Mit dem Medizinforschungsgesetz will die Bundesregierung Forschung und Produktion attraktiver machen – ein Gesetz ganz nach Ihrem Geschmack, oder?
Dr. Daniel Steiners: Ja, das ist es auch – die Intention ist begrüßenswert. Wir sehen darin das klare Bekenntnis zum medizinisch-pharmazeutischen Forschungsstandort – und damit auch zu Arzneimittelinnovationen „Made in Germany“. Insbesondere gefällt mir das Ziel des Vorhabens, die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Medikamenten zu verbessern – etwa durch schnellere Studiengenehmigungen oder die Gestaltung von Musterverträgen. Das Medizinforschungsgesetz ist ja eingebettet in die Nationale Pharmastrategie, die im vergangenen Dezember verabschiedet wurde. Das alles weist in die richtige Richtung: Es ist ein wichtiges Signal an Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, dass die Pharmaindustrie eine Schlüsselbranche für die Innovationskraft, den Erhalt unseres Wohlstandes und die Souveränität Deutschlands ist.
Aber forschenden Pharmaunternehmen geht es in diesem Land nicht gerade schlecht, oder?
Steiners: Was den Forschungsstandort insgesamt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit angeht, hat Deutschland in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren – nicht nur gegenüber den USA oder China, sondern auch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie Spanien. Das gilt insbesondere für klinische Studien – die aber sind der Motor, um neue Therapien zu entwickeln, um für Menschen mit schweren Erkrankungen neue Perspektiven zu schaffen.
Trotzdem gibt es Kritik an dem Gesetzentwurf. Warum?
Steiners: Erstmal muss man festhalten: Das Medizinforschungsgesetz steht am Anfang des parlamentarischen Prozesses – ich bin gespannt, was am Ende dabei herumkommt. Wir haben die Hoffnung, dass sinnvolle Vorschläge zur Beschleunigung von klinischen Studien konsensfähig sind und sich durchsetzen werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Steiners: Das aktuelle Genehmigungsverfahren für klinische Studien ist herausfordernd, da verschiedene Genehmigungsschritte in unterschiedliche Hände gelegt wurden. Beteiligt sind unter anderem Ethikkommissionen. Das ist ein wichtiges Instrument, weil hier von neutraler Stelle über ethische und rechtliche Implikationen einer Untersuchung gesprochen wird. Nur: In Deutschland haben wir 49 solcher Kommissionen, angesiedelt bei Universitätsklinika, den Ärztekammern, den Landesbehörden. Dadurch entsteht viel Doppelarbeit, die Abstimmungsprozesse sind ewig lang und international nicht konkurrenzfähig. Das führt dazu, dass in anderen Ländern bereits Patientinnen und Patienten rekrutiert werden, während wir in Deutschland noch mit rechtlichen Fragen beschäftigt sind. Im ursprünglichen Entwurf zum MFG sollte eine Bundesethikkommission neben den etablierten Kommissionen eingerichtet werden, nicht um diese zu ersetzen, aber um die Prozesse in wichtigen Bereichen der pharmazeutischen Forschung zu beschleunigen.
Und wie sieht es jetzt im aktuellen Entwurf aus?
Steiners: Nun ist von einer „Spezialisierten Ethik-Kommission für besondere Verfahren“ die Rede. Tatsache ist: Wenn wir mit anderen Ländern weltweit mithalten wollen, brauchen wir eine Beschleunigung und Harmonisierung der Ethikkommissions-Verfahren nach dem „One Study, One Vote“-Ansatz. Das bedeutet: Klare Verantwortung und Federführung einer Kommission bei automatischer Votums-Anerkennung durch alle anderen Kommissionen. Es entsteht ja nicht zwangsläufig mehr Sicherheit in ethischen oder rechtlichen Fragen, wenn sich die Zahl der Kommissionen erhöht, die ein und dieselbe medizinische Fragestellung bewerten. Hier bleibt das MFG noch hinter seinen Möglichkeiten, auch wenn mit der Spezialisierung der Ethikkommissionen und der neuen „Spezialkommission“ schon richtige Schritte angegangen werden. Wir plädieren dafür, dass – wie immer der genaue Gesetzestext nach dem parlamentarischen Verfahren aussehen wird – es die Möglichkeit gibt, schnell und fortlaufend zu einer Evaluation der Ethikkommissionsarbeit zu kommen, damit im Sinne einer Beschleunigung der Verfahren nachgesteuert werden kann.
