„Innovation – das ist es, was wir tun“, sagt Kevin Peters, MSD-Chef für Deutschland. „Ist schnell gesagt, aber extrem herausfordernd, es umzusetzen.“ Die Pharmaindustrie sei wie kaum eine andere forschungsgetrieben: „In Deutschland investieren die Unternehmen rund 8 Milliarden Euro im Jahr – ein signifikantes Investment in die hiesige Wirtschaft.“ Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: „Jede Wirtschaft hat ihr Fundament in einer gesunden und produktiven Bevölkerung“, ergänzt BMS-Chef Neil Archer. Mit innovativen Arzneimitteln und Impfstoffen leistet die Industrie damit einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Landes. Archer ist beeindruckt von der „academic power“ des Landes; sein Unternehmen investiert allein in Deutschland in 3 Start-ups, um diese akademische Kraft auf die Straße – und damit am Ende des Tages – in Form neuer Therapien ans Krankenbett zu bekommen.
Pharmastrategie: Forschung, Entwicklung, Produktion stärken
Die Politik hat das erkannt. Deshalb hat die Ampel im vergangenen Dezember die Nationale Pharmastrategie auf den Weg gebracht. Mit ihr soll Deutschland wieder den Anschluss an die Weltspitze schaffen, sollen Forschung, Entwicklung und Produktion gestärkt werden. Seitdem jagt zwar ein Gesetz das andere – und das wird von der Industrie auch ausdrücklich begrüßt. Aber die beiden Geschäftsführer sind sich auch einig: Die Erstattungsbedingungen für Innovationen müssen stimmen. Und das soll heißen: Für die Preisfindung eines Medikaments muss der klinische Nutzen der Maßstab sein – und nicht die Kassenlage der GKV. „Mit den Einnahmen von heute finanzieren wir die neuen Medikamente von morgen“, so Neil Archer. Für die Weiterentwicklung des Pharmastandortes brauche es ein stabiles Marktumfeld und Planbarkeit.
Ende 2022 hatte die Bundesregierung das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) auf den Markt gebracht – für die forschenden Pharmaunternehmen ein Schock. „Innovationsfeindlich“ war noch das Freundlichste, was als Reaktion aus der Branche zu hören war. Und in der Tat: Neben rein monetären Eingriffen (erhöhter Herstellerzwangsrabatt) wurde auch massiv in die Mechanismen eingegriffen, nach denen bisher Arzneimittelinnovationen in Deutschland bewertet und in der Folge von den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) erstattet wurden. Einige der Maßnahmen sind so komplex – Stichwort: zusätzlicher Pauschalrabatt auf Kombinationspräparate – dass sie bis heute nicht umgesetzt werden konnten. Kevin Peters: „Maßnahmen wie der eingeführte Kombinationsabschlag oder die veränderten AMNOG-Leitplanken, bremsen die Entwicklung der Medikamente von morgen. Damit wird sich die bisher hervorragende Versorgung von Patientinnen und Patienten und ihr schneller Zugang zu neuen Therapien in Deutschland nicht nur kurzfristig, sondern langfristig verschlechtern.“ In der Pharmastrategie heißt es, dass die Folgen des GKV-FinStG auf die Versorgungssicherheit in diesem Jahr extern evaluiert werden sollen – passiert ist das aber noch nicht. Immerhin: Der Herstellerzwangsrabatt wurde mittlerweile wieder auf Vor-GKV-FinStG-Niveau abgesenkt, beträgt aber immer noch 7 Prozent.
Der medizinische Fortschritt lässt das AMNOG alt aussehen
Der zweite Kritikpunkt von BMS und MSD: Das AMNOG-Verfahren, nach dem in Deutschland als Grundlage für die Verhandlungen der Erstattungspreis ein Zusatznutzen gegenüber bestehenden Therapien ermittelt wird, muss dringend reformiert werden. „Es ist aus dem Jahr 2011“, so Neil Archer. „Wir wachsen zunehmend in die Zeit der personalisierten, individuell auf Patient:innen zugeschnittenen Medizin hinein. Gen- und Zelltherapien verändern die Medizin. Deshalb muss sich auch das AMNOG dringend weiterentwickeln, weil es mit den Methoden von gestern die Innovationen von heute und morgen nicht zu erkennen vermag und deshalb auch keinen Zusatznutzen neuartiger Therapien sieht.“ Deshalb, so betont er, habe man mit dem Pharmaverband vfa das Konzeptpapier „AMNOG 2025“ entwickelt. Es enthält konkrete Vorschläge, um das Verfahren fit für die Zukunft zu machen.
