Das Antibiotika-Dilemma

Der Rückfall ins „Vorpenizillin-Zeitalter“ ist ein sehr reales Horror-Szenario. Die Weltgemeinschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen. Antibiotika sind für die medizinische Versorgung unersetzlich. Und genau diese Eigenschaft könnte nun zum großen Problem werden.

Fernseharzt Dr. House redet nie um den Brei herum; er stehe zur modernen Medizin, denn: „Du kannst so viel Sellerie kauen wie du willst, aber ohne Antibiotika wären drei Viertel von uns nicht hier.“ Antibiotika sind ein Grundpfeiler der modernen Medizin. Und genau das ist jetzt das Problem.

Der Dr.-House-Schauspieler Hugh Laurie war nicht beim parlamentarischen Abend des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa): „Globale Allianz für neue Antibiotika“. Dafür aber Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Er habe Sorge, dass die Medizin im Vorpenizillin-Zeitalter aufwacht, in der jede Harninfektion, jede OP-Narbe zum Risiko werde. Die Bundesregierung gilt weltweit als einer der Treiber einer gemeinsamen globalen Strategie; sie hatte das Thema auf dem G7-Gipfel in Elmau auf das internationale Parkett gehoben und bereits im Vorfeld mit DART 2020 die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie verabschiedet.

Jede Operation ein Risiko?

 

Das Problem ist erkannt. Aber ist es auch gebannt? Professor Dr. Katja Becker von der Leopoldina hatte dazu eine klare Antwort: Alle Anstrengungen hätten bisher nicht zu einer Eindämmung der Krise geführt. Neben der Zunahme der multiresistenten Stämme sprach sie von einigen „totally resistent“-Tuberkulose-Stämmen: „Die reagieren auf gar nichts mehr.“ Die Fachsprache hält mit den Mutationen nur mit Mühe Schritt: Auf die „Drug Resistent TB (DR-TB), folgte die Extensively Drug Resistent TB (XDR-TB) und schließlich die Extremely Drug Resistent TB (XXDR-TB). Zwei Fälle aus Italien wurden bereits 2007 beschrieben – beide Frauen starben, weil kein Medikament mehr anschlug.

Gründe für diese Krisensituation gibt es viele (s. Grafik) – der Mangel an Medikamenten ist eigentlich keine davon: Stündlich werden auf unserem Planeten 20 Tonnen Antibiotika hergestellt. Aber: Diese Waffen gegen die Bakterien werden immer stumpfer – die Evolution droht den Arzneimittelherstellern davon zu laufen.

Warum liefert die Pharmaindustrie nicht?

Neue Optionen müssen her – und viele fragen sich: Warum liefert die Pharmaindustrie nicht? Fakt ist: In der „Goldenen Ära“ der Antibiotika-Entwicklung (ca. 1940 bis 1970) kam eine Fülle neuer Substanzen auf den Markt, die fälschlicherweise den Eindruck erweckten, man habe auf jede Resistenz-Entwicklung eine Antwort. Irgendwann kam die Wissenschaft aber an ihre Grenzen. Unsachgemäßer Gebrauch tat (und tut) das Übrige.

 

Hinzu kommt die ganz spezielle Situation bei der Entwicklung neuer Bakterien-Killer; ein Dilemma, das Gröhe wie folgt beschrieb: „Wir sagen: Erfindet etwas Neues. Und dann sagen wir: Aber verkauft es möglichst selten.“ Das müsse sich als „Business Model“ erst mal durchsetzen, so der Minister trocken. Deshalb müssten dringend neue Geschäftsmodelle her, so Gröhe, der klar machte, dass er von einseitigen Schuldzuweisungen in Richtung Industrie wenig hält.

Das Antibiotika-Dilemma

Das ist das Antibiotika-Dilemma: Die Entwicklung neuer Antibiotikaklassen hat sich als äußerst herausfordernd erwiesen. Und die Ertragsaussichten für solche Präparate sind alles andere als rosig: Als Reserveantibiotika sollen sie möglichst wenig zum Einsatz kommen. „The antibiotic business model is broken“, heißt es dazu bei DRIVE AB, einem Projekt innerhalb des Forschungsprogramms der EU-Kommission mit dem eingängigen Namen: NewDrugs4BadBugs.

 

 

Die Industrie, so der Präsident des Weltpharmaverbandes IFPMA und Stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck KGaA, Stefan Oschmann, wolle ihrer Verantwortung gerecht werden. Aber: Es brauche nicht nur neue Therapien, sondern auch bessere Biomarker (zur Risikoabschätzung und genaueren Steuerung der Therapie). Außerdem müssten die Bedingungen für klinische Forschung überdacht und Zulassungsprozesse vereinfacht werden.

Die Antwort auf die globale Herausforderung muss genau das sein: Global und umfassend. Das EU-Programm NewDrugs4BadBugs greift deshalb an vielen Stellen an – und in jedem dieser Projektstränge sind pharmazeutische Unternehmen Partner. Insgesamt sind es 30 europäische Universitäten und Unternehmen, die das Ziel haben, die Entwicklung neuer Antibiotika zu beschleunigen. Insgesamt gibt es sieben Projektstränge, darunter:

  • COMBACTE; es ist das zentrale Programm innerhalb des Programms. Es will Forschung und Entwicklung in Europa beschleunigen. Hier stehen allein eine viertel Milliarde Euro zur Verfügung;
  • ENABLE; so heißt ein Programm zur Förderung von Wirkstoffen gramnegativer Erreger (gegen sie wirkt ohnehin nur ein Teil der älteren Antibiotika);
  • COMPACT und TRANSLOCATION; hier soll vor allem die Grundlagenforschung gestärkt werden;
  • DRIVE AB; es will die Rahmenbedingungen verbessern und sucht unter anderem nach neuen Geschäftsmodellen.

Die Pipelines kommen in Schwung

Auch in den USA hat man mit GAIN ein Anreizprogramm geschaffen. Es sieht vereinfachte Zulassungsstudien, schnelle Verfahren und besseren Patentschutz vor. Allerdings wird es mittlerweile als nicht weitgehend genug kritisiert.

Ob man es nun Rückfall in das Vor-Penizillin-Zeitalter oder aber post-antibiotisches Zeitalter nennt – Oschmann ist optimistisch, dass das Horror-Szenario nicht eintreten muss. Die Pipelines kommen auf jeden Fall in Schwung. Der vfa rechnet bis 2020 mit der Einführung von bis zu 14 neuen Breitband-Antibiotika. Eine amerikanische Nicht-Regierungsorganisation hat sich die Mühe gemacht, die in der Entwicklung befindlichen Kandidaten zu zählen: Es sind zurzeit 36. Es tut sich was. Ob es genug ist, ist noch nicht entschieden.

Weiterführende Links:

  • Einen Überblick über neue Antibiotika finden Sie hier.

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