Um es vorwegzunehmen: Dafür, dass der Urnengang vor der Tür steht, ging es ausgesprochen friedlich zu. Das dürfte daran liegen, dass sich alle Vertreter der anwesenden Parteien darüber einig waren, dass die Biotechnologie als eine Schlüsselindustrie gefördert werden muss. Insofern präsentierte sich in Frankfurt eine RieGroKo – eine Riesen-Große-Koalition.
Den Impuls zur Diskussion steuerte Olaf Weppner, Deutschland-Geschäftsführer von AbbVie Deutschland, bei: „Die vergangenen Monate haben eindringlich gezeigt, was die Gesundheitswirtschaft und insbesondere die forschende Pharmaindustrie in kürzester Zeit zu leisten vermag. Sie hat unter Beweis gestellt, wie hoch ihr gesellschaftlicher Beitrag und Nutzen ist.“ Als Beispiel nannte er die Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe und die Bereitstellung großer Produktionskapazitäten. Dieses Jahr können laut Weppner zehn Milliarden, im kommenden bereits 20 Milliarden Dosen hergestellt werden. Deutschland habe hier einen entscheidenden Beitrag geleistet.
Pharmaindustrie sieht politischen Handlungsbedarf
Alles gut also? Der AbbVie-Chef sieht konkreten Handlungsbedarf und machte auf drei Punkte aufmerksam:
- Gesundheitsdaten: Weil der Zugang zu medizinischen Daten ein „zentraler Schlüssel für den medizinischen Fortschritt und die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ sei, müssten die bereits getroffenen politischen Entscheidungen weiterentwickelt werden: „Wir als private Forschung brauchen die Option, einen Antrag auf anonymisierte und pseudoanonymisierte Daten beim Forschungsdatenzentrum stellen zu können.“ Sie könnten bei der Entwicklung von Biomarkern für innovative, personalisierte Therapien oder beim Nachweis vom Nutzen neuer Medikamente eine wichtige Rolle spielen. Zurzeit ist ein solcher Zugang der Industrie nicht vorgesehen.
- Förderung der Biotechnologie: Die Pandemie habe gezeigt, welchen Nutzen diese Technologie hat: „Wer Zukunft denkt, muss Biotechnologie fördern.“ Deutschland – eigentlich ein Pionier in diesem Bereich – trete auf der Stelle, so Weppner. Das zeige der Vergleich mit den USA oder Südkorea – sowohl mit Blick auf die Produktionskapazitäten als auch die Zahl der klinischen Studien. Sorgen machen dem AbbVie-Chef Überregulierung und die Tendenz „preisgetrieben zu agieren.“
- Schutz des geistigen Eigentums: Den Überlegungen, den Patentschutz gerade für COVID-19-Impfstoffe zu lockern oder auszusetzen, erklärte Weppner eine entschiedene Absage: „Medizinischer Fortschritt und Innovation sind genau auf diesen Schutz angewiesen.“
Von der neuen Bundesregierung erhofft sich der Manager einen international wettbewerbsfähigen Regulierungsrahmen – schon wegen der schnell wachsenden Konkurrenz aus anderen Regionen der Welt.
Dr. Michael Meister von der CDU, gleichzeitig Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, sieht zwar für den Biotechnologiestandort Deutschland eine gute Ausgangslage, aber auch Verbesserungsbedarf; z.B. bei der so genannten Translation: „Wir haben eine exzellente Grundlagenforschung, aber wir haben das Problem, wie wir wirklich zur Anwendung kommen“; sprich: auf die Straße, oder – um bei der Gesundheit zu bleiben – ans Krankenbett. Sprich: Die Ideen sind da. Es hapert bei der Umsetzung.
Zugang zu Daten als Chance begreifen
FDP-Mann Mario Brandenburg kritisierte, dass private Anbieter wie Pharmaunternehmen beim Zugang zu Gesundheitsdaten ausgeschlossen werden. Mit solchen Entscheidungen vermittele die Politik nicht gerade Vertrauen. Nur: „Am Ende des Tages kamen alle Impfstoffe aus der Privatwirtschaft.“ Soll heißen: Einer der wesentlichen Treiber von medizinischer Forschung – die pharmazeutische Industrie – ist in Deutschland auf Gesundheitsdaten aus Israel, den USA oder Mexiko angewiesen, weil ihr hierzulande der Zugang zu wichtigen Daten verweigert ist. Michael Meister ergänzte: „Anstatt ständig über Risiken zu reden, sollten wir der Bevölkerung klar machen, welche Chancen darin bestehen, dass man individuell zugeschnitten eine genaue Medikation bekommen kann.“ Und das geht nur, wenn die Digitalisierung Einzug in die Forschung erhält.
Auch das Dauerthema Bürokratie blieb nicht außen vor: Olaf Weppner beschrieb, dass selbst ein Unternehmen mit den Ressourcen von AbbVie für Bearbeitung und Antragstellung von Forschungsförderung regelmäßig externe Berater engagieren muss – so kompliziert sei das. Für Sören Bartol (SPD) muss es darum gehen, die Verwaltung dazu zu befähigen, „auf Augenhöhe zu funktionieren: Wir müssen uns gerade im Hinblick auf die Pandemie fragen: Was macht Prozesse langsam? Wir müssen unsere Verwaltung in die Lage versetzen, vernünftig mitzuspielen.“ Er hofft, dass es gelingen kann, die guten Erfahrungen aus den vergangenen Monaten, in denen schnellere Verfahren möglich waren, in die Nachpandemiezeit zu retten. Für den hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, (Bündnis 90/ Die Grünen) muss bei aller Beschleunigung immer klar sein, dass „hier nicht irgendetwas durchgewunken wird.“ Stichwort: Vertrauen.
Patente: Basis dafür, dass geforscht wird
Breite Einigkeit gab es bei der Diskussionsrunde beim Thema Patente. Der Schutz des geistigen Eigentums sei die „Basis, dass geforscht wird“ (FDP-MdB Brandenburg) bzw. „essentiell“ (Bartol, SPD). Al-Wazir ergänzte: „Wenn man sich auf Patentschutz nicht mehr verlassen könnte, hätte das schlechte Auswirkungen auf Investitionen in der Zukunft“. Mit CDU-Mann Meister war er sich einig, dass die Aufhebung des Patentschutzes auch die internationale Ungleichverteilung von Impfstoffen nicht gelöst hätte. Meister ergänzte: Wenn man das lösen wolle, müsse man eben kostengünstig hierzulande produzierten Impfstoff in andere Regionen liefern – das sei aber eine politische Frage und deshalb kein Industriethema. Oder man könne Lizenzen vergeben, um vor Ort Kapazitäten aufzubauen. Auch dafür müsse man am Patentschutz nicht rütteln.