Impfen in der Apotheke? Darüber diskutierten Expert:innen bei einer Digital-Veranstaltung im Rahmen des Europäischen Gesundheitskongresses. Foto: ©iStock.com/Jens Domschky
Impfen in der Apotheke? Darüber diskutierten Expert:innen bei einer Digital-Veranstaltung im Rahmen des Europäischen Gesundheitskongresses. Foto: ©iStock.com/Jens Domschky

Impfen in der Apotheke: Impfquoten erhöhen, Omikron-Variante bekämpfen

„Impfen in der Apotheke“: Spätestens seit dem Auftauchen der Omikron-Variante des Coronavirus wird dieses Thema leidenschaftlicher diskutiert als je zuvor. Das war auch bei der letzten Digital-Veranstaltung des Europäischen Gesundheitskongresses im Jahr 2021 so. Der Gesundheitsökonom und Versorgungsforscher Prof. Herbert Rebscher meinte: „Wir brauchen 30 Millionen Booster-Impfungen bis Weihnachten – da muss jeder impfen dürfen, der eine Spritze halten kann.“

Doch der Reihe nach: Zu Beginn wurden mehrere Modellprojekte zum „Impfen in der Apotheke“ vorgestellt, die sich in der aktuellen Pandemiephase noch als ausgesprochen segensreich erweisen könnten – auch wenn es dort nicht um Corona-Impfungen, sondern um Grippeschutz-Impfungen geht. Alle Projekte verfolgen die gleichen Ziele:

  • Impfquoten erhöhen
  • Zusätzliche und niedrigschwellige Impfangebote machen
  • Die Wahrnehmung bzgl. der Wichtigkeit von Impfungen erhöhen
Ein Ziel: Impfquoten erhöhen. Foto: ©iStock.com/Inside Creative House
Ein Ziel: Impfquoten erhöhen. Foto: ©iStock.com/Inside Creative House

Rebecca Zeljar, stellvertretende Leiterin des vdek (Verband der Ersatzkassen), berichtete von einem auf zwei Jahre angelegtes Projekt, an dem derzeit elf Apotheken in Berlin teilnehmen. „Bei den über 60-Jährigen liegt die Influenza-Impfquote teilweise unter 30 Prozent“, erklärte Zeljar. Trotzdem musste sie viele Gespräche mit Ärzteverbänden führen, bevor im November die ersten Apotheker:innen Influenza-Impfungen durchführen konnten. „Wie wollen keinem etwas wegnehmen“, betonte Zeljar – sondern das Programm sei als Ergänzung zu ärztlichen Impfangeboten gedacht.

Impfen in Apotheken: Erfolge in anderen Ländern

Auch Christine Sabic, Geschäftsbereichsleiterin für Ambulante Versorgung bei der AOK in Bayern, legt Wert darauf, dass es „keinen Konkurrenzkampf mit Ärzten“ geben solle. Sabic begleitet ein Modellprojekt in der Oberpfalz, das Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die Schweiz zum Vorbild hat. „Dort feiern Grippeschutz-Impfungen in den Apotheken große Erfolge und führen zu einer Erhöhung der Durchimpfungsrate“, so Sabic. Ob das in der Oberpfalz genauso sein wird, muss sich noch zeigen. Der Start in der vorigen Grippesaison verlief eher zäh – mit 358 Impfungen in 51 Apotheken. „Das war eine geringere Beteiligung als gewünscht“, räumte Sabic ein, „aber dort, wo es gemacht wurde, gab es lauter positive Rückmeldungen und keinerlei Komplikationen.“

Bei einem Modellprojekt im Saarland – mit 31 Apotheken in 24 Orten – konnten die Geimpften Fragebögen ausfüllen. Mit einem für Jutta Bartmann von der AOK Saarland/Rheinland-Pfalz überaus erfreulichen Ergebnis: „Über 90 Prozent waren sehr zufrieden und würden sich wieder impfen lassen“, erklärte sie, „und 24 Prozent der erstmalig Geimpften hätten sich nicht impfen lassen, wenn es das Angebot nicht gegeben hätte.“ Zudem gab es bei den 335 Impfungen keine einzige akute schwerwiegende Impfreaktion und somit auch keine Notfall-Maßnahmen.

Modellprojekte: Impfen in der Apotheke. Foto: ©iStock.com/Jens Domschky
Modellprojekte: Impfen in der Apotheke. Foto: ©iStock.com/Jens Domschky

Insgesamt laufen derzeit in neun Bundesländern Modellprojekte zum „Impfen in der Apotheke“. Josef Kammermeier, stellvertretender Vorsitzender des bayerischen Apothekerverbandes, rechnete vor, weshalb das sinnvoll ist: „Wenn wir 75 Prozent Impfquote bei der Influenza hätten, dann gäbe es pro Jahr 14.000 weniger Todesfälle, 31.000 weniger Krankenhaus-Einweisungen und es gingen eine Million weniger Arbeitstage verloren.“ 13 Länder in Europa hätten solche Impfungen in der Apotheke inzwischen eingeführt – alle mit positiven Ergebnissen.

Booster-Impfungen könnten schnell starten

Apotheker:innen können aber nicht nur Influenza-Impfungen verabreichen, sondern in der jetzigen Phase der Corona-Pandemie auch Booster-Impfungen. „Wenn der Gesetzgeber es will, machen wir diese Auffrisch-Impfungen“, so Kammermeier, „die Apotheken aus den Modellprojekten wären am schnellsten einsatzfähig.“ Bevor sie loslegen, müssen die Apotheker:innen Schulungen absolvieren und Räume für die Impfungen einrichten – beides ist in den Modellapotheken längst passiert. „Es ist also kein Problem der Organisation und würde ein wichtiges Zeichen setzen“, ergänzte Gesundheitsökonom und Versorgungsforscher Herbert Rebscher. Berufsrechtliche Einwände von Seiten der Ärzteschaft lässt Rebscher, zumindest in der derzeitigen Lage, nicht gelten: „Wegen der geringen Corona-Impfquote müssen Grundrechte eingeschränkt werden – im Vergleich dazu betrachte ich das Berufsrecht als nachrangig. Nach der Pandemie werden wir berufsrechtliche Debatten führen, aber jetzt müssen wir gegen Corona impfen.“ Rebscher wandte sich zum jetzigen Zeitpunkt auch gegen „Vergütungsdebatten“, wie sie der Facharzt und Moderator Prof. Jörg Schelling mit der Bemerkung angeregt hatte, dass „acht Euro Honorar für eine Viertelstunde“ nicht attraktiv seien. Rebscher dazu: „Wir setzen die Bundeswehr im Kampf gegen Corona ein, die Impfzentren arbeiten zum Teil mit Ehrenamtlichen – da sollten wir jetzt keine Vergütungsdebatten führen.“ Das Impfen in der Apotheke könnte in der Corona-Pandemie schon bald dazu beitragen, die Booster-Impfungen rasch zu verabreichen. „Für alles andere“, so Herbert Rebscher, „haben wir danach noch Zeit zur Diskussion.“

Der Internist und FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann betonte in der Diskussionsrunde auch: „Apotheker, das ist kein akademischer Verkäufer, sondern ein Heilberuf. Ich begrüße solche Modelle, auch in Kooperation mit Ärzten.“ Überhaupt solle man „für viele Ideen offen sein“. Denn: „Es geht darum, wie wir Patientinnen und Patienten besser versorgen können, gerade in ländlichen Gegenden. Der Patient steht im Mittelpunkt“.

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