Der Wirkstoff Phenprocoumon – besser bekannt als Marcumar – ist ein Klassiker. Seit den 1950er Jahren wird der Vitamin-K-Antagonist bei Menschen eingesetzt, die so genannte Blutverdünner brauchen, etwa, um sich vor Schlaganfällen oder Herzinfarkten zu schützen. Marcumar gilt als wirksam. Aber sein Handling im Patientenalltag haben den Ruf nach besseren Blutgerinnungshemmern nie richtig verstummen lassen. Denn der Einsatz von Marcumar ist „Einstellungssache“: Die Patienten müssen sich mit ihren Blutwerten in einem so genannten „therapeutischen Fenster“ befinden, damit eine optimale Wirksamkeit bei möglichst geringem Blutungsrisiko erzielt werden kann. Eine heruntergesetzte Blutgerinnung kann zwar Schlaganfälle vermeiden, allerdings steigt auch das Risiko innerer Blutungen. Deshalb ist der Einsatz solcher Medikamente immer eine Abwägung.
Die neue Generation der Blutgerinnung bietet Sicherheitsvorteile
Deshalb wurde eine neue Generation von Gerinnungshemmer entwickelt, die so genannten „direkt wirkenden Antikoagulantien“ (DOAKs, früher NOAKs) bzw. nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulantien entwickelt. Der erste Vertreter kam 2008 auf den Markt. Sie leiteten das Ende der „Marcumarisierung“ ein. Der Grund: Sie sind so effektiv wie Marcumar, aber bieten für die Patienten Sicherheitsvorteile.
Schon im Jahr 2015 zeigte sich der Kardiologe Prof. Harald Darius im Pharma Fakten-Interview überzeugt, dass sich die neue Generation als Standardtherapie
durchsetzen wird: „In wenigen Jahren werden diese Gerinnungshemmer beispielsweise bei der Therapie der tiefen Beinvenenthrombose und vor allem auch bei der Prävention von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern die Standardtherapie sein“, sagte er voraus. Die Zulassungsstudien für die neue Klasse waren nicht ohne – Grundlage waren große, international durchgeführte Studien mit mehreren zigtausend Patienten. In den Therapieleitlinien werden Vertreter der neuen Generation gegenüber Marcumar etwa bei Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern empfohlen. Diese haben ein besonderes Risiko für einen Schlaganfall.
Das finden nicht alle richtig. Denn diese erste Innovation im Bereich der Blutgerinnung seit mehreren Jahrzehnten kostet mehr Geld als ein Medikament, dass bereits vor vielen Jahren aus dem Patent lief. Die DOAKs standen deshalb schon immer unter verschärfter Beobachtung: Halten sie das, was sie versprechen?
DOAKs auf dem Prüfstand: Die RELOADED-Studie
Auf der 89. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie hat Prof. Hendrik Bonnemeier eine so genannte Kohorten-Studie mit dem Titel „RELOADED“ vorgelegt: Dort nahm man im Zeitraum zwischen Anfang 2013 und Mitte 2017 neu eingestellte Patienten unter die Lupe – anonym natürlich: Insgesamt 64.920 wurde entweder ein DOAK oder ein Vitamin-K-Antagonisten verschrieben. Die Auswertung bestätigte zunächst das, was man schon aus den Zulassungsstudien kannte: Das Risiko für einen Schlaganfall – und damit die Wirksamkeit beider Arzneimittelgruppen – ist vergleichbar.
Unterschiede zeigten sich jedoch bei den Blutungsrisiken – und das gerade bei den besonders gefährlichen intrakraniellen Blutungen, die sich im Schädel manifestieren können. Bei zwei von den in RELOADED ausgewerteten DOAKs „war die Rate an intrakraniellen Blutungen um fast die Hälfte niedriger als in der Phenprocoumon-Gesamtkohorte“, fasste Prof. Bonnemeier die Ergebnisse auf dem Kongress zusammen. Und in den Patientengruppen mit eingeschränkter Nierenfunktion traten tödliche Blutungen im Falle eines der DOAKs sogar um ein Drittel seltener auf. Das ist eine wichtige Nachricht, denn Menschen mit nachlassender Nierenleistung haben ein höheres Risiko für Vorhofflimmern. Und Vorhofflimmern wiederum bringt ein bis zu fünffach erhöhtes Schlaganfallrisiko mit sich.
RELOADED wirkt doppelt: Diese Real-World-Daten sind eine wichtige Bestätigung, dass die neue Klasse an Medikamenten hält, was in den Zulassungsstudien gezeigt wurde. Darüber hinaus liefern die Daten Evidenz dafür, dass die neue Generation von Blutgerinnungshemmern offenbar einen starken Nutzen haben, wenn es um den Schutz und den Erhalt der Nierenfunktion geht.
In einer alternden Gesellschaft nimmt die Inzidenz von Schlaganfällen tendenziell zu. Schon heute gelten sie als die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und die häufigste Ursache für Langzeitbehinderung. Allein dies zeigt die Bedeutung von Medikamenten, denen es gelingt, die Risiken einer notwendigen Blutgerinnung zu minimieren.