drittel wirksam gegen Keuchhusten geimpft – obwohl sie in diesem Alter am häufigsten Eltern werden. Bei Erwachsenen über 40 Jahren sinkt die Rate auf weniger als ein Viertel. Die Impfung gegen die „Kinderkrankheit“ halten die meisten für schlichtweg überflüssig – häufig auch diejenigen, die aus medizinischen oder erzieherischen Gründen ständig mit Kleinkindern zu tun haben.

„Impfgegner sind Trittbrettfahrer. Sie können sich ihren Hokuspokus nur leisten, weil jene überwiegende Mehrheit, die sie verachten, geimpft ist. Würden die Impfgegner alle gemeinsam ungeimpft … in einem eigenen Staat zusammenleben, wären viele von ihnen längst tot.“ So hart hat der SPIEGEL im Dezember 2016 die Kritik an der verbreiteten Impfmüdigkeit in Deutschland formuliert.  Diese hat gerade in den letzten zehn, fünfzehn Jahren immer mehr an Raum gewonnen hat – vorzugsweise unter den Zielgruppen mit hohen Bildungsabschlüssen und fatalerweise auch innerhalb des medizinischen Personals.

Ob Grippe, Keuchhusten, Masern oder andere epidemische Krankheiten: Die Ausrottung all dieser Menschheits-Übel, gegen die es längst wirksame Impfstoffe mit erwiesenermaßen geringen Nebenwirkungs-Risiken gibt, scheitert in Deutschland nicht an der Verfügbarkeit präventiver Gegenmittel. Sie scheitert an der Tatsache, dass sehr viele Menschen diese Krankheiten nicht als Gefahr ernstnehmen – vor allem nicht als Gefahr für sich selbst. Es ist ähnlich wie mit Kriegen, Erdbeben oder Hungersnöten: Wer nie persönlich oder durch eindringliche Schilderungen naher Verwandter oder Freunde „aus erster Hand“ Bekanntschaft mit solchen Gefahrensituationen gemacht hat, weiß zwar, dass sie existieren – aber eben immer nur für andere, nicht für den „Unbetroffenen“ selbst.

Beim machtlosen Lamentieren gegen diese ebenso bedauernswerte wie längst bekannte Tatsache will es eine Gruppe meist jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mehr bewenden lassen, die bis dato kaum in den Kampf gegen abnehmende Impfraten einbezogen waren: die Psychologen. So setzt sich Dr. Cornelia Betsch,  Summa-cum-laude-Absolventin aus Heidelberg, schon seit fünf Jahren am Institut für Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Universität Erfurt mit dem Thema „Impfmüdigkeit und ihre sozialpsychologischen Hintergründe“ auseinander.

Die kleine Erfurter Forschungsgruppe hat sich europaweit bereits einen guten Ruf erarbeitet – so gut, dass sie inzwischen im europäischen Beratungsgremium der WHO zum Thema Impfung mitwirken und mit den Bundesoberbehörden RKI und PEI (Paul Ehrlich-Institut) eng zusammenarbeiten. Im Januar 2017 ist ein neues DFG-Projekt gestartet, in dessen Rahmen die Universität und das PEI gemeinsam die Risikowahrnehmung bei Impfungen untersuchen. Besonderes Augenmerk soll dabei finden, welche Rolle die zahlreichen Einzelfall-Berichte im Internet für die Bewusstseinsbildung weiter Bevölkerungskreise spielen, wenn es um Skepsis oder gar Ablehnung von Impfungen geht.

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