„Was die medizinische Forschung und Entwicklung angeht, leben wir in sehr, sehr spannenden Zeiten“, konstatierte LAWG-Vertreter Heinrich Moisa, Country President beim forschenden Pharmaunternehmen Novartis in Deutschland. Bahnbrechende Innovationen „lassen die Lebenserwartung steigen – in der Bundesrepublik sind wir bei etwa 82 Jahren.“ Gleichzeitig generiert eine „starke industrielle Gesundheitswirtschaft […] gute Arbeitsplätze, sorgt für Exporte, schafft Wohlstand – und dies im Übrigen ohne milliardenschwere Subventionen.“ Auch für die Zukunft ist der Experte optimistisch: „Wir lernen immer mehr von der Zellbiologie – unser Verständnis wächst von Tag zu Tag.“ Neue Tools wie etwa Technologien der Künstlichen Intelligenz bieten neue Möglichkeiten, „um die Forschung weiter voranzutreiben.“
Durchbruch, Revolution, Gamechanger: Zell-/Gentherapien wie CAR-T
Insbesondere mit Zell- und Gentherapien ist laut Moisa „ein Durchbruch in der medizinischen Versorgung“ schwerkranker Patient:innen gelungen. Die Wirkmechanismen „faszinieren und sind verblüffend einfach von der Logik her: So können zum Beispiel defekte Gene überschrieben werden – eine Ursache der Krankheit.“ Bei der CAR-T-Zelltherapie in der Onkologie werden den Betroffenen Immunzellen aus dem Körper entnommen; „sie werden modifiziert und so programmiert, dass sie – wenn sie zurück in den Körper injiziert werden – als Therapie gezielt Krebszellen suchen, bekämpfen und jagen.“ So geben Zell- und Gentherapien die Hoffnung, das Voranschreiten von Erkrankungen zu stoppen oder gar zu heilen.
Krebsspezialist Prof. Dr. med. Lars Bullinger, Charité – Universitätsmedizin Berlin, erklärte: „CAR-T-Zellen […] haben mit dazu beigetragen, dass die Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren revolutioniert wurden. […] Das sind Präparate, mit denen man heute Patienten heilen kann, die vor einigen Jahren gestorben sind.“ Prof. Dr. med. Marion Subklewe, Oberärztin der Medizinischen Klinik III am Klinikum der Universität München (LMU), sprach diesbezüglich von einer „neuen Ära“. Nicht nur in klinischen Studien, auch im Alltag der medizinischen Versorgung bestätigen sich die guten Ansprechraten und der Behandlungserfolg.
Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland stärken
In der Forschung passiert daher weiter viel: Schließlich ist es das Ziel, dass mehr Menschen von derartigen Innovationen profitieren können – so zum Beispiel Patient:innen mit soliden Tumoren oder mit Krankheiten außerhalb der Onkologie.
„Deutschland und seine Forschungseinrichtungen spielen eine sehr wichtige Rolle in der Grundlagenforschung für Gen- und Zelltherapien“, sagte Novartis-Deutschland-Chef Moisa. „Wir müssen uns aber anstrengen, um weltweit bei der Entwicklung und Markteinführung nicht den Anschluss zu verlieren“ – gerade in Bezug auf die USA und China. „Was die Translation der Grundlagenforschung in die Entwicklung, in die Praxis angeht“, könne „Deutschland besser werden.“
Mediziner Bullinger findet, man müsse „mehr in klinische Studien investieren.“ Außerdem gilt es, so Moisa, Bürokratie abzubauen. Dem stimmte der Facharzt für Innere Medizin und FDP-Politiker Prof. Dr. Andrew Ullmann, Mitglied des Deutschen Bundestages, zu. Im internationalen Wettbewerb sei es hinderlich, wenn die Prozesse zu langsam sind und vieles „auf Papier“ läuft. „Wir müssen entschieden in die Digitalisierung investieren. Sie ist ein großer Innovationstreiber, der uns voranbringen wird“, ergänzte Moisa. Er resümierte: „Wir brauchen mehr Mut für die Zukunft.“
CAR-T zu den Patient:innen bringen: Zu selten, zu langsam
Ullmann wiederholte mit Blick auf den Koalitionsvertrag das Bekenntnis der Bundesregierung, „dass Innovationen gefördert werden und rasch in die Versorgung eingehen sollen“. Doch wie klappt das aktuell mit der Umsetzung, wie gut gelangen Innovationen wie CAR-T-Zelltherapien zu den Menschen?
Über die Bundesrepublik verteilt gibt es 26 spezialisierte Zentren, in denen Patient:innen mit CAR-T-Zelltherapien behandelt werden können. Die Anzahl sei „ausreichend“, meint Prof. Dr. med. Marion Subklewe, LMU. Allerdings würden bislang nicht alle Menschen, die für diese Behandlung in Frage kommen, erreicht. Rainer Göbel, Vorsitzender der Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe, berichtete, dass die Nachfrage nach Informationen zu CAR-T in den Beratungen mit Patient:innen nicht hoch sei. Er vermutet, dass der Bekanntheitsgrad noch nicht groß genug ist – es gibt „Nachholbedarf“.
Subklewe verwies zudem auf Daten, wonach der Behandlungserfolg in Europa nicht so groß ist wie in den USA. Ein Grund: Die Zeit, die hierzulande zwischen Vorstellung der Betroffenen und Therapiebeginn vergeht, ist relativ lang – währenddessen verschlechtert sich der Gesundheitszustand häufig. „Es wurde gerade eine Studie im Fachblatt New England Journal publiziert: Hier wurden die Zeitintervalle zwischen Indikation und Infusion angeguckt. In den USA sind es 41 Tage und in Europa sind es 57 Tage.“ Das zeigt, „dass wir in Europa ein Problem in der Geschwindigkeit der Umsetzung haben.“ Zusätzlich komme hinzu, „dass wir Patienten haben, die sich erst in einem schlechteren Gesamtzustand bei uns am Zentrum vorstellen.“ Laut Subklewe braucht es unter anderem mehr Vernetzung im Gesundheitswesen: zwischen ärztlichen Praxen, nicht-akademischen und akademischen Einrichtungen – damit Patient:innen (schneller) den Weg zur Therapie finden.
Eine weitere Hürde: Innovationen wie CAR-T-Zelltherapien bringen so spezielle Anforderungen mit sich, dass sie nicht in die klassische Versorgungslandschaft passen und im bestehenden System nicht wie gehabt abgerechnet werden können. Sie fallen daher in Sachen Kostenerstattung in die Kategorie der NUBs – „Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“. Doch dabei gibt es Probleme: „Es ist für jedes CAR-T-Zell-Zentrum im Endeffekt unattraktiv CAR-T-Zell-Patienten zu behandeln, weil wir […] unterfinanziert sind“, so Subklewe. Prof. Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), sieht darin eine wichtige Aufgabe dieser Wahlperiode.