Seit Anfang des Jahres dürfen Apotheker:innen unter bestimmten Voraussetzungen COVID-19-Impfstoffe verimpfen. Die Regelung läuft Ende des Jahres aus. Foto: ©iStock.com/Sumetee Theesungnern
Seit Anfang des Jahres dürfen Apotheker:innen unter bestimmten Voraussetzungen COVID-19-Impfstoffe verimpfen. Die Regelung läuft Ende des Jahres aus. Foto: ©iStock.com/Sumetee Theesungnern

Prävention stärken: Impfen in der Apotheke

Seit Anfang des Jahres dürfen Apotheker:innen unter bestimmten Voraussetzungen COVID-19-Impfstoffe verimpfen. Es ist eine Regelung, die Ende des Jahres ausläuft. Angesichts der mittelmäßigen Impfquoten in Deutschland fragt man sich warum. Ein Gespräch mit Ramin Heydarpour, Apotheker und Manager beim forschenden Pharmaunternehmen Pfizer.

Herr Heydarpour, wo stehen wir in Deutschland mit dem Impfen in Apotheken?

Ramin Heydarpour: Am Anfang. Nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes dürfen Apotheker:innen seit Mitte Februar gegen SARS-COV-2 impfen – eine Regelung, die aber Ende des Jahres auslaufen soll. Begonnen hat alles mit einem Modellprojekt, bei dem es vor zwei Jahren einigen Apotheken ermöglicht wurde, Grippeschutzimpfungen zu verabreichen. Immerhin: Die Zeit der Modellprojekte bei der Grippe ist nun vorbei. Der Bundestag hat gerade den Weg für die Grippeimpfung in Apotheken in ganz Deutschland freigemacht.

Die Modellprojekte haben also etwas gebracht?

Ramin Heydarpour, Apotheker & Manager bei Pfizer. Foto: ©Kathrin Harms
Ramin Heydarpour, Apotheker & Manager bei Pfizer. Foto: ©Kathrin Harms

Heydarpour: Die Auswertungen stimmen mich sehr positiv. 100 Prozent der Befragten, die in der Modellregion Nordrhein gegen Grippe geimpft wurden, bewerten die erhaltenen Informationen zur Impfung als gut oder sehr gut und waren mit dem Service der Apotheke ziemlich oder sehr zufrieden. Jeder Zweite sagte, sie hätten sich ohne das Angebot in der Apotheke definitiv nicht impfen lassen; 98 Prozent erklärten, dass sie sich dort auch sicher oder wahrscheinlich gegen andere Erkrankungen impfen lassen würden. Im Saarland würden neun von zehn erneut zur Impfung in die Apotheken kommen. Das zeigt: Wir erreichen damit definitiv Menschen, die sich sonst nicht impfen lassen würden. Nicht, weil sie gegen das Impfen sind, sondern, weil es für sie zu viel Aufwand ist.

Impfen in der Apotheke macht das Impfen einfacher?

Heydarpour: Es schafft ein Mehr an Möglichkeiten, es ist in der Regel ohne Termin möglich. Im Grunde ist es ein Impfschutz-to-go. Und einfacher muss es definitiv werden: In der so genannten Risikogruppe, also zum Beispiel bei älteren Menschen oder chronisch Kranken, erreichen wir bei Influenza nur 38,8 Prozent. Um einen Gemeinschaftsschutz zu erreichen, sollten es 75 Prozent sein.

Was hat das für Folgen?

Heydarpour: Leider wird das Influenza-Virus unterschätzt. Gerade bei älteren Menschen steigt das Herz- und Schlaganfallrisiko nach Infektion erheblich. Und auch an Folgekomplikationen wie eine mögliche Lungenentzündung wird zu wenig gedacht. In einem Land mit einer demografischen Entwicklung wie Deutschland sollte es schon aus Gründen der öffentlichen Gesundheit das Ziel sein, dass sich mehr Menschen vor den so genannten impräventablen Krankheiten schützen.

Wir lassen also Möglichkeiten der Prävention liegen?

Heydarpour: Während wir in der Pandemie die größte Impfkampagne aller Zeiten fahren, geht die Zahl der Standardimpfungen zurück. Es ist ein regelrechter Einbruch – allein im ersten Halbjahr ein Minus von 27 Prozent. Besonders stark war der Rückgang bei Pneumokokken, aber im Grunde sind alle Standardimpfungen betroffen. Dabei muss man sich vor Augen führen: Jede nicht durchgeführte Impfung steht potenziell für den Ausbruch einer Krankheit, die nicht sein müsste.

Sollten Apotheken also auch zukünftig verstärkt impfen?

Heydarpour: Apotheker:innen sind Heilberufler. Sie genießen in der Bevölkerung ein großes Vertrauen. Es gibt rund 18.000 Apotheken in Deutschland – sie sind fast immer um die Ecke. Gegenfrage: Warum sollten wir auf die Kompetenz und die Präsenz dieser Fachleute verzichten, wenn wir nicht nur aus unseren Modellprojekten, sondern auch aus dem Ausland wissen: Die Impfquoten steigen. Und es werden mehr Erstimpflinge erreicht.

Wie sind die Erfahrungen im Ausland?

Impfen in Apotheken: Impfquoten stärken. Foto: ©iStock.com/Jens Domschky
Impfen in Apotheken: Impfquoten stärken. Foto: ©iStock.com/Jens Domschky

Heydarpour: Die Zahl der Länder, die Impfungen in Apotheken anbieten, steigt. In Europa sind es zum Beispiel die Schweiz, Dänemark, Niederlande, Großbritannien, Norwegen oder Schweden. In Frankreich darf seit Oktober 2019 landesweit in allen Apotheken geimpft werden. Das machte den Weg dafür frei, dass sie im März 2021 mit Corona-Impfungen beginnen konnten. Viele Millionen Dosen sind in französischen Apotheken verabreicht worden – ein wichtiger Beitrag zur Eindämmung der Pandemie. Deshalb hat die oberste französische Gesundheitsbehörde die Erweiterungen der Impfkompetenzen für Apotheker:innen empfohlen: Ab Ende 2022 können Apotheken dort alle Totimpfstoffe verimpfen – mit wenigen Ausnahmen.

Gibt es Modellrechnungen, die zeigen, was man durch das Impfen in Apotheken erreichen könnte?

Heydarpour: Die gibt es. Es könnten in Deutschland etwa 7,55 Millionen Menschen zusätzlich gegen Grippeviren, Pneumokokken- und FSME-Erreger geimpft werden. Allein bei den Pneumokokken, die schwere Lungenentzündungen hervorrufen können, könnten damit mindestens 20.487 Krankheitsfälle vermieden werden. Das bedeutet auch: Über 75.000 weniger verlorene Arbeitstage und 19,6 Millionen Euro weniger Krankenhauskosten. Wir gehen auch davon aus, dass sich höhere Impfquoten unter dem Strich rechnen. Ein Beispiel: Kämen die EU-Staaten auf die empfohlene Grippeschutzquote von 75 Prozent, blieben ihnen jährlich über eine Million verlorene Arbeitstage erspart, 1,7 Millionen grippebezogene Krankheitsfälle und 31.400 Krankenhausaufenthalte. Impfen schützt nicht nur, es rechnet sich auch.

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