Auf dem Hauptstadtkongress erneuerte Prof. Dr. Jochen Maas von Sanofi-Aventis die Forderung der Industrie nach besseren Forschungsbedingungen bei Antibiotika. Foto: © Pharma Fakten
Auf dem Hauptstadtkongress erneuerte Prof. Dr. Jochen Maas von Sanofi-Aventis die Forderung der Industrie nach besseren Forschungsbedingungen bei Antibiotika. Foto: © Pharma Fakten

Die Entwicklung neuer Antibiotika muss attraktiver werden

Pro Jahr sterben aktuell etwa 25.000 Menschen in Europa an multiresistenten Erregern. Im Jahr 2050 könnten es laut Prognosen von Experten fast 400.000 sein. Antibiotika – einst die Wunderwaffe der Medizin im Kampf gegen bakterielle Infektionen – drohen zunehmend ihre Wirksamkeit zu verlieren. Der Bedarf an neuen Entwicklungen ist groß; doch das ist einfacher gesagt als getan. „Wir brauchen neue Wege, die Antibiotikaforschung zu bestreiten […] und wir brauchen zweitens auch neue Anreize, um Antibiotikaforschung für alle attraktiv zu machen“, forderte Prof. Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Sanofi-Aventis, auf dem Hauptstadtkongress in Berlin.

700 bis 800 Tonnen Antibiotika – So viele werden hierzulande jährlich in der Humanmedizin eingesetzt. Das ist eine Menge; doch wir gehören zu den europäischen Ländern, in denen der Verbrauch noch vergleichsweise niedrig ist. Laut eines aktuellen Berichts des „European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)“, in dem 30 europäische Länder verglichen wurden, liegt die Zahl der täglichen Verordnungen im Schnitt bei 21,9 definierten Tagesdosen DDD pro 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 14,6. Ein Grund zur Freude ist das nicht: Denn wie das ECDC feststellte, gab es in den letzten zwei Jahrzehnten kaum Veränderungen im Antibiotikaverbrauch; in vielen Ländern – auch bei uns – stieg er sogar weiter an; trotz Aufklärungskampagnen.

Resistenzen sind weiter auf dem Vormarsch. Dass Bakterien resistent werden, ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. So spielt die Evolution: Dasjenige Bakterium, das sich den gegebenen Rahmenbedingungen am besten anpasst, überlebt. Doch ein übermäßiger und vor allem nicht sachgemäßer Gebrauch von Antibiotika fördert die Bildung von Resistenzen – die Medikamente werden unwirksam. „Die Antibiotikaresistenz ist ein echtes Damoklesschwert, das unsere Gesundheitsversorgung ins Mittelalter zurückversetzen könnte”, erklärte erst kürzlich Françoise Grossetête, Abgeordnete im Europäischen Parlament.

„We can close the book on infectious diseases”

Foto: © Pharma Fakten
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Es muss gehandelt werden – will man verhindern, dass schon einfache bakterielle Infektionen zu einer tödlichen Gefahr werden. Eine Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) mit 1.000 ab 15-Jährigen hatte gezeigt: Fast 60 Prozent wissen nicht, dass Antibiotika nur gegen bakterielle Infektionen wirken – und nicht gegen Viren. Allzu oft kommen sie z.B. bei einer viralen Grippe zum Einsatz, daher ist weitere Aufklärung notwendig. Und gerade auch in Sachen Grippe gibt es Präventionsmöglichkeiten: So schützt eine Impfung nicht nur vor der Erkrankung; sie schützt damit auch vor einem unnötigen Gebrauch der Antibiotika. Darauf wies Prof. Dr. Maas von Sanofi-Aventis in Berlin hin.

