Zauberwort E-Mental-Health: „Internetgestützte Interventionen bieten aus Sicht des DGPPN eine große Chance für Ärzte und Patienten“, erklärte kürzlich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Anlass war ein Vorstoß der Bundesärztekammer, die Regelungen zur Fernbehandlung zu lockern. „Im digitalen Zeitalter und angesichts der wachsenden Akzeptanz von Onlinediensten in der Bevölkerung ist der Zusatznutzen einer internetgestützten, evidenzbasierten Fernbehandlung nicht von der Hand zu weisen“, sagt DGPPN-Präsident Professor Arno Deister und verweist darauf, dass die Wirksamkeit von E-Mental-Health-Produkten durch zahlreiche Studien gut belegt sei – auch, wenn ein Computer den Kontakt zwischen Therapeuten und Patienten natürlich nicht ersetzen könne.
Ein Problem besteht allerdings darin, dass es im Internet sehr viele Angebote gibt, die Hilfe bei psychischen Störungen versprechen – aber längst nicht alle sind sinnvoll und seriös. Die DGPPN hat deshalb gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Psychologie eine Task-Force eingesetzt, die 10 Qualitätskriterien entwickelt hat, die solche Internet-Angebote erfüllen sollten. Neben Nutzerfreundlichkeit, Transparenz, Patientensicherheit und Datenschutz sind vor allem zwei Dinge wichtig: Qualifikation und Wirksamkeit. Qualifikation bedeutet: Approbierte Psychotherapeuten und Fachärzte sind an der Entwicklung der digitalen Angebote beteiligt. Und die Wirksamkeit muss durch Studien belegt sein.
Niedrigschwellig und leicht zugänglich
Zu den Experten, die Qualitätskriterien für „Internetbasierte Interventionen bei psychischen Erkrankungen“ entwickelt haben, gehört Dr. Jan Philipp Klein, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck. Er sagt: „Vor allem bei Depressionen und Angststörungen ist die Wirksamkeit von Selbstmanagement-Programmen durch zahlreiche Studien belegt.“ Insbesondere Angebote, „die mit Therapeutenkontakt arbeiten“, seien vergleichbar wirksam wie Psychotherapie im persönlichen Kontakt. Anders als in Deutschland sind solche Angebote in einigen europäischen Ländern bereits Teil der regulären klinischen Versorgung – so etwa in den Niederlanden, Großbritannien und Schweden. Jan Philipp Klein: „Internetbasierte Interventionen sind niedrigschwellig und leicht verbreitbar und können möglicherweise dazu beitragen, die Behandlungslücke bei psychischen Erkrankungen zu reduzieren.“ Es könnten neue Patientengruppen erreicht werden, etwa Menschen in psychotherapeutisch unterversorgten, ländlichen Gebieten. Zudem können solche Angebote helfen, die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken – sie beträgt nicht selten ein halbes Jahr oder länger.
Zu den Programmen, deren Wirksamkeit durch Studien belegt ist und die in Deutschland angeboten werden, zählen unter anderem:
- deprexis24: Dieses Online-Psychotherapieprogramm von Servier ist für Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen gedacht. Es besteht aus 10 Modulen, die unter anderem mit Verhaltens- und Achtsamkeitstraining arbeiten – und die wahlweise als angeleitetes oder nicht angeleitetes Programm eingesetzt werden können.
- DepressionsCoach: Dieses Selbstmanagement-Programm der Techniker Krankenkasse besteht aus 7 Modulen, die von Verhaltensaktivierung bis zur Vermittlung von Fertigkeiten zur Problemlösung reichen.
- GET.ON Mood Enhancer: Ein multimedial gestaltetes, angeleitetes Selbstmanagement-Programm für Menschen, die zwar depressive Symptome haben, aber derzeit nicht unter einer Depression leiden. Hier gibt es 6 Module, bei denen es unter anderem – wie bei deprexis und dem DepressionsCoach – um Verhaltensaktivierung geht.
- MoodGYM: Dieses Kunstwort steht für „Fitness für die Stimmung“. Das Programm wurde von Wissenschaftlern in Australien entwickelt. Es besteht aus 5 Modulen, die Entspannungstechniken vermitteln und Themen behandeln wie den Zusammenhang von Gedanken und Gefühlen, Beziehungsprobleme oder Stressbewältigung.
Aufnahme in die Regelversorgung?
Bislang müssen Online-Therapie-Programme in den meisten Fällen von den Patienten selbst bezahlt werden, sofern es sich nicht um kostenlose Angebote handelt. „Sozialrechtlich ist eine Abrechnung von über das Internet erbrachten psychotherapeutischen Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenkassen noch nicht möglich“, sagt Jan Philipp Klein. Doch das könnte sich bald ändern, zumal bestimmte Fachärzte seit 2017 bestimmte Leistungen – wie so genannte Videosprechstunden – sehr wohl abrechnen können.
Oliver Kirst, Geschäftsleiter von Servier Deutschland, plädiert dafür, digitale Anwendungen in die Regelversorgung aufzunehmen. Er sagt: „Digitale Anwendungen bieten viele Möglichkeiten, die Gesundheitsversorgung flächendeckend zu verbessern.“ Voraussetzung dafür sei jedoch, standardisierte Wege zur Qualitätssicherung sowie für den Erstattungsprozess und die ärztliche Honorierung zu finden. Bei Servier geht man davon aus, dass nicht nur die Patienten von der Anwendung profitieren, sondern auch die Krankenkassen und beruft sich dabei auf eine Studie: „Aus gesundheitsökonomischer Perspektive ist der Einsatz des Online-Therapieprogramms klar zu empfehlen”, sagt Professor Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld und gleichzeitig Mitglied des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen. Die Studienergebnisse hätten gezeigt, dass die Nutzung des Online-Psychotherapieprogramms „zu einer Reduktion der Ausgaben aus GKV-Sicht beiträgt.“