Ein Aufreger im MFG: die geplante Möglichkeit Arzneimittel-Erstattungspreise nicht öffentlich zu listen. Wie sehen Sie das?
Steiners: Zunächst einmal verstehe ich den Grad der Empörung nicht so richtig; transparente Erstattungspreise gibt es in so gut wie keinem anderen Land der Welt – Deutschland ist hier eine Ausnahme. Das Entscheidende ist: Der Marktzugang für Arzneimittelinnovationen muss insgesamt stimmen – und da kann die Vertraulichkeit im Einzelfall eine Option für mehr Flexibilität in der Preisverhandlung sein.
Wie bewerten Sie insgesamt die Umsetzung der im Dezember 2023 beschlossenen Nationalen Pharmastrategie?
Steiners: Es tut sich gerade sehr viel und das ist wirklich gut so – schon, weil die Konkurrenz anderer Länder zunimmt. Aber einseitig den Forschungsstandort Deutschland stärken, hilft uns nicht weiter, wenn gleichzeitig die Erstattungsbedingungen neuer Medikamente nicht verbessert werden. Es macht ökonomisch wenig Sinn, Forschung, Entwicklung und Produktion in Ländern anzusiedeln, wo Produkte nicht mehr auskömmlich verkauft werden können. Deshalb müssen wir konsequent auch die Punkte angehen, die in der Pharmastrategie zwar erwähnt, aber noch nicht umgesetzt sind: Daher muss das Ende 2022 in Kraft getretene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz rückgängig gemacht werden, zumindest in Bezug auf die Regelungen, die zu Preisdiskriminierungen von Arzneimittelinnovationen geführt haben. Zudem müssen wir das Bewertungs- und Erstattungsverfahren für neue Medikamente – das AMNOG – reformieren und zukunftstauglich machen. Die Entwicklungszeiten von Arzneimitteln sind lang und risikobehaftet. Mit den Einnahmen von heute finanzieren wir unsere Pipelines – und damit die Innovationen von morgen. Ein System, das je nach Kassenlage mal eben die Erstattungsbedingungen für Innovationen grundlegend verändert, ist Gift für unsere Branche.
Das Zusatznutzenverfahren AMNOG für neue Arzneimittel ist seit Jahren in Deutschland etabliert: Warum muss es reformiert werden?
Steiners: Richtig, das AMNOG hat sich bewährt, aber es ist in die Jahre gekommen. Der Grund dafür ist der rasante medizinische Fortschritt mit seinen immer zielgerichteteren Therapien und neuartigen Technologien. Die Behandlung wird personalisierter, die Patientenpopulationen werden kleinteiliger: Die klassischen Formen der Evidenzgenerierung mit großen klinischen Studien und vielen Teilnehmern funktionieren dann oft nicht mehr. Also müssen wir gemeinsam neue Methoden entwickeln, denn sonst riskieren wir, dass Innovationen nicht als solche erkannt werden. Das würde unweigerlich dazu führen, dass sie den Menschen, die sie brauchen, nicht zur Verfügung stehen. Deshalb haben wir gemeinsam mit dem vfa ein Konzeptpapier aufgesetzt. In „AMNOG 2025“ sind konkrete Vorschläge enthalten, um das System zukunftsgerecht umzubauen.
Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat dabei nicht gerade geholfen, oder?
Steiners: Nein, denn damit wurde einfach die Regel ausgehebelt, wonach ein neues Arzneimittel, das besser ist als ein zuvor bereits verfügbares, auch mehr kosten darf. Das aber ist ein wesentlicher Treiber für Innovationen. Und es wurde ein Bürokratiemonster geschaffen. Bis heute sind die geplanten Zusatzrabatte auf Kombipräparate nicht umgesetzt. Richtig so, denn es sind Rabatte, die auf bereits rabattierte Arzneimittel aufgesetzt werden sollen.
Ist also Pessimismus angesagt?
