Auf der BPI-Hauptversammlung sprach eine Expertenrunde über die Digitalisierung des Gesundheitswesens – die in Deutschland langsam Fahrt aufnimmt. Foto: © Pharma Fakten
Auf der BPI-Hauptversammlung sprach eine Expertenrunde über die Digitalisierung des Gesundheitswesens – die in Deutschland langsam Fahrt aufnimmt. Foto: © Pharma Fakten

Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen: 34 Gesetze in 32 Monaten

Für den neuen Vorsitzenden des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) Dr. Hans-Georg Feldmeier steht die Stärkung des Produktionsstandortes Deutschland und Europa ganz oben auf der Agenda. „Die Themenkomplexe Digitalisierung, Innovation nehmen hierbei eine Schlüsselrolle ein“, sagte er auf der BPI-Hauptversammlung. Eine Expertenrunde sprach hier über die Digitalisierung des Gesundheitswesens – die Deutschland lange Zeit verschlafen hat. Doch inzwischen kommt Bewegung in die Sache.

„Der erste Corona-PCR-Test – der allererste Test, der es überhaupt möglich gemacht hat, SARS-CoV-2-Virus zu erkennen – kam aus Deutschland“, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der für ein Grußwort virtuell zugeschaltet war. Und auch ein erster Impfstoffkandidat komme aus Deutschland. „Das gibt doch schon Zuversicht und auch ein Stück Stolz auf unsere Wissenschaft, auf die Innovationskraft unserer Wirtschaft, auf das, was wir auch im Bereich von Biotech und Diagnostik an Strukturen haben“.

Es gehe darum, das weiter zu stärken. Und als Europäische Union „souveräner“ zu werden – „gerade in diesem wichtigen Bereich von Biotechnologie, pharmazeutischer Industrie, Medizinprodukten“. Für Spahn heißt das auch: „Durch staatliche Rahmensetzung und Unterstützung Weltligaspieler zu haben, zu halten und zu ermöglichen – aus Deutschland und Europa heraus“.

Jens Spahn. Foto: © Pharma Fakten
Jens Spahn. Foto: © Pharma Fakten

Ein Thema, das hierbei eine Rolle spielt – und welches das Gesundheitsministerium auf die Agenda der EU-Ratspräsidentschaft gesetzt hat: Digitalisierung und Datennutzung. Man habe in der Coronakrise erlebt, „wie viel besser es wäre, das alles schon zu haben – die Vernetzung in Europa direkt von den Patientenakten, die Zusammenführung von Daten, um daraus zu lernen und noch besser zu werden“.

Digital Health in Deutschland: Da geht noch was

Doch Tatsache ist: Gerade die Bundesrepublik hat in Sachen Digitalisierung in den vergangenen Jahren so einiges verschlafen. Das zeigt der „Digital-Health-Index“ der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2018: Deutschland belegte hier Platz 16 von 17. Nur Polen schnitt in Bezug auf den digitalen Wandel im Gesundheitsbereich noch schlechter ab. (Pharma Fakten berichtete.)

Aber: Das könnte sich bald ändern. Denn Jens Spahn und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) „waren sehr, sehr fleißig“, erklärte Dr. Henrik Matthies vom „health innovation hub“, das Ansprechpartner für digitale Transformation sein will. „Sie haben in 32 Monaten 34 Gesetze verabschiedet“. 28 Gesetze berücksichtigten digitale Themen, sechs Gesetze hatten sogar die Digitalisierung als Schwerpunkt. „Das gab es noch nie in Deutschland, das gab es auch von keinem anderen Ministerium bisher. Da ist also wirklich viel auf den Weg gebracht worden“, so Matthies. Nun komme ab Januar 2021 die elektronische Patientenakte (ePA); das elektronische Rezept ist ab Sommer 2021 geplant. 

„Corona hat dramatisch verändert, wie auch in Deutschland Digitales angenommen wird“, so Matthies. Stichwort Corona-Warn-App: „Niemand hätte gedacht, dass eine digitale App von so vielen Menschen genutzt wird“. Matthies betonte: „Wenn wir es nicht schaffen […], Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen erfolgreich umzusetzen, wird der Markt, werden Unternehmen insbesondere aus den USA und China definieren, was in Zukunft noch unser Gesundheitswesen ausmacht, was möglich ist und wo die Daten wie verarbeitet werden“. Dem müsse man dringend etwas entgegensetzen.

