Seit dem Jahr 2014 wurden in Deutschland 365 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen eingeführt; eines davon gegen Achondroplasie, eine Krankheit, die beim Start von Pharma Fakten lediglich symptomatisch behandelt werden konnte. Sie ist genetisch bedingt und führt zu Kleinwuchs. Im Jahr 2021 kam die Wende: Mit dem Wirkstoff Vosoritid konnte ein Peptid so modifiziert werden, dass es das Knochenwachstum stimuliert. Mit Erfolg: In klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die behandelten Kinder 1,57 cm pro Jahr mehr wachsen als diejenigen, die ein Placebo erhielten.
Seltene Erkrankungen: Arzneimittelinnovationen bringen die Wende
Das Arzneimittel ist eines von rund 230, die in der EU aktuell eine Zulassung zur Behandlung einer seltenen Erkrankung hat. Die Zahl zeigt: Es hat sich viel getan in diesem Bereich. Sie zeigt auch: Geht es in diesem Tempo weiter, wird es mehr als 100 Jahre dauern, um für alle der geschätzten 6.000 bis 8.000 Erkrankung eine Therapie zu entwickeln. Aber: In den vergangenen Jahren war jedes 3. in Deutschland neu verfügbare Arzneimittel ein Orphan Drug. Der Innovationsmotor brummt laut und vernehmlich – es geht voran.
Auch die Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine „Seltene“; 2017 schrieben wir: „Es ist eine Krankheit mit verheerenden Folgen – ein Gendefekt raubt Kleinkindern die Chance auf Leben und ihren Eltern jede Hoffnung.“ Denn er führt zu Muskelschwäche; unbehandelt erreichen viele Kinder das 2. Lebensjahr nicht. Auch hier war eine Arzneimittelinnovation die Wende – erstmals konnte die Genanomalie kausal behandelt werden. Heute stehen 3 Medikamente zur Verfügung, darunter eine Gentherapie: Arzneimittelforschung mit dem Ziel, schweren Erkrankungen den Schrecken zu nehmen.
Ein Fokus in der Pharmaforschung: Krebs
Das größte Forschungsgebiet der Pharmaindustrie ist die Onkologie – in keine Indikation stecken die Unternehmen mehr Ressourcen. Das ist angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Krebsfälle in den kommenden Jahren stark steigen wird, eine nachvollziehbare Strategie. Knapp 200 auf neuen Wirkansätzen beruhende Arzneimittel sind seit 2014, als Pharma Fakten startete, für Patient:innen verfügbar. Darunter sind die seit 2018 zugelassenen CAR-T-Therapien gegen einige Blutkrebsarten, die „die Hämatoonkologie revolutioniert haben“, wie das die Münchner Expertin Professor Marion Subklewe ausdrückt. Sie haben vielen Menschen, bei denen schließlich alle Behandlungspfade versagt hatten, neue Horizonte eröffnet; sie haben das Potenzial, einzelne Krebsarten zu heilen.
Gerade in der Onkologie hat sich im vergangenen Jahrzehnt viel getan:
- Beispiel Lungenkrebs: Der Kölner Krebsexperte Professor Jürgen Wolf sieht „einen sensationellen Fortschritt. Früher wurde zur Therapie in den fortgeschrittenen Stadien maßgeblich die Chemotherapie eingesetzt. Das brachte ein medianes Überleben von rund 10 bis 12 Monaten. Heute sehen wir bei Menschen mit gestreutem Krebs Überlebenszeiten von 5, 7 und mehr Jahren. Wir haben jetzt schon Patienten mit metastasiertem Lungenkrebs, die 10 Jahre leben und das mit 2 Tabletten am Tag.“
- Beispiel Schwarzer Hautkrebs: „Vor rund zehn Jahren lag die Überlebensrate eher bei null“, erklärte uns Dr. Holger Krönig, vom forschenden Unternehmen Bristol Myers Squibb. Was für ein Unterschied zu heute; das Onko-Internetportal der Deutschen Krebsgesellschaft schreibt, dass „nahezu 100 Prozent der Patienten mit Melanom das erste Jahr nach der Diagnose überleben und nach fünf Jahren noch immer 93 Prozent der Männer und 96 Prozent der Frauen am Leben sind – bei einer Erkrankung, die früher im metastasierten Zustand oft schon wenige Monate nach der Diagnose zum Tode geführt hatte.“
- Insgesamt gelingt es der Medizin, die Sterblichkeit bei Krebs trotz steigender Fälle zu reduzieren – dies zeigen zahlreiche Studien. „Das Risiko, an einer Krebserkrankung zu sterben, ist in den USA zwischen 1991 und 2020 um 33 Prozent zurückgegangen. Insgesamt konnten dadurch geschätzte 3,8 Millionen Todesfälle verhindert werden. Dieser Fortschritt spiegelt zunehmend die Fortschritte in der Behandlung wider.“
Hepatitis C: Arzneimittel eliminiert Virus
2014 – das war das Jahr, in dem viele Hepatitis-C-Patient:innen mit dem Therapiebeginn abwarteten, denn die Nachricht, dass eine neue Generation antiviraler Arzneimittel kurz vor der Zulassung stand, hatte die Runde gemacht. Heute stehen der Medizin Therapien zur Verfügung, mit denen fast alle Betroffenen nach 8 bis 12 Wochen virusfrei und damit geheilt sind. Wer heute eine HCV-Infektion nach dem Therapiestandard von vor 2014 behandeln würde, würde einen Behandlungsfehler begehen. Und ganz nebenbei hat die pharmazeutische Forschung damit die Voraussetzungen geschaffen, eine Krankheit weltweit komplett eliminieren zu können.