Der mit der Pharmastrategie eingeschlagene Weg ist richtig, betonen Archer und Peters unisono – doch nun müsse es mutig und schnell umgesetzt werden. In der Erklärung, die MSD und BMS zusammen entwickelt haben, heißt es: „Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz mit seinen innovationsfeindlichen Regelungen muss korrigiert und das Nutzenbewertungsverfahren AMNOG fit für die Zukunft gemacht werden. In ihrer jetzigen Form sind sie entscheidende Innovationshürden.“
Was die Menschen davon haben: Der Nutzen pharmazeutischer Innovation
Bleibt die Frage, was die Menschen und die Gesellschaften, in denen sie leben, davon haben, dass Pharmaunternehmen ungehindert forschen können? Da müssen die beiden Manager nicht lange nachdenken. „Die Wissenschaft entwickelt sich in einem rasanten Tempo und mit überzeugenden Ergebnissen“, so Kevin Peters. „Schauen Sie auf Lungenkrebs – dort hat sich die 5-Jahresüberlebensrate in den vergangenen Jahren verdoppelt.“ Oder das Multiple Myelom – eine sehr seltene, sehr aggressive Form von Knochenmarkkrebs: „In den 1990er Jahren hatten die Patienten leider nur eine Lebenserwartung von 2 bis 3 Jahren“, so Neil Archer. „Heute gilt: 80 Prozent der Menschen, die mit der Diagnose konfrontiert sind, leben 10 Jahre und länger – und das dank der schrittweisen Weiterentwicklung von neuen Therapien.“ Die Behandlung des Schwarzen Hautkrebs (Malignes Melanom) gleicht einem Quantensprung: Vor ein paar Jahrzehnten lebten 5 Jahre nach der Diagnose nur noch 10 Prozent der Betroffenen, 90 Prozent waren verstorben. Heute ist es genau umgekehrt; heute leben rund 90 Prozent der Betroffenen noch.
Medizinischer Fortschritt fällt nicht vom Himmel
All das könnte erst der Anfang sein, denn die Menschheit steht gerade am Beginn der Ära ganz neuer Ansätze aus der Gen- und Zelltherapieforschung. Sie gelten als der nächste große Schritt, den die Medizin gehen wird und sind Hoffnungsträger für Menschen mit schweren und sehr seltenen Erkrankungen, die bisher nicht oder nur unzureichend behandelt werden können. Mit ihnen ist eine maßgeschneiderte Therapie, die Präzisionsmedizin, möglich – und damit neue Perspektiven für Menschen, die bis vor kurzem noch als „austherapiert“ galten; für die es also keine Therapieoption mehr gab.
„Das alles fällt nicht vom Himmel“, so MSD-Geschäftsführer Peters. Deshalb müssten die Rahmenbedingungen stimmen. Und die stimmen nicht, solange das GKV-FinStG in dieser Form existiert und das eigentlich bewährte AMNOG-Verfahren massiv Spinnenweben angesetzt hat. Befragt nach den Chancen, dass die Pharmastrategie auch so umgesetzt wird, setzen beide auf Optimismus. Schließlich ist eine starke Pharmaindustrie genau das, was der Standort jetzt braucht“, sagt Neil Archer.
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Die gemeinsame Erklärung von BMS und MSD zur Gesundheitspolitik im Wortlaut:
„Die forschenden Unternehmen Bristol Myers Squibb und MSD begrüßen die Nationale Pharmastrategie und die ersten Gesetze und Gesetzesinitiativen zu ihrer Umsetzung. Als Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts steht die forschende Pharmaindustrie für Gesundheit, Innovation und gesellschaftlichen Wohlstand.
Die Strategie wird allerdings nur greifen, wenn die Erstattungsbedingungen für Arzneimittel ihrem Innovationsgrad entsprechen. Mit den Einnahmen von heute finanzieren forschende Unternehmen die Medizin von morgen. Mit ihren langen Entwicklungszyklen sind sie auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen.
Die bereits beschlossenen Gesetze müssen mutig und schnell umgesetzt werden: Das gilt insbesondere für die Digitalgesetze und das Medizinforschungsgesetz. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, Verfahren und Prozesse durch entschiedenen Abbau von Bürokratie nachhaltig zu entschlacken.
Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz mit seinen innovationsfeindlichen Regelungen muss korrigiert und das Nutzenbewertungsverfahren AMNOG fit für die Zukunft gemacht werden. In ihrer jetzigen Form sind sie entscheidende Innovationshürden.
Deutschland ist immer noch ein hervorragender Standort für Spitzenforschung von Weltniveau. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Chancen, die sich durch die Nationale Pharmastrategie für den Standort ergeben, auch genutzt werden können.“
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