Entwicklungspipeline beeinflusst Börsenkurse

Kleine Meldungen – große Kursschwankungen. Das gilt auch für Pharmaunternehmen an der Börse. Insbesondere im Biotech-Sektor, wo die Aktienwerte nach Erfolg oder Misserfolg von klinischen Studien eine Berg- oder Talfahrt erleben. Pharma Fakten hat mit dem Analysten Christoph Schöndube von Independent Research über die Gründe und Auswirkungen einer solchen Hypersensibilität am Aktienmarkt gesprochen.

Als bekannt wurde, dass der Arzneimittelhersteller Gilead Gespräche mit der indischen Regierung über eine generische Version des Medikaments Sovaldi geführt hatte, sank der Aktienkurs um zwei Prozent. Welche Unternehmen sind von solchen Schwankungen betroffen?

Christoph Schöndube: Das betrifft vor allem Unternehmen, die relativ wenige Produkte am Markt haben. Wenn es bei einem dieser Produkte Unregelmäßigkeiten gibt, hat das große Auswirkungen auf den Aktienkurs. Bei einer großen Produktpalette kann so etwas eher aufgefangen werden. Auch eine gute Perspektive wirkt sich positiv auf den Aktienkurs aus.

Wie bestimmt man die Perspektive eines Medikaments?

Schöndube: Das geschieht über Marktforschung in Zusammenhang mit Erfahrungen hinsichtlich bereits vermarkteter Medikamente sowie künftig zu erreichenden Marktanteilen in verschiedenen Regionen. Es kommt nur sehr selten vor, dass die Unternehmen selbst ihre Umsatzerwartungen für ein Produkt veröffentlichen.

Auslaufende Patente machen den Weg frei für Generika, bei denen die hohen Forschungskosten entfallen. Wie wirkt sich der Wegfall des Patentschutzes auf den Aktienkurs aus?

Schöndube: Da hilft den großen Pharmaunternehmen wieder die breite Palette an Produkten, mit der sich Umsatzeinbußen besser kompensieren lassen. Wenn zum Beispiel das Patent für ein Hauptumsatzmedikament abläuft, das beispielweise sechs bis sieben Milliarden Euro im Jahr gebracht hat, kann sich dies jedoch kurzfristig negativ im Aktienkurs widerspiegeln.

Ist diese Hypersensibilität ein vergleichsweise neues Phänomen?

Schöndube: Es ist kein neues Phänomen. Schließlich ist es ja das Geschäftsmodell von Pharmaunternehmen, Medikamente zu entwickeln und auf dem Markt zu platzieren. Arzneimittelhersteller sind generell sehr stark abhängig von den Entscheidungen der Gesundheitsbehörden, mit der die Zulassung eines neuen Medikaments steht und fällt. Bei Biotech-Unternehmen ist die Hypersensibilität deutlich stärker ausgeprägt, da hier meist nur an einem neuen Produkt geforscht wird und eine erfolgreiche Zulassung über den Fortbestand des Unternehmens entscheidet.

Ist die Pharma-Branche davon besonders stark betroffen?

Schöndube: Andere Branchen unterliegen nicht einer solchen Beobachtung durch Behörden wie Pharmakonzerne. Ein Technologie-Unternehmen ist da zum Beispiel viel freier in der Gestaltung. Andererseits spielt hier die Vielfalt der Produkte eine Rolle. Wenn Volkswagen etwa nur den Golf auf dem Markt hätte und er würde sich nicht gut verkaufen, würde es mit der Aktie auch runtergehen.

Milliarden an Forschungsgeldern steht ein ungewisser Entwicklungserfolg gegenüber. Können Unternehmen dieser Art nur mit hohen Renditeversprechen das Risiko auffangen und am Aktienmarkt überleben?

Schöndube: Es besteht am Aktienmarkt ein Wechselspiel zwischen Risiko und Rendite. Im Regelfall verspricht ein höheres Risiko auch eine höhere Rendite. Auf der anderen Seite muss man sich bewusst machen, dass ein höheres Risiko höhere Verluste mit sich bringen kann.

Welchen Einfluss hat eine Preisdiskussion gerade bei biotechnologischen Präparaten auf die Kurse?

Schöndube: Die hat nur dann eine Auswirkung auf den Aktienkurs, wenn über regulatorische Bestimmungen die Preise von Medikamenten gesenkt werden müssen und damit stärkere Umsatzeinbußen einhergehen. Man hat es ja im Fall des Hepatitis-C-Mittels Sovaldi gesehen, was passiert, wenn ein Unternehmen keine Preise durchsetzen kann.

Laut des aktuellen International Pharmaceutical R&D Factbooks von Thomson Reuters stammen nur fünf Prozent der weltweiten Umsätze von Biopharmazeutika aus Produkten, die in den vergangenen fünf Jahren auf den Markt gebracht wurden. Künftige Investitionen hängen somit vom Erfolg der bestehenden Wirkstoffe ab. Besteht die Gefahr einer Investionsblase?

Schöndube: Typischerweise wird ein Teil der Erträge etablierter Produkte für die Entwicklung neuer Wirkstoffe verwendet. Dieser Prozess ist zyklischer Natur, wobei die Ausgaben der Pharmaunternehmen für Forschung- und Entwicklung derzeit nach wie vor auf einem normalen Niveau liegen.

Welche Folgen hat der immer höhere Druck innovative Medikamente zu entwickeln?

Schöndube: Zunächst einmal versucht das Unternehmen, von sich aus ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. Wenn allerdings die eigene Produktpipeline nicht ausreichend gefüllt ist, um künftige Umsatzeinbußen durch Patentabläufe auszugleichen, versuchen die Pharmakonzerne durch die Übernahme von innovativen Biotechnologie-Unternehmen diese Lücke zu schließen. In der jüngsten Vergangenheit ist dies vermehrt geschehen, wodurch die Bewertungen der Biotech-Unternehmen deutlich gestiegen sind und vergleichsweise hohe Übernahmeprämien gezahlt wurden. Meist handelte es sich dabei um Unternehmen, die nur ein oder zwei Wirkstoffe in der fortgeschrittenen klinischen Entwicklung hatten und selbst noch keine Umsätze erzielten.

Wie sehen Sie die derzeitige Entwicklung der Branche am Aktienmarkt?

Schöndube: Nach dem Überwinden der Patentklippe sind die Pharmakonzerne wieder auf einem guten Weg. Insgesamt ist festzustellen, dass sie zu einer effektiveren Forschung zurückgekehrt sind. Es ist bereits seit dem Übergang 2013/2014 wieder ein Sektorwachstum zu beobachten. Zudem sollte die Notwendigkeit nach innovativen Medikamenten zu weiteren Übernahmeaktivitäten führen. Diese dürften weiterhin für ein positives Sentiment bezüglich des Gesundheitssektors sorgen.

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