Einerseits ist Osteoporose eine Volkskrankheit, die nach Angaben der bayerischen BARMER-Landesgeschäftsführerin Prof. Claudia Wöhler „jedes Jahr zu 160.000 Schenkelhalsbrüchen und Behandlungsfolgekosten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro führt.“ Auf der anderen Seite stehen die Erfahrungen des Klinikdirektors Prof. Wolfgang Böcker, der sagt: „Selbst nach Knochenbrüchen werden Betroffene oft ohne Verdachtsdiagnose Osteoporose aus dem Krankenhaus entlassen. Eine Folgetherapie unterbleibt, die Krankheit schreitet weiter voran.“ Damit sich das ändert, müssten „koordinierte Versorgungskonzepte“ etabliert werden, bei denen das ärztliche Personal in Kliniken, niedergelassene Mediziner*innen und Osteoporose-Spezialist*innen zusammenarbeiten.
Ein Beispiel dafür ist der „Fracture Liaison Service“ (FLS), den Böcker am Klinikum für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Universität München ins Leben gerufen hat: Dieses Programm identifiziert Frakturpatient*innen mit Osteoporose und sorgt dafür, dass sie auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gut versorgt werden. Kernstück ist „eine Plattform zum Austausch von Daten“, der für eine sinnvolle Weiterbehandlung nötig ist. Inzwischen gibt es auch eine Studie, an der sich 18 Kliniken und rund 1.200 Betroffene in Bayern beteiligen: FLS-Care soll bis Ende des Jahres 2023 zeigen, ob und in welchem Maße FLS Hüftfrakturen verhindern kann, die durch Osteoporose verursacht werden.
DMP Osteoporose: sinnvoll, notwendig – und bislang nur theoretisch
So weit fortgeschritten ist das DMP noch nicht. Das Programm ist für Frauen ab 50 und für Männer ab 60 Jahren gedacht, bei denen eine Osteoporose diagnostiziert wurde, welche medikamentös behandelt werden muss. Die Menschen, die am DMP teilnehmen, erhalten wirksame Medikamente, unterstützt durch Schulungen, Ernährungsberatung und ein spezielles Körpertraining. Bislang allerdings nur theoretisch. Zwar waren sich alle Beteiligten in der Online-Runde darüber einig, dass es sich beim DMP um ein ebenso sinnvolles wie notwendiges Programm handelt. Und es sei auch erfreulich, dass am 1. Juli 2020 ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft trat, der den Weg für Vertragsverhandlungen zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen freigemacht hat. Allein: Bis heute wurde kein einziger Vertrag tatsächlich abgeschlossen. Stattdessen heißt es seit einem halben Jahr auf der Homepage des Verbandes der Ersatzkassen (Stand 10.3.): „Aktuell werden die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Umsetzung des DMP Osteoporose erarbeitet, so dass in den Ländern bisher noch keine entsprechenden DMP angeboten werden können. Sobald die mit der für die Durchführung der DMP betrauten Zulassungsstelle, dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), abgestimmten Dokumente vorliegen, werden diese hier veröffentlicht.“
Das heißt mit anderen Worten: Bislang können Osteoporose-Patient*innen nicht am DMP-Programm teilnehmen. Was aber können sie schon jetzt und ganz konkret tun? „Medikamente sind nur ein Pfeiler“, so Prof. Böcker, „ebenso wichtig ist Gymnastik, Bewegung und gesunde Ernährung. Außerdem sollten Osteoporose-Betroffene Stolperfallen in ihrer Wohnung identifizieren und Physiotherapie in Anspruch nehmen.“
Osteoporose: Leitlinien umsetzen, Knochendichte messen
Für Prof. Christopher Niedhart, Präsident der Orthopädischen Gesellschaft für Osteologie, wäre schon viel erreicht, wenn alle an Osteoporose Erkrankten leitliniengerecht behandelt würden. Die vorhandenen Leitlinien seien gut, würden aber nur mangelhaft umgesetzt. „Eine leitliniengerechte Therapie führt zu weniger Frakturen, zu weniger Krankenhaus-Einweisungen, zu weniger Pflegefällen“, so Niedhart, „es geht also den Patienten besser, weil sie weniger krank sind, es geht den Ärzten besser, weil sie gute Arbeit machen und es geht den Krankenkassen besser, weil sie Kosten sparen.“
Das klingt gut, aber viele Patient*innen wären schon froh, wenn sie in den Genuss einer Knochendichtemessung kämen. Barbara Ettinger vom Bundesselbsthilfeverband Osteoporose bemängelte, „dass Ärzte nur 29 Euro bekommen, wenn sie die Messung der Knochendichte als Kassenleistung abrechnen.“ Das sei nicht kostendeckend und deshalb bekämen viele Betroffene entweder gar keine Knochendichtemessung oder nur dann, wenn sie eine private Rechnung akzeptieren. „Das Problem ist uns bekannt“, erklärte dazu Sabine Tripps, Referatsleiterin „Vertragspolitik und Arzneimittel“ der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Sie verwies darauf, dass es zumindest in Bayern eine Zusatzvergütung gäbe, mit der das ärztliche Personal dann auf 42 Euro käme. „Und dafür“, so Tripps weiter, „könnten die Kollegen schon tätig werden.“
DMP Osteoporose als „ideales Werkzeug“
Das werden sie allerdings viel zu selten, weshalb eine angemessene Osteoporose-Behandlung oft schon im Ansatz scheitert oder erst erfolgt, wenn der Oberschenkelhals gebrochen ist. In der Ärzteschaft sind viele auch „nicht dafür sensibilisiert, dass hinter einer Fraktur noch eine andere Erkrankung steckt, eben die Osteoporose“, erklärte Dr. Peter Clarenz, Mitglied der Leitlinienkommission Osteoporose des Dachverbandes Osteologie. Er verwies darauf, dass es in Deutschland 926 Osteologen gibt, darunter 688 Orthopäden und 164 Schwerpunktzentren. Sie alle müssten koordinierter und besser mit Kliniken und hausärztlichen Praxen zusammenarbeiten, wofür wiederum das DMP „ein ideales Werkzeug sein kann“ – wenn es denn nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch umgesetzt wird. Moderator Prof. Andreas Beivers erklärte abschließend: „Wir sind mit dem DMP auf dem richtigen Weg.“ Aber, so fügte er hinzu, „es bleibt noch viel zu tun.“ Wohl wahr.
Veranstaltet wurde das Online-Event von der WISO S.E. Consulting GmbH mit Unterstützung von Amgen und UCB Pharma.