Arzneimittel schnell auf dem Markt – aber nicht schnell beim Patienten

Medikamente in Deutschland gelangen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schneller auf den Arzneimittelmarkt. Gesundheitsökonom Prof. Dr. Reinhard Busse von der TU Berlin erklärte dies am Montag anhand einer Studie, die er im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes erstellt hatte. Über den Zugang für Patienten zu innovativen Medikamenten sagt dies jedoch nichts aus. Außerdem erscheinen die Zahlen nicht mehr zeitgemäß. Busse bezog sich zumeist auf die Zeit vor Einführung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG).

Prof. Busse präsentierte Grundzüge aus dem 11. Band der Reihe Working Papers in Health Policy and Management am Montag bei einer Pressekonferenz in Berlin. Das rund 90-seitige Werk „Arzneimittelversorgung in der GKV und 15 anderen europäischen Gesundheitssystemen“ ist eine weitere von vielen Studien, die versuchen die unterschiedlichen Bedingungen bei der Erstattung von Arzneimitteln vergleichbar zu machen. Kein einfaches Unterfangen, wie die vorherigen Versuche gezeigt hatten. Der Wissenschaftler hatte die Rahmenbedingungen für Arzneimittelzulassungen und die Erstattungspraxis in Deutschland und anderen europäischen Ländern miteinander verglichen. Für eine Auswertung, die den aktuellen Stand widerspiegelt, fehlten jedoch aktuellere Daten weitestgehend.

Daten der GKV-Studie überwiegend aus der Zeit vor AMNOG

 

Das Fazit: Neue Arzneimittel werden im Vergleich zu anderen Ländern schneller Bestandteil der GKV-Erstattung. Für den Zeitraum zwischen 2006 bis 2010 dauerte dies im Schnitt drei Monate. Und 95 Prozent der Präparate die in dieser Zeit eine europäische Zulassung erhalten hatten, wurden erstattungsfähig. Zum Vergleich: In Holland wurden zur gleichen Zeit die Hälfte der neuen Medikamente erstattet und dies dauerte durchschnittlich neun Monate. Auch seit Einführung des AMNOG hielte sich in Deutschland der Trend, dass Arzneien schnell in die Erstattung kämen. Als Beispiel gab Prof. Busse lediglich das Jahr 2013 an, als acht von neun neuen Medikamenten laut IMS Health im April 2014 für die Patienten erhältlich gewesen seien.

Schneller verfügbar – aber später beim Patienten

Die theoretische Verfügbarkeit sagt freilich  nichts über die tatsächliche Verschreibungspraxis von deutschen Ärzten aus. Genau hier setzt die Kritik der Industrie an. „Im Ergebnis sind neue Medikamente in Deutschland zwar schnell im Markt, erreichen aber die Patienten meist nur langsam“, erklärte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der forschenden Arzneimitelhersteller (vfa), in einer Pressemitteilung des Verbandes. Während die Politik den Zugang der Patienten zu Innovationen sichern wolle, sei die Praxis von schleichender Rationierung geprägt. Seit der Einführung von Durchbruchsarzneien zur Behandlung der chronischen Hepatitis C zum Beispiel trügen viele Ärzte die Sorge, bei zu häufiger Verschreibung der innovativen Medikamente in Regress genommen zu werden.

GKV-Spitzenverband fordert Änderungen am AMNOG

Wie auch der vfa fordert Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, Gesetzesänderungen am AMNOG – allerdings anderer Art. Seiner Auffassung nach solle die Erstattung von Arzneimittelkosten künftig variabler vonstattengehen.  So soll anstelle eines Mischpreises, wie aktuell praktiziert, für ein Medikament je nach Anwendung bei unterschiedlichen Genotypen ein anderer Preis gelten. Aufschlüsse darüber könne man aus der frühen Nutzenbewertung ziehen, die bei der Ermittlung eines Zusatznutzens ebenfalls nach Genotypen unterscheide.

Kritik an Struktur des Gemeinsamen Bundesausschusses

Das für die Beurteilung eines Zusatnutzens verantwortliche Gremium, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ist bei den angewandten Methoden und wegen seiner Struktur jedoch nicht frei von Kritik. „In Deutschland gibt es keine wissenschaftlich neutrale Nutzenbewertung eines Arzneimittels“ sagte Fischer. Der Spitzenverband der Krankenkassen habe auf nationaler Ebene eine dominierende Stellung bei der Bewertung und Preisfindung. „So ist das Preisniveau in Deutschland unter den europäischen Durchschnitt gefallen.“

Erstattungspreise je nach Genotyp

Als Konsequenz einer Kostenerstattung nach Genotyp würden weniger Patienten die neuen Medikamente erhalten. Denn gäbe es nach der Nutzenbewertung ein negatives Ergebnis für einen bestimmten Genotyp, würde die GKV sie von der Erstattung ausschließen. Langzeiterkenntnisse aus der Praxis über eine möglicherweise doch noch enthaltene positive Wirkung nach längerer Anwendung würden so unentdeckt bleiben. Auch die Empfehlungen der ärztlichen Fachgesellschaften und von Patientenverbänden, die sich schon häufig gegen die Bewertungen des G-BA ausgesprochen haben, würden so unberücksichtigt bleiben.

Verwandte Nachrichten

Anmeldung: Abo des Pharma Fakten-Newsletters

Ich möchte per E-Mail News von Pharma Fakten erhalten: