Herr Dr. Schmidt, was haben Emissionen aus fossilen Brennstoffen mit menschlicher Gesundheit zu tun?
Dr. Wolfram Schmidt: Zum einen kurbeln sie den Klimawandel und damit die globale Erderwärmung an: Hitzewellen werden wahrscheinlicher, die klimatischen Bedingungen für die Übertragung und Verbreitung von Infektionskrankheiten besser (s. Pharma Fakten). Zum anderen bringen sie eine immense Luftverschmutzung mit sich. Schon heute leben 91 Prozent der Weltbevölkerung in Regionen, in denen nicht mal der Mindestwert aus den Luftqualitätsleitlinien der Weltgesundheitsorganisation erfüllt wird. Dabei kann das den Verlauf zahlreicher Krankheiten negativ beeinflussen. Die durch die Emission von Brennstoffen bedingte Luftverschmutzung führt jährlich zu fast neun Millionen Todesfällen. Hinzu kommt, dass zahlreiche weitere Menschen gesundheitliche Schäden davontragen. Ohne die Emissionen fossiler Brennstoffe würde die mittlere Lebenserwartung weltweit um 1,1 Jahre steigen. Andersherum könnte man sagen: Jedem Menschen auf unserem Planeten wird aktuell rund ein Jahr seines Lebens genommen.
Welche Menschen leiden besonders unter den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise und der Luftverschmutzung?
Schmidt: Wie so oft in Krisen trifft es diejenigen, die ohnehin schon zu den besonders vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft gehören, tendenziell am schlimmsten. Laut Dr. Aaron Bernstein von der Harvard T.H. Chan School of Public Health, der sich als Wissenschaftler mit den Zusammenhängen von Klima und Gesundheit beschäftigt, zeigen Daten, dass Luftverschmutzung unter anderem die Gehirne von Kindern schädigen kann. Auch sieht er Anzeichen dafür, dass Luftverschmutzung den Zustand von Menschen mit Hirnkrankheiten wie Parkinson oder Alzheimer verschlechtern kann. Neben Kindern und Menschen mit Vorerkrankungen gelten außerdem Personen mit geringerem sozioökonomischem Status als besonders gefährdet. Denn Faktoren wie Bildung, Einkommen, Lebensbedingungen und der Zugang zu medizinischer Versorgung sowie Präventionsangeboten haben Einfluss auf die Gesundheit.
Das heißt: Beim Kampf gegen Klimakrise und Luftverschmutzung geht es auch um einen Kampf gegen zunehmende Chancenungleichheiten?
Schmidt: Genau. Die Zeit drängt: Denn nach einer Studie der Weltbank könnte der Klimawandel bis 2030 zusätzliche 100 Millionen Menschen in die Armut treiben.
Biogen hat im vergangenen Jahr die Initiative „Healthy Climate, Healthy Lives“ gestartet. Was bedeutet das genau?
Schmidt: Als biopharmazeutisches Unternehmen, das sich dem Ziel verschrieben hat, schwere neurologische Erkrankungen zu besiegen, wollen wir einen Beitrag leisten, um die verheerenden gesundheitlichen Folgen von Klimawandel und Luftverschmutzung zu bekämpfen. Schon vor sieben Jahren wurde Biogen als erstes Biotech-Unternehmen C02-neutral. Mit der Initiative „Healthy Climate, Healthy Lives“ wollen wir unserer Vorreiterrolle gerecht bleiben und unsere Verpflichtungen weiter steigern. Dazu investiert Biogen 250 Millionen US-Dollar: Es reicht nicht mehr, „nur“ C02-neutral zu sein. Stattdessen müssen wir grundlegend hinterfragen, wie wir leben und wirtschaften.
Hat die Initiative konkrete Zielvorgaben?
Schmidt: Ja, unser Hauptziel ist es, in zwanzig Jahren vollständig unabhängig von fossilen Brennstoffen zu werden. Das heißt: Bis 2040 wollen wir unsere komplette Geschäftstätigkeit auf erneuerbare Energieträger umstellen. Und wir gehen noch weiter: Zum Beispiel beabsichtigen wir, über unser Unternehmen hinaus unsere Beschäftigten dabei zu unterstützen in ihren Häusern auf fossile Brennstoffe zu verzichten; wir wollen andere Institutionen in ihren Anstrengungen für mehr Klimaschutz fördern; wir regen unsere Lieferanten dazu an, ebenfalls von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden. So streben wir unter anderem an, dass sich 80 Prozent der Zulieferfirmen bis 2025 zu wissenschaftlich fundierten Klimazielen verpflichten.
Die Klimakrise kann keine Person, kein Unternehmen, kein Land allein bewältigen. Inwiefern spielen Partnerschaften eine Rolle für Biogen?
Schmidt: Im Rahmen unserer Initiative arbeiten wir mit weltweit führenden Forschungseinrichtungen zusammen. Denn effizienter Klimaschutz ist eine Mammut-Aufgabe, die nur gemeinsam gestemmt werden kann. In Partnerschaft mit dem US-amerikanischen „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) sollen neue Modelle erstellt werden, die darstellen können, wie sich verschiedene Klimaschutzmaßnahmen auf die menschliche Gesundheit weltweit auswirken. Biogen und das „Center for Climate, Health, and the Global Environment“ der Harvard T.H. Chan School of Public Health entwickeln gemeinsam neue Ansätze, um die medizinischen Versorgungszentren gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu rüsten. Darüber hinaus tun wir uns mit vielen weiteren Unternehmen und Organisationen weltweit zusammen.
Warum ist die Initiative „Healthy Climate, Healthy Lives“ in Ihren Augen so wichtig?
Schmidt: Die Klimakrise schreitet voran und die damit zusammenhängenden Herausforderungen verschärfen sich zunehmend. Es braucht daher jetzt entschlossenes Handeln, wollen wir vermeiden, dass Klimakrise und Luftverschmutzung noch mehr Leben fordern, noch mehr gesundheitliche Schäden anrichten und zu noch mehr Chancenungleichheit führen. Hinter der Initiative „Healthy Climate, Healthy Lives“ steht die Vorstellung von einer Welt, in der jeder Mensch ein gesundes Leben in einem gesunden Klima führen kann.