Digital Health: In Deutschland ist noch Luft nach oben. Foto: ©iStock.com/ipopba
Digital Health: In Deutschland ist noch Luft nach oben. Foto: ©iStock.com/ipopba

Mit innovativen Technologien Krankheiten heilen

Wie Matthies hatte auch Unternehmer und Autor Frank Thelen nur gute Worte für die Arbeit von Spahn übrig – er mache „einen guten Job“. In seinem Impulsvortrag gab der IT-Experte einen Überblick über diverse digitale Technologien – darunter Robotik, 3D-Druck, 5G-Netz oder die sog. Blockchain-Technologie. Als „die wichtigste Erfindung der Menschheit“ bezeichnet Thelen die Künstliche Intelligenz. „Das wird sich exponentiell entwickeln“, ist er sich sicher.

Eine „Revolution“ sei auch das „Quantum Computing“. Gerade in komplexen Bereichen werden diese Hochleistungsrechner „einen unfassbar starken Sprung” nach sich ziehen – etwa in der Medizin bei der Genschere Crispr-Cas9. „Die DNA ist am Ende des Tages auch Information. Unfassbar, wir haben den besten Speicher der Welt in uns eingebaut“ – da könne jedes iPhone einpacken. „Wir haben es geschafft, das zu entschlüsseln“. Und: „Wir können mit einer Schere dort reinschneiden und Dinge verändern“, so Thelen. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, viele Krankheiten zu heilen, wenn wir es richtig machen“.

Thelen betonte: Wer nicht digitalisiere, der könne diese ganzen Technologien nicht nutzen. „Deswegen ist Digitalisierung so unfassbar wichtig.“ Gerade bei Quantencomputern und Künstlicher Intelligenz passiere momentan enorm viel: „Das wird neue Medikamente ermöglichen“.

Thelen: „Es sterben Menschen, weil wir Angst vor Daten haben“

Digitalisierung: Das wird – zumindest in Deutschland – kaum ohne das Thema Datenschutz diskutiert. Auch in der Gesprächsrunde von Thelen, Matthies, Feldmeier und Dr. Frank-Ullrich Schmidt vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) blieb das nicht aus. „Die Furcht vor der Diskussion, wie wollen wir eigentlich mit Daten umgehen, hat in Deutschland in den letzten 15 Jahren signifikant dazu beigetragen, dass wir im Gesundheitswesen fast gar nichts verändert haben“, kritisierte Matthies. Thelen erklärte vor dem Hintergrund der Coronapandemie: „Es sterben Menschen, weil wir Angst vor Daten haben“. Der Standard müsse immer erstmal sein, „dass ich meine Daten teile“. Und bei Bedarf könne man das dann abschalten. Er hofft, dass „Europa da eine neue Herangehensweise zu Daten findet“.

oben links: Frank Thelen; unten links: Henrik Matthies; oben rechts: Hans-Georg Feldmeier; unten rechts: Frank-Ullrich Schmidt. Foto: © Pharma Fakten
oben links: Frank Thelen; unten links: Henrik Matthies; oben rechts: Hans-Georg Feldmeier; unten rechts: Frank-Ullrich Schmidt. Foto: © Pharma Fakten

In drei Jahren werde es ganz normal sein, „dass man seine Daten digital über die ePA hat, mit einem Healthcare Professional teilt, […] immer die Möglichkeit hat, diese Daten pseudonymisiert oder anonymisiert der Forschung zu spenden“, glaubt Matthies. Feldmeier vom BPI wünscht sich eine „patientenfreundliche“ Digitalisierung, die nicht dazu führt, „dass die Welt kälter wird“. Für die pharmazeutische Industrie sei es „wichtig, dass wir eine Distributionskette haben mit öffentlichen Apotheken, die sehr nah an unseren Patienten ist. Und ich bin dafür, dass es auch dabeibleibt. Ich bin dafür, dass wir neben digitalen Gesundheitsanwendungen natürlich nach wie vor eine breite Arzneimittelproduktion brauchen werden“ – mit Menschen als Akteuren.

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