Steiners: Auf keinen Fall, wir haben in unserem Land eine Infrastruktur für Spitzenforschung, um die uns viele beneiden; Deutschland kann Biopharmazie, hat wichtige Produktionsstandorte und kann sich auf viele hervorragend ausgebildete Menschen verlassen. Schauen Sie in den Wirtschaftsteil der Medien: Während klassische Wirtschaftszweige, die über Jahrzehnte das Gesicht der Republik mitgeprägt haben, zu kämpfen haben, läuft die forschende Pharmaindustrie wieder zur Bestform auf: Wir waren nie innovativer. Und wir investieren gerade viele Milliarden in den Standort. Bayer selbst baut zusammen mit der Charité in Berlin ein Zentrum für Gen- und Zelltherapien – ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung dieser Zukunftsmedizin hier im Land. Aber: Wir verlieren international gesehen an Boden – andere Länder haben die Bedeutung der forschenden Industrie für ihren Wohlstand erkannt und bauen massiv Infrastruktur auf. Deshalb brauchen wir schlicht mehr Pragmatismus.
Inwiefern?
Steiners: Wenn wir über neue Technologien nachdenken, regt sich bei uns zunächst Skepsis. Ein Beispiel? Die datenbasierte Medizin. Bei uns stehen Datenschutzbedenken im Vordergrund und weniger die Chancen für die Patientinnen und Patienten. Wir müssen die Digitalisierung vorantreiben – in ihr schlummern die Möglichkeiten einer wirklich patientenindividuellen Behandlung. Das bedeutet: Wir brauchen mehr Mut und vor allem weniger Bürokratie. Aber es gibt auch Aspekte, die weit über die gesundheitspolitische Sicht hinausgehen.
Was meinen Sie damit?
Steiners: Der Fachkräftemangel, der jetzt schon Realität ist. Mir scheint, dass wir die Dimension der Herausforderung immer noch ausblenden. Wir stehen erst am Anfang des Problems; die wirklich dramatischen Folgen der alternden Gesellschaft werden sich zeigen, wenn die gesamte Baby-Boomer-Generation in Rente gegangen ist. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem: Wenn eine Kindergartengruppe schließt, weil zwei Erzieherinnen oder Erzieher fehlen, dann hat das Folgen für rund 20 Elternteile, die dann gar nicht oder nur Teilzeit arbeiten können. Es muss deshalb einfacher werden, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Und: Ohne Zuwanderung geht es nicht.
Zum Abschluss die Frage: Sind Arzneimittelinnovationen in Deutschland zu teuer?
Steiners: Nein, das sind sie nicht. Wenn wir die Zulassung für eine solche Innovation erhalten und sie auf den Markt bringen, greift ab dem ersten Tag ein Herstellerrabatt, der zurzeit bei 7 Prozent liegt. Dieser Rabatt ist nur ein Element eines Dickichts von Regulierungen, die das Ziel haben, Arzneimittelausgaben zu begrenzen. Seit 2011 werden neue Arzneimittel einem strengen, aufwändigen Bewertungsprozess unterzogen, der mit dem Markteintritt beginnt und an dessen Ende ein verhandelter Erstattungsbetrag steht, der ab dem siebten Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen gilt. Für die überwältigende Mehrheit der seitdem auf den deutschen Markt gekommenen Innovationen gilt: Der Preis, den die GKV bezahlt, ist das Verhandlungsergebnis, das ihr eigener Spitzenverband abgezeichnet hat. Von diesem Preis wird dann der oben erwähnte Rabatt abgezogen. Das ist – wenn man mal drüber nachdenkt – schon fragwürdig: Warum noch einen Rabatt auf einen bereits verhandelten Preis? Wenn man sich den Anteil der Arzneimittel an den GKV-Gesamtausgaben anschaut, sieht man: Der ist über Jahrzehnte mehr oder weniger gleichgeblieben. Auch hilft ein Perspektivwechsel: Kosten Arzneimittel Geld? Ja. Aber wenn wir auf die Entwicklung der vergangenen Jahre schauen: Nie waren wir besser im Kampf gegen Krebs, gegen Herz-Kreislauf- und viele andere Erkrankungen – daran haben innovative Arzneimittel einen entscheidenden Anteil. Letztendlich forschen und entwickeln wir zum Wohle von Patientinnen und Patienten in Deutschland und der ganzen Welt. Eins sollten wir dabei nie vergessen: Diese Patientinnen und Patienten können unsere Freunde, Familienmitglieder oder letztendlich auch jeder von uns selber sein.
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