„Corona hat manches beschleunigt, auch digital“, erklärte Jens Spahn im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh, Chefredakteur der Ärzte Zeitung. Er stelle seit Beginn der Coronakrise eine erhöhte Akzeptanz für digitale Themen fest, „nicht nur bei Bürgern, sondern auch bei Pflegekräften und Ärzten.“ So hielten etwa viele Mediziner inzwischen Online-Sprechstunden ab.
Corona-Warn-App: 6,5 Millionen Downloads am ersten Tag
Das digitale Highlight dieser Tage ist für Spahn aber die Corona-Warn-App: „Sie wurde in den ersten 30 Stunden nach ihrer Bereitstellung von 6,5 Millionen Menschen heruntergeladen“, so Spahn, „das liegt über den Erwartungen. Das sind über 6 Millionen Gründe, warum es dieses Virus in Zukunft schwerer hat, sich auszubreiten.“ Der Gesundheitsminister betonte, dass die App in weiten Teilen ein deutsches Qualitätsprodukt sei. „Selbst der Chaos Computer Club hat nichts gefunden, was es daran zu kritisieren gäbe – das habe ich noch nicht erlebt“, freute sich Spahn. Fragen, ob die App schon zu Coronatests geführt habe, könne er nicht beantworten, denn es gebe ja keine zentrale Erfassung. Jeder müsse sich freiwillig beim Gesundheitsamt oder beim Hausarzt melden, wenn die App einen Risikokontakt meldet. In diesem Fall bestehe dann „ein Anspruch auf einen Coronatest, auch ohne Krankheitssymptome.“ Spahn weiter: „Die App schickt auch niemanden in Quarantäne – sie ersetzt nicht die Arbeit der Gesundheitsämter, aber sie macht es ihnen leichter.“ Spahn selbst hat die App übrigens schon länger auf seinem Handy, er konnte sich schon die Betaversion herunterladen – also eine Version vor der endgültigen Fertigstellung.
Der Gesundheitsminister will jetzt auch so schnell wie möglich die „digitale Anbindung der Labore“ verbessern, denn: „Die Testergebnisse werden den Gesundheitsämtern immer noch per Fax übermittelt, das ist doch kein Zustand.“ Wenn es nach Spahn geht, wird es bald mehr digitale Apps im Gesundheitsbereich geben, zumal „wir digitale Apps als erstes Land der Welt erstattbar gemacht haben“ – die Kosten für eine digitale Anwendung werden also in bestimmten Fällen von den Krankenkassen getragen.
Bessere Pandemie-Vorsorge geplant
Spahn versprach, dass man sich für künftige Krisenzeiten besser bevorraten wolle, etwa mit Schutzausrüstung, Impfstoffen oder Arzneimitteln. Das Problem dabei kennen aber viele Menschen aus ihrem Alltag: „Was immer Sie bevorraten, meistens fehlt am Ende genau das, was Sie nicht haben.“ Bei einem möglichen Corona-Impfstoff will Spahn sichergehen, dass er auch in den 27 EU-Ländern zur Verfügung steht. Aus diesem Grund gebe es Investitionen, wie zuletzt die 300 Millionen Euro in das Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac oder die EU-Bestellung von 400 Millionen potenziellen Impfstoff-Dosen bei AstraZeneca. „Ich will Impfdosen für alle Bürger haben, wenn der Impfstoff da ist“, stellte Spahn klar, und deshalb investiere Deutschland sowohl in die Forschung als auch in die Versorgung mit einem Impfstoff. Spahn will jetzt zudem mit „fünf bis acht weiteren Impfstoff-Herstellern verhandeln – mit dem Risiko, dass man Geld verliert, wenn die Entwicklung am Ende doch scheitern sollte.“ Wenn es nach Spahn geht, wird Europa sich künftig auch stärker in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) engagieren, denn: „Wir brauchen eine starke europäische Stimme in der WHO – gerade, wenn andere sich nicht mehr so engagieren.“
Spahn nutzte sein Gespräch mit dem Chefredakteur eines großen Fachmediums für einen Appell: „Bei allen Problemen würde ich mir mehr Corona-Patriotismus wünschen. Wir sind bislang gut durch diese Krise gekommen. Wir sollten nicht übermütig werden, aber wir könnten schon ein bisschen stolz auf das Erreichte sein.“
Mehr Kooperation mit Pharma-Unternehmen
In der anschließenden Gesprächsrunde ging Prof. Axel Ekkernkamp, Chef des Unfallkrankenhauses Berlin, noch einmal auf das Thema „Impfstoff-Forschung“ ein: „Ich würde mir sehr wünschen, dass wir in Deutschland mehr mit Pharma-Unternehmen machen, dass wir uns in der Impfstoff-Forschung stärker zusammentun.“ Und was das Thema „Digitalisierung“ angehe, so gehöre dazu auch die Anwendung von Big Data: „Zellforschung zum Beispiel geht nur mit Big Data, wir müssen jetzt dranbleiben. Wenn wir eine Verbesserung der medizinischen Versorgung wollen, brauchen wir Big Data, das ist leider noch nicht in den Köpfen.“ Präzisionsmedizin funktioniere nur mit großen Datenmengen. Dazu müsse Geld in die Hand genommen werden und es müsse auch die Möglichkeit geben, Geld zu verdienen. „Denn sonst“, so Ekkernkamp, „werden wir keine Zukunft haben.“
Die ehemalige Pflegedirektorin der Uniklinik Köln, Vera Lux, meinte zum Thema „Digitalisierung“: „In vielen Pflegeeinrichtungen gibt es einen einzigen Computer, für das Erstellen der Dienstpläne – aber keine Vernetzung mit Ärzten oder Apothekern.“ Es sei wichtig, dass auch Pflegeeinrichtungen bei der anstehenden Digitalisierung nicht vergessen würden.
Der Gesundheitsunternehmer Prof. Heinz Lohmann sieht durchaus das Risiko, dass die Coronakrise doch nicht zu einer innovativen Zeitenwende führt: „Wir dürfen nicht zur alten Normalität zurückkehren, sondern wir müssen zu einer Modernität kommen – und zwar über die Digitalisierung hinaus.“
Das beginne bei grundsätzlichen Gesundheitsfragen und dürfe beim Finanzierungssystem nicht enden.
In der abschließenden Runde fragte Wolfgang van den Bergh: „Haben wir durch die Coronakrise nun tatsächlich einen Innovationsschub bekommen?“ „Ja, aber anders als gedacht“, so Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen. „Ja, aber es muss auch Geld in die Pflege fließen“, so Vera Lux. „Ja“, so Axel Ekkernkamp, „kein aber.“