Klinische Studien mit Kindern fordern Studienzentren und Unternehmen besonders

Kinder brauchen mehr auf sie zugeschnittene Medikamente – das fordert die Politik. Dazu sind klinische Studien mit entsprechend jungen Probanden nötig. Prof. Dr. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinder- und Jugendklinik am Universitätsklinikum Erlangen, schildert im Interview mit Pharma Fakten, wie schwierig es ist, diese umzusetzen. Als Vorsitzender der Kommission Arzneimittel für Kinder- und Jugendliche am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wünscht er sich eine deutlich höhere Anzahl Medikamente, die die Anforderungen von Mädchen und Jungen berücksichtigen.

Die Politik fordert von der pharmazeutischen Industrie mehr Arzneimittel für Kinder. Ist diese Forderung aus Ihrer Sicht begründet?

Prof. Dr. Wolfgang Rascher: Kinder sind immer noch eindeutig benachteiligt, da sie häufig Medikamente off-label erhalten (Anmerkung d. Red. / Unter „Off-Label-Use“ versteht man die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels außerhalb der von den Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete.) und oft die genaue Dosierung der Medikamente nicht bekannt ist. Hier gibt es noch viel zu tun. Die Anreize bei sog. Altsubstanzen durch die PUMA-Zulassungen (Anmerkung d. Red./Paediatric use marketing authorisation) haben nicht wirklich viel bewirkt. Dadurch wurden erst zwei Präparate für Kinder zugelassen. Eines davon ist Propranolol gegen Hämangiome, das lange Zeit „off-label“ bei den jungen Patienten eingesetzt wurde. Die Studien für die PUMA haben dann gezeigt, dass wir in der Vergangenheit oft mit einer zu niedrigen Dosis therapiert haben.

Die PIPs (Anmerkung d. Red./ Paediatric Investigation Plan), also die Vorgabe, dass Pharmaunternehmen bei Neuzulassungen immer auch einen Entwicklungsplan für Studien mit Kindern vorlegen müssen, führt bei neuen Medikamenten zu Kinderstudien. Diese Auflage existiert noch nicht so lange und da die Studien erst bei Erwachsenen vorliegen sollen, dauert es wohl noch, bis wir die Erfolge sehen. Bei älteren Medikamenten zeichnet sich noch keine Lösung für Kinder ab. Ausreichende Anreize zur Überprüfung oder Testung der Bestandspräparate hinsichtlich einer Verwendungsmöglichkeit für Mädchen und Jungen existieren bis dato nicht.

Worin sehen Sie die besonderen Herausforderungen bei der Durchführung von pädiatrischen Studien für neue Arzneimittel?

Prof. Rascher: Die größte Herausforderung sehe ich im Design der Studienprotokolle. Manchmal werden sie für Patienten erstellt, die wir einfach nicht haben. Die Studiendesigns werden in vielen Fällen von Erwachsenen auf Kinder übertragen, obwohl das grundsätzlich schwierig ist. Oft sind die Ausschlusskriterien zu streng. Wenn zum Beispiel Antihypertensiva (Anmerkung d. Red./ Blutdruck senkende Arzneimittel) bei Kleinkindern im Alter von 2-6 Jahren geprüft werden sollen und nierenkranke oder niereninsuffiziente Kinder ausgeschlossen werden, steht der größte Anteil an Kleinkinder mit Hypertonie in diesem Alter für eine Studie nicht zur Verfügung.

Überhaupt gibt es in einigen Indikationen zu wenige Mädchen und Jungen, die für klinische Studien zur Verfügung stehen. Sind ihre Kinder chronisch krank, stimmen Eltern eher einer Teilnahme zu. Ist der Nachwuchs gesund, dann befürworten dies nur wenige Mütter und Väter. Bei einer Studie zu einem Antibiotikum bei Lungenentzündung geht das noch. Da gibt es meistens eine ausreichend Anzahl von Kindern. Schwieriger wird es bei seltenen Erkrankungen wie Osteomyelitis, die wir vielleicht nur einmal im Jahr bei einem Patienten sehen. Da ist es schier unmöglich die nötige Patientenzahl zu bekommen.

Kennen Sie Fälle, in denen geplante Kinderstudien nicht durchgeführt werden konnten? Was waren die Gründe dafür?

Prof. Rascher: Wir hatten einmal eine Studie, in der wir ausländische Patienten hätten einschließen können. Dafür benötigten wir die Aufklärungsbögen in verschiedenen Sprachen – das haben wir hinbekommen. Doch dann schloss das Unternehmen diese Patienten aus,  wollte sie aber wegen Rekrutierungsschwierigkeiten später doch einschließen. In der Zwischenzeit genügten dann die Patienten aber nicht mehr den Einschlusskriterien. Letztlich hatten wir nicht mehr die nötige Patientenzahl für die Studie.

Ein weiteres Beispiel: Für eine Hypertonie-Studie hätten die sechs- bis zwölfjährigen Kinder laut Studienprotokoll viel zu häufig in die Klinik kommen müssen. Da haben die Eltern gesagt: „Nein, das ist uns zu aufwändig, das belastet unsere Familie und die Kinder zu stark“. Der studienbedingte Aufwand für die Familien ist oft eine Hürde.

Wie könnte die politische Forderung nach mehr speziellen Arzneimitteln für Kinder aus Ihrer Sicht in der Realität umgesetzt werden?

Prof. Rascher: In anderen Ländern werden pädiatrische Studienzentren mehr gefördert. In Deutschland gibt es zu wenig Unterstützung. Die Strukturbedingungen müssen verbessert werden. Wenn ein Kinderarzneimittel für eine bestimmte Krankheit vorhanden ist, dann dürfte kein anderes Arzneimittel verordnet und von den Kassen bezahlt werden. Die behördlichen Vorgaben für das Studiendesign bei PIPs sind zum Teil sehr theoretisch und nicht immer in die Praxis umsetzbar. Meiner Meinung nach sollte die Dosisfindung für verschiedene Altersgruppen und die Extrapolation mehr im Fokus der PIP-Studien stehen. Hier tut sich aktuell aber etwas.

Bei Blockbustern ist die Patentschutzverlängerung als Belohnung für eine Kinderstudie bei Neuzulassungen (PIP) für Pharmaunternehmen ein Anreiz und der Aufwand für Kinderstudien wird refinanziert. Aber bei Medikamenten mit seltener Verordnung muss der Gesetzgeber unterstützen, denn dort ist der Aufwand nicht wirtschaftlich machbar. Auch die Unternehmen müssen ihren Beitrag leisten. Sie sollten beim Studiendesign vorab mit den Studienzentren sprechen, die wissen welche Patienten sie haben. Dann können Protokolle aufgesetzt werden, die realistisch durchführbar sind. Aber wir befinden uns ja in einem lernenden System, es wird nach und nach besser. Auf dem Weg zur Erreichung der Vision „Better Medicines for Children“ der Europäischen Kommission von 2002 gibt es aus meiner Sicht aber noch viel zu tun.

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