Mit Gentherapien die Grenzen der Medizin sprengen
Große Hoffnungen ruhen auf Gentherapien; sie werden die Medizin in den kommenden Jahren stark verändern; werden die Grenzen der Medizin sprengen. Eine Gentherapie zur Behandlung von Hämophilie A und B? „Durchbrüche“ seien das, so die behandelnden Mediziner:innen. Seit Ende des Jahres ist in Europa auch das erste Arzneimittel auf Basis der Genschere CRISPR/CAS9 zugelassen – gegen die bisher nur schwer zu behandelnden Erkrankungen Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie. Weil die Genschere spezifische DNA-Sequenzen präzise schneiden kann, hat sie das Potenzial, viele genetische Krankheiten zu heilen. Ein Medikament auf Basis der CRISPR/CAS9-Technologie ist schlicht eine medizinische Revolution – und eine große Hoffnung gerade für die genetische Erkrankungen.
Die Pandemie als „Role Model“, was alles geht
Was pharmazeutische Forschung kann, wurde während der Sars-CoV-2-Pandemie deutlich. In Rekordzeit gelang es, antivirale Arzneimittel zur Verfügung zu stellen. Und noch nie in der Geschichte waren Impfstoffe so schnell verfügbar. Gleichzeitig war die Pandemie der Startschuss für Impfstoffe, die auf der mRNA-Technologie beruhen und „der Biologie auf die Sprünge helfen“. Und so wurde die Pandemie ein „Role Model“ dafür, was alles geht, wenn die Not und der Wille zur Kooperation groß sind (s. „Coronavirus als Innovationstreiber“).
Als Pharma Fakten das erste Mal über die Viruserkrankung berichtete (Februar 2020), waren in Deutschland gerade mal 18 infizierte Menschen registriert. Die Bilanz heute: 183.799 sind an oder mit einer COVID-19-Infektion gestorben, wie der Infektionsradar des Bundes registriert – allein in der vergangenen Woche waren es 71 Menschen (Stand: 1.9.2024) Deutschland ist dabei noch vergleichsweise gut weggekommen, aber Tatsache ist, dass ohne die schnelle Entwicklung von Arzneimitteln und Impfstoffen die Bilanz der Pandemie eine verheerendere gewesen wäre. Das London Imperial College hatte 2022 ausgerechnet, dass die frühe Verfügbarkeit der COVID-Impfstoffe weltweit rund 20 Millionen Menschen das Leben gerettet hat.
Neue Impfstoffe: Vor Krankheiten schützen bevor sie entstehen
Überhaupt Impfstoffe: Auch in Sachen Primärprävention hat sich in den vergangenen Jahren Vieles getan. So gibt es nun RSV-Impfstoffe (RS-Virus steht für respiratorisches Synzytialvirus), die insbesondere für junge Säuglinge, ältere Erwachsene sowie chronisch Kranke vor (lebens-)gefährlichen Folgen dieser Infektion schützen können. Ebenfalls verfügbar sind Impfstoffe gegen Malaria und das Dengue-Fieber („Die Klimakrise sorgt dafür, dass sich die Mücke auch in unseren Breiten zunehmend wohler fühlt“). Nur den HIV-Forschenden war kein Glück beschert. Bisher sind alle Versuche gescheitert, die HIV-Epidemie per Vakzine einzudämmen. Dafür macht jetzt ein antivirales Arzneimittel in dieser Indikation Furore: Damit ist es erstmals gelungen, 100 Prozent der an der Studie teilnehmenden Frauen vor einer Infektion zu schützen. 100 Prozent? Das könnte die weitere Forschung an HIV-Impfstoffen obsolet machen. Ist das der „Gamechanger“, um das Ziel der Eliminierung der Krankheit zu erreichen?
Die Limitation dieses Artikels? Es konnte nicht alles aufgenommen werden, was sich in den vergangenen 10 Jahren in der Arzneimittelforschung getan hat. Eine Prophylaxe gegen schwere Migräne? Entsprechende Antikörper wurden entwickelt und sind für die Betroffenen verfügbar. Selbst bei der Alzheimer-Demenz tut sich endlich etwas mit Therapiekonzepten, die die Wurzel der Erkrankung angreifen.
Arzneimittelforschung: Der medizinische Fortschritt auf der Überholspur
Die Arzneimittelforschung sorgt dafür, dass Menschen mit schweren Erkrankungen immer besser behandelt werden können. Ob es Pharma Fakten in 10 Jahren noch geben wird, steht in den Sternen. Sicher ist aber, dass sich die Art und Weise, wie die Medizin Erkrankungen behandeln, eindämmen oder heilen wird, noch einmal deutlich verbessern wird. Der medizinische Fortschritt ist auf der Überholspur. Daran besteht kein Zweifel.
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