Prof. Hans-Christoph Diener sieht einen Vorteil bei Migräne darin  dass sie mit zunehmendem Alter verschwindet. Foto: © privat
Prof. Hans-Christoph Diener sieht einen Vorteil bei Migräne darin dass sie mit zunehmendem Alter verschwindet. Foto: © privat

Migräne verschwindet mit zunehmendem Alter

Kopfschmerzen sind nicht gleich Kopfschmerzen: Bei rund acht Millionen Deutschen pochen sie, hämmern oder drücken auf Schläfen und Gemüt. Pharma Fakten sprach anlässlich des deutschen Kopfschmerztages am Samstag, 5. September, mit Prof. Dr. Hans-Christoph Diener über das Eingrenzen, Heilungschancen und ungewöhnliche Arten der Beschwerden. Er ist Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen und Leiter des Westdeutschen Kopfschmerzzentrums.

Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft geht von mehr als 200 Kopfschmerzarten aus, die sich unterschiedlich bemerkbar machen. Wie kann man einer solchen Vielfalt therapeutisch Herr werden?

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener: Es gibt nur vier häufige Kopfschmerzarten. Da ist zunächst einmal der Spannungskopfschmerz, unter dem 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung leiden. Es ist ein dumpf-drückender Kopfschmerz von mittlerer Intensität Er kann mit gängigen freiverkäuflichen Schmerzmitteln behandelt werden. Unter Migräne leiden 14 Prozent. Davon sprechen nur ein Drittel auf Analgetika an. Die übrigen sind auf ein verschreibungspflichtiges Migränemittel angewiesen. Kopfschmerzen sind zudem eine Begleiterscheinung von fieberhaften Erkrankungen. Und dann gibt es noch den Kater nach zu viel Alkoholgenuss. Bei Fieber werden die gängigen Mittel zur Linderung benutzt, beim Kater hilft nur: Weniger trinken.

Viele Menschen, die unter Kopfschmerzen leiden, greifen zu Tabletten. Setzen Sie Medikamente in der Schmerztherapie ein?

Prof. Diener: Migräneattacken sind ohne Medikamente kaum aushaltbar. Die Migräneattacken können zwischen 24 und 48 Stunden dauern.  Beim Spannungskopfschmerz helfen manchmal Kühlpackungen oder japanische Heilöle.

Jeder Kopfschmerz ist anders. Kann eine Schmerztherapie Kopfschmerzen vollständig verbannen oder schafft sie nur eine Linderung?

Prof. Diener: Wenn ein Kopfschmerz eine morphologische Erkrankung des Gehirns ist (z.B. Hirnhautentzündung, schwere Kopfverletzungen), dann kann die Schmerztherapie nur die Symptome lindern, nicht aber die eigentliche Krankheit. Der Vorteil der Migräne ist, dass sie mit zunehmendem Alter oft verschwindet.

Wie kommt es dazu?

Prof. Diener: Genau weiß man es nicht. Eine Erklärung wäre, dass bei Migräne die Hirnrinden nachweislich eine Überaktivität aufweisen. Mit zunehmendem Alter nimmt diese Überaktivität ab. Bei Frauen fallen nach den Wechseljahren Hormone weg, die häufig ein Trigger für die Migräne sind.  

Jahrelange chronische Kopfschmerzen führen nachweisbar zu Veränderungen des Gehirns. Gibt es Möglichkeiten die betroffenen Bereiche durch Therapien wieder zu aktivieren?

Prof. Diener: Wer fünf bis zehn Jahre unter chronischer Migräne leidet, dem kann immer noch geholfen werden. Anders sieht es bei chronischem Spannungskopfschmerz aus. Wer fünf Jahre oder länger darunter leidet, bei dem geht er nicht mehr weg. Hier hilft ein früher Therapiebeginn. Man sollte dabei keinen einfachen, sondern einen multimodalen Ansatz wählen. Das bedeutet, man muss Mediziner, Verhaltenstherapeuten und Sport- und Physiotherapeuten einbinden. 

Können Sie einfach umsetzbare Tipps nennen, um Kopfschmerzen vorzubeugen?

Prof. Diener: Viele Migräne-Patienten wissen sehr genau, was eine Attacke bei ihnen auslöst und stellen sich darauf ein. Es kann zum Beispiel mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus zusammenhängen oder am Kaffeekonsum liegen. Bewegung ist wichtig. So hilft Ausdauersport bei Spannungskopfschmerz und Migräne. Es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Migräne und Übergewicht. Das belegen Studien aus den USA. Wer 160 Kilo wiegt, der kann keinen Sport machen und muss schauen, dass er die Pfunde verliert.

Was war die exotischste Kopfschmerzart, die Ihnen bisher begegnet ist?

Prof. Diener: Wir haben seit 15 Jahren jedes Jahr 4500 neue Patienten, die schon überall waren und denen nicht weitergeholfen werden konnte. Wir suchen auch immer gezielt nach seltenen Kopfschmerzarten. Da gibt es zum Beispiel die Schlafkopfschmerzen. Sie betreffen nur Frauen, nicht Männer. Sie wachen mitten in der Nacht immer um die gleiche Uhrzeit von Kopfschmerzen auf. Meist helfen dagegen zwei Tassen starker Kaffee, dann verschwinden die Kopfschmerzen wieder.

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