“Medikamente müssen alle erreichen”

Mit der Unterzeichnung der „London Declaration on Neglected Tropical Diseases (NTDs)“ haben sich Weltgesundheitsorganisation (WHO), westliche Industrienationen und Pharmaunternehmen das Ziel gesetzt, vernachlässigte Tropenkrankheiten bis 2020 einzudämmen und einige sogar zu eliminieren. Der dritte Zwischenbericht zur London Declaration fiel insgesamt positiv aus. Wie nah man den Zielen in der Praxis ist, darüber sprach Pharma Fakten mit Prof. KH Martin Kollmann, Vorstand des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) und Leiter der Fachberatergruppe für vernachlässigte Tropenkrankheiten in Kenia für die Christoffel-Blindenmission (CBM).

Welche Krankheiten von den NTDs haben derzeit die gravierendsten Auswirkungen?

Prof. Martin Kollmann: Betrachtet man die Krankheitslast, die in betroffenen Bevölkerungen durch übertragbare tropische Armutskrankheiten verursacht wird, so sind die lymphatische Filariose, die Flussblindheit, das Trachom, die Geohelminthen (v.a. der Hakenwurmbefall), die Schistosomiasis (Bilharziose) und die Leishmaniose die bedeutendsten dieser Erkrankungen, ohne dass die Reihenfolge eine Gewichtung wäre.

Obwohl zahlenmäßig deutlich weniger Menschen betroffen sind, zählt die durch die Tsetsefliege übertragene Afrikanische Schlafkrankheit Human African Trypanosomiasis (HAT) sicher zu einer der verheerendsten Infektionserkrankungen mit oft fatalem Ende. Derzeit gibt es leider immer noch keine guten, sicheren Medikamente.

Welche Fortschritte haben sich bei NTDs aus Ihrer Sicht zuletzt deutlich bemerkbar gemacht?

Prof. Kollmann: Für viele der armutsassoziierten vernachlässigten Tropenkrankheiten haben wir bereits gute Medikamente und Programme – hier gilt es sicherzustellen, dass diese alle Betroffenen erreichen. Bei anderen NTDs besteht noch großer Bedarf an Forschung und Entwicklung für neue Diagnostika, Medikamente, Impfungen und moderne sowie sichere Behandlungsmethoden.

Die größten Fortschritte in der Bekämpfung von NTDs beruhen auf effektiven Public-Private-Partnerships (PPP). In vielen betroffenen Ländern gibt es gute Programme und vielversprechende Ansätze für eine erfolgreiche Bekämpfung der zahlenmäßig relevantesten NTDs. Bei PPP arbeiten lokale öffentliche Gesundheitsdienste, internationale Nichtregierungsorganisationen, Privatunternehmen, die WHO sowie Wissenschaftler mit der Bevölkerung zusammen, um Medikamente und Behandlungsmethoden erfolgreich zu den Betroffenen zu bringen. In diesem Zusammenhang kommt innovativen Produktentwicklungs-Partnerschaften eine wichtige Rolle zu, um neue Diagnostika, Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln.

Für Infektionskrankheiten wie das Trachom, die Flussblindheit oder die Lymphatische Filiariose ist nicht zuletzt dadurch ihre Eliminierung in erreichbare Nähe gerückt. Das kann und muss immer mehr ein Modell für andere Programme werden. Fortschritte sind zudem bei der verstärkten Unterstützung lokaler Gesundheitssysteme zu erkennen – die traumatischen Erfahrungen aus der Ebola-Epidemie in Westafrika haben überdeutlich gezeigt, wie wichtig dies für die Vorbeugung, Früherkennung und Bekämpfung von armutsassoziierten Krankheiten ist. Bei all diesen gemeinsamen Bemühungen zeigen sich über die letzten Jahre eine zunehmende Eigenverantwortung und ein verstärktes Engagement der von NTDs betroffenen Ländern.

Insgesamt gibt es hoffnungsvolle Entwicklungen, wie etwa die  Ausweitung des PPP-Models für immer mehr NTDs. Es werden zunehmend mehr Menschen erreicht und finanzielle Mittel für Forschung und Entwicklung bereitgestellt.

Die Bemühungen, um NTDs zu bekämpfen, sind bereits groß. Wie kann für Patienten der Zugang zu gespendeten Arzneien verbessert werden?

Prof. Kollmann: Das kann am besten erreicht werden, indem zunächst existierende erfolgreiche Programme nachhaltig und gut koordiniert unterstützt und systematisch im Zusammenspiel aller Beteiligten barrierefrei ausgeweitet werden. Gegenwärtige Schwerpunkte der NTD-Bekämpfung sind die sogenannten „Big Five“: Flussblindheit, Trachom, Schistosomiasis, Lymphatische Filariose und Geohelminthen, bei denen Medikamenten-Spendenprogramme eine wichtige Rolle spielen. Hier gelingt es in vielen Bereichen durch die koordinierte Verteilung verschiedener Medikamente, das Auftreten mehrere NTDs in der Bevölkerung gleichzeitig sicher und kosteneffizient zu bekämpfen. Andere NTDs, bei denen die Entwicklung von Mitteln zu ihrer Bekämpfung noch hinterherhinkt, dürfen aber auf keinen Fall vernachlässigt werden; gut abgestimmte Forschung und Entwicklung haben hier eine besondere Bedeutung.

Entscheidend sind bei all diesen Bemühungen eine starke Eigenverantwortlichkeit der Regierungen, die gute Zusammenarbeit aller Beteiligten und insbesondere die Einbeziehung der Bevölkerung. Dabei müssen wir immer bereit sein, aus Erfahrung zu lernen und die Programme an neue Entwicklungen sowie sich ändernde Bedingungen anzupassen.

Weiterführende Links:

www.unitingtocombatntds.org

www.dntds.de

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