Nach drei Jahren Krebstherapie schien es, als ginge es mit Walter Bumes zu Ende. Im Frühjahr 2018 war bei ihm ein B-Zell-Lymphom im rechten Oberschenkel entdeckt worden. Es folgte eine Chemotherapie, die zunächst gut wirkte. Der Tumor verschwand und „ich hatte drei Jahre Ruhe“, so Bumes heute. Danach aber kehrte das Lymphom zurück. Bumes erhielt eine Stammzellen-Transplantation, nahm 20 Kilo ab – doch der Tumor blieb. Im Fernsehen sah er zu dieser Zeit einen Bericht über eine Krebsbehandlung mit CAR-T-Zellen. „Da hab ich gedacht, das will ich auch“, erzählt er im Hörsaal 4 des Klinikums München-Großhadern. Und tatsächlich sprach er mit seinen behandelnden Ärzten dort Ende 2021 zum ersten Mal darüber, ob diese neue Therapieform für ihn in Frage käme.
Er hatte Glück – die Untersuchungen zeigten, dass er tatsächlich für diese Krebsbehandlung geeignet war, die es seit 2019 in Großhadern gibt. Im Mai 2022 wurde ihm Blut entnommen. Anschließend wurden aus dem Blut spezielle Immunzellen, die so genannten T-Zellen, isoliert, vermehrt und getestet. Währenddessen erhielt Walter Bumes eine vorbereitende, dreitägige Chemotherapie, die sein Immunsystem vorübergehend herunterfuhr. Dann erhielt er seine T-Zellen per Infusion zurück. Im Idealfall wäre er dadurch sehr schnell geheilt worden.
Doch ganz so einfach war es bei dem 59-Jährigen nicht. Er litt unter einer Nebenwirkung, die bei einer CAR-T-Zelltherapie häufiger vorkommt, dem Cytokine-Release-Syndrom, kurz CRS. Hinzu kamen neurologische Veränderungen, die dazu führten, so Bumes „dass ich zwei Wochen im Land der Träume war – ich sah Lichtbogen über der Türschwelle, meine Finger leuchteten mal blau, mal grün“ – bizarre Erscheinungen, die sich unheimlich real anfühlten. Das Gute daran, so erklärt es der behandelnde Oberarzt Dr. Veit Bücklein: „Diese neurologische Komplikation ist komplett rückläufig, sie verschwindet also wieder.“
Wieder gesund nach vier Wochen
Tatsächlich fühlte sich Walter Bumes nach vier Wochen vollkommen gesund. Die Lichtbögen waren weg und vor allem: „Das Lymphom war nicht mehr nachweisbar“, so Bumes, „ich habe heute wieder die gleiche 50-Stunden-Arbeitswoche wie vor meiner Erkrankung“. Geblieben seien einzig kleinere Probleme mit dem Oberschenkel-Muskel, „ansonsten geht es mir wunderbar.“ Und sein Arzt Veit Bücklein sagt: „Die Rezidiv-Wahrscheinlichkeit bei Herrn Bumes ist sehr gering. Er ist geheilt.“
Solche Erfolgsgeschichten könnte es in Zukunft in Deutschland noch viel häufiger geben. Die Aussichten dafür sind aus wissenschaftlicher Sicht exzellent. Es könnte aber auch sein, dass es der CAR-T-Zelltherapie hierzulande ergeht wie einem Hürdenläufer, der eine hohe Betonwand überspringen soll und daran scheitert – die Gründe dafür sind bürokratischer Natur.
Mit den wissenschaftlichen Aspekten setzte sich bei der Veranstaltung im Klinikum Großhadern Prof. Dr. Marion Subklewe auseinander, Leiterin des CAR-T-Zell-Programms des LMU Klinikums München. Sie sagt: „Wir heilen Patienten, die vorher keine Therapie-Option mehr hatten. Das ist mehr als ein Zukunftsversprechen. Es ist ein Gamechanger für die Patienten, die wir heilen.“ Ein Zukunftsversprechen sei es jedoch für eine wachsende Zahl von Erkrankungen. „Es werden immer mehr CAR-T-Zellprodukte zugelassen“ so Subklewe – bislang jedoch vor allem gegen verschiedene Lymphom-Arten und akute Leukämien. Zudem werde die Behandlung künftig immer einfacher. „Die Prozedur der Blutentnahme hat bisher zwei bis drei Stunden gedauert, in denen die Patienten still liegen mussten – was gerade für Kinder schwierig ist“, erklärt Subklewe. Inzwischen werde daran gearbeitet, eine ganz normale Blutentnahme zu ermöglichen.
„Wir stehen erst am Anfang“
Was die Studien angehe, so habe sich gezeigt, dass eine Behandlung mit CAR-T-Zellen auch für ältere Patienten über 70 gut verträglich ist. In den USA erfolgt sie ambulant, die Menschen können nach 6 Stunden Behandlungszeit nach Hause gehen. Das Beste jedoch sei dies: „Wir stehen erst am Anfang. Die CAR-T-Zelltherapie wird sich für viele Krebserkrankungen entwickeln. Und sie wird auch jenseits von Krebs zum Einsatz kommen, etwa bei Multipler Sklerose, Auto-Immunerkrankungen, schweren Infektions-Erkrankungen oder HIV.“ Derzeit laufen in China 709 CAR-T-Zell-Studien, in den USA 523. In der EU sind es nur 153 Studien, die meisten davon in Spanien. Deutschland liege hier weit hinten, was viel mit mangelnder Forschungsförderung zu tun habe. Und auch damit, dass es zu wenig Wertschätzung für Wissenschaftler*innen gebe, die an klinischen Studien arbeiteten. „Das bringt nicht viel für die Karriere“, meint Subklewe, „dabei brauchen wir Menschen, die sich begeistern.“
„Es ist frustrierend, zu sehen, wie die USA, China und auch Spanien an uns vorbeigezogen sind“, ergänzt Prof. Dr. Dr. Michael von Bergwelt, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III in Großhadern, „und die Kluft wird immer größer. Dabei haben wir gerade in Bayern mit seinen Biotech- und Pharmastandorten eine starke Grundlagenforschung. Umso unverständlicher ist diese Kluft. Denn dort, wo man uns lässt, sind wir wirklich gut.“ Der Grund, weshalb Deutschland so stark im Hintertreffen sei, habe viel mit Bürokratie zu tun.