Für viele bakterielle Infektionen ist das Fehlen von Antibiotika jedoch undenkbar. Aktuell werden laut Maas 21 verschiedene Antibiotika-Klassen angewendet. 82 Antibiotika sind in Deutschland zugelassen. Allerdings: Nach einem „Golden Age“ (1940 – 1960) ist über die letzten Jahrzehnte die Zahl der Neuzulassungen in diesem Bereich stark gesunken. Wirklich neue Strukturen, also neuartige Wirkstoffklassen, gab es kaum. Maas erklärt das mit Blick auf die Zeit von 1995 bis 2000 so: „Man hatte tatsächlich das Gefühl: Die Infektionskrankheiten haben wir im Griff.“ So hätten sogar namhafte Wissenschaftler erklärt: „We can close the book on infectious diseases.“ Und auch die Pharmaindustrie konzentrierte ihre Forschungsbemühungen auf andere Bereiche wie chronische Erkrankungen.

Herausforderung: Antibiotikaforschung

Inzwischen tut sich wieder was in der Forschung. 30 neue Antibiotika sind laut Maas derzeit bei verschiedenen Unternehmen in der Entwicklung, darunter auch neue Strukturen – allerdings nicht allzu viele. Doch warum tut sich die Forschung in diesem Bereich so schwer? 

  • Zum einen ist es laut Maas gar nicht so leicht, neue Antibiotikaklassen zu finden. „Letztendlich müssen sie etwas finden, was bakterielle Prozesse stört […], aber die humanen Prozesse nicht beeinflusst“, erklärt er.
  • Zum anderen sei die Entwicklung schwierig, „solange wir relativ restriktive Voraussetzungen haben“. Ein Beispiel: Ein neues Arzneimittel wird im Rahmen des sog. AMNOG-Verfahrens auf seinen Zusatznutzen gegenüber einer bereits auf den Markt befindlichen Therapie untersucht. „Man sollte in der Entwicklung immer zeigen, dass ein Arzneimittel besser ist als ein anderes.“ Maas hinterfragt dieses Verfahren für den Bereich der Antibiotika: In diesem Fall „würde es ausreichen zu zeigen, dass ein Arzneimittel ‚anders‘ ist als ein anderes. Es muss nicht besser sein […]. Wenn es gleich gut ist, aber ein anderes Resistenzspektrum zeigt, kann es trotzdem ein extrem wertvolles Arzneimittel sein.“
  • Und: „Der wirtschaftliche Wert eines neuen Arzneimittels kann tatsächlich gegen Null gehen.“ Er verweist auf die sog. Reserveantibiotika: Sie sind als Vorrat für den äußersten Notfall gedacht und sollen möglichst selten eingesetzt werden. „Wenn Sie mir jetzt ein Geschäftsmodell nennen, wo Sie mit möglichst wenig Verkauf Profit machen, dann haben Sie die 100-Millionen-Dollar-Frage beantwortet.“ Hinzu kommt: Über 99 Prozent neuer Forschungsansätze im Bereich der Antibiotika schaffen es nicht zum Markt. „Wir liegen im Moment deutlich über eine Milliarde Euro für ein neues Antibiotikum“, erklärt Maas die Entwicklungskosten*.
Foto: © WISO / Schmidt-Dominé
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Neue Wege der Zusammenarbeit finden und Anreize schaffen

Der Sanofi-Vertreter sieht daher neue Wege in der Antibiotikaforschung nötig: „Wir müssen Universitäten, kleine Biotech-Unternehmen, Big Pharma viel enger zusammenbringen […], denn nur so, werden wir in der Lage sein, dieses Problem der resistenten Bakterien tatsächlich am Ende in den Griff zu bekommen.” Sowohl er als auch Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), fordern neue Anreize, die die Antibiotikaforschung attraktiv machen. Maas wünscht sich u.a. eine verbesserte Kollaboration zwischen akademischer und industrieller Forschung – inklusive öffentlicher Forschungsgelder und einfacheren Entwicklungsbedingungen.

Die Preise von Reserveantibiotika sollten die Herausforderung, nur für eine kleine Menge an Patienten zu produzieren, widerspiegeln dürfen. Zudem könnten verlängerte Patentlaufzeiten einen Anreiz darstellen. „Ich bin hundertprozentig überzeugt: Wir brauchen intensive Forschung im Bereich Antibiotika“, resümiert Maas.

* unter Berücksichtigung der Verlustrate

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