Dazu ein konkretes Beispiel: Die Forschenden in Großhadern wollten eine Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum eingehen – es dauerte geschlagene vier Jahre, bis der entsprechende Vertrag abgesegnet und geschlossen war. Immerhin, so war von Ministeriumsmitarbeitenden im Publikum zu hören, „wird es bald einen bundesweiten Mustervertrag geben für akademische klinische Studien.“
Doch das alleine dürfte nicht reichen. Auch anderswo müssen bürokratische Verfahren abgekürzt und vereinfacht werden, damit die CAR-T-Zelltherapie tatsächlich eine Zukunft hat. Beispiel Kostenübernahme. Da ein CAR-T-Zellprodukt derzeit noch mehrere hunderttausend Euro kostet, „müssen wir eine Kostenübernahme erwirken, bevor wir die Therapie beginnen können“, so Veit Bücklein, „dafür müssen wir eine Checkliste ausfüllen und viele, viele Dokumente zusammentragen, von A wie Arztbrief bis Z wie Zusammenstellung aller Befunde.“ Das Einzelkostenübernahmeantragsverfahren, ja, es heißt wirklich so, könne sich hinziehen, berichtet Grit Soyka, aus dem Referat Leistungsmanagement des LMU Klinikums. Bei großen gesetzlichen Krankenkassen gehe es oft zügig, kleinere gesetzliche und private Kassen haben oft Rückfragen oder brauchen ergänzende Unterlagen. Marion Subklewe ergänzt: „Wir arbeiten mit zugelassenen Produkten – ich verstehe nicht, weshalb ich für ein zugelassenes Produkt jedes Mal einen Einzelfallantrag stellen muss.“ Die Erstattungsprozesse sind nach ihrer Überzeugung derzeit „ein Instrument, um den Fortschritt zu erschweren.“
Anforderungen aus „Absurdistan“
Das ist aber längst nicht alles. Auch der G-BA, der gemeinsame Bundesausschuss (das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen) stellt Anforderungen, von denen manche kaum zu erfüllen sind. So sieht die 37 Seiten starke Anlage zur 17-seitigen ATMP-Qualitätssicherungsrichtlinie vor, „dass jede Schicht eine Pflegekraft vorhalten muss, die mindestens 12 Monate auf einer hämatoonkologischen Station gearbeitet hat“, so Soyka – wer den Pflegenotstand kenne, sollte wissen, wie schwierig das zu bewerkstelligen sei. Vom Risikomanagementplan des G-BA würden regelmäßig neue Versionen herausgegeben – „und wir müssen dann jedes Mal neue Schulungen machen.“ Von einem anderen Beispiel aus „Absurdistan“ berichtete Marion Subklewe: „Ich muss mir vorschreiben lassen, dass 24 Stunden lang ein Gastroenterologe in der Nähe sein muss – obwohl ich den in den letzten fünf Jahren nie gebraucht habe.“ Bestimmte Qualitäts- und Strukturvorgaben seien durchaus sinnvoll, aber sie dürften nicht so ausufern, wie das derzeit der Fall sei.
„Ich habe mehrere Amtsschimmel durch den Raum reiten sehen“, erklärt Moderatorin Claudia Beckmann zum Abschluss. Etwas freundlicher formuliert: Wenn bürokratische Hürden abgebaut werden steht der CAR-T-Zelltherapie auch in Deutschland eine große Zukunft bevor.
Weitere News
Neuartige Krebstherapien: „Das Leben feiern“
Im Kampf gegen Krebs ist die CAR-T-Therapie eine der wichtigsten Arzneimittel-Innovationen der vergangenen Jahre. Die LMU München widmet ihr eine Ausstellung.
Eine Krebspatientin berichtet: Darum ist es so wichtig, über die Therapie mitzuentscheiden
„Shared Decision Making“ (SDM) ist der Name eines wissenschaftlichen Konzepts, mit dem Patient:innen in die Behandlung einbezogen werden. Weshalb das wichtig ist, darüber haben wir mit Traudl Baumgartner gesprochen – sie ist selbst Krebspatientin und ist Vorsitzende des BRCA-Netzwerks, einer Selbsthilfeorganisation für Menschen mit familiär bedingten Krebserkrankungen.
Gentherapien sprengen die Grenzen der Medizin
Gentherapien haben das Potenzial die Medizin grundlegend zu verändern – und damit das Leben von Millionen von Menschen, deren Krankheiten gar nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Bisher sind in Deutschland 15 solcher Arzneimittel zugelassen, doch die Forschung boomt. Nun ist die Sorge groß, dass die Ausgaben für die Königsdisziplin der Arzneimittelforschung das Gesundheitssystem sprengen könnten. Das ist eher unwahrscheinlich. Ein Kommentar von Florian Martius.