Kleine Patienten – große Herausforderung

Die Zulassung spezieller Kinderarzneimittel soll stärker gefördert werden. Dieses Ziel haben sich Gesundheitsministerium und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gesetzt. Aber mit etwas weniger Wirkstoff und ein paar Tropfen Erdbeeraroma ist es nicht getan. Es gibt Hürden für Arzneimittelhersteller, die eine Zulassung von Medikamenten für junge Patienten erschweren.

In der Regel eignen sich Wirkstoffe, die Erwachsene bekommen auch für Kinder und Jugendliche. Bisher gibt man ihnen häufig eine geringere Dosis eines Arzneimittels, das an Erwachsenen getestet wurde. Das dürfen Kinderärzte, obwohl sie dabei außerhalb der Zulassung (off-label) verschreiben. Besser wären jedoch Arzneimittel, die speziell auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt sind. „Vor allem auf der Neugeborenen-Intensivstation, bei einigen seltenen Erkrankungen, bei kindlichem HIV oder zum Beispiel in der pädiatrischen Onkologie werden teilweise Medikamente verwendet, die nicht speziell für Kinder zugelassen sind”, mahnt der Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Berlin, Dr. Ulrich Fegeler.

Spezielle Anforderungen an Kinderstudien

Aber die Entwicklung und Erforschung von Kinderarzneimitteln ist nicht nur aufwändig und teuer, sondern unterliegt besonders strengen ethischen und rechtlichen Standards – mit Recht. Das Dilemma liegt darin, dass sichere Medikamente klinische Studien mit Kindern nötig machen, die nicht ohne Risiko für die jungen Probanden sind.

 

So dürfen gesunde Minderjährige ausschließlich an Studien teilnehmen, um Medikamente zur Diagnostik oder Prävention zu testen. Therapeutische Medikamente dürfen nur kranke Kinder zu Studienzwecken bekommen. Eltern zu finden, die einer Erprobung eines neuen Medikamentes an ihrem Kind zustimmen, ist – wen wundert’s – schwer. So ermittelte der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) in einer Umfrage, dass nur jeder Fünfte das Einverständnis zur Teilnahme seines Kindes an einer klinischen Studie geben würde. Prof. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinder- und Jugendklinik am Universitätsklinikum Erlangen, sieht bei chronischen Erkrankungen weniger Probleme. „Eltern lassen ihre chronisch kranken Kinder ganz gerne an Studien teilnehmen, da sind sie besonders gut versorgt.” Bei gesunden Mädchen und Jungen ist es aus seiner Erfahrung schwerer Eltern zu finden, die einer Teilnahme zustimmen. Die Chance auf genug Teilnehmer hängt auch von der Häufigkeit der Krankheit ab. „Je spezieller die Indikation, umso schwerer wird es”, sagt Rascher.

Wirtschaftliche Herausforderungen

Wirtschaftlich sind Kinderarzneimittel für forschende Pharmaunternehmen eine Herausforderung. Es gibt weniger Kinder als Erwachsene – und Kinder werden seltener krank. Die potenzielle Patientenzahl ist daher sehr viel geringer als bei Erwachsenen. Das bedeutet, dass Unternehmen bei Kindermedikamenten gleich hohe Forschungskosten bei geringeren Absatzzahlen refinanzieren müssen.

Zudem spielen regulatorische Hürden für die Zulassung von Kinderarzneien eine Rolle. So stellt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bei der frühen Nutzenbewertung eines Medikamentes hohe Anforderungen an die Studiendaten. Die können gerade für Kinderarzneimittel nicht so einfach erbracht werden – aus Mangel an Patienten und geringer Studienbeteiligung.

Potenzial für Verbesserung

In den letzten Jahren gab es vermehrt Initiativen, um die Zahl der pädiatrischen Studien zu erhöhen. So müssen Pharmaunternehmen seit 2006 bei einem Zulassungsantrag für ein Medikament oder eine Indikationserweiterung immer pädiatrische Studien (Paediatric Investigation Plan, PIP) nachweisen. Rascher sieht darin eine Chance, „allerdings dauert es noch bis wir die Erfolge sehen, weil es diese Regelung noch nicht so lange gibt“.

Für Arzneimittel, die schon bei Erwachsenen zugelassen wurden und generisch sind, können Hersteller seit 2007 eine Markterlaubnis für pädiatrische Nutzung (Paediatric-use marketing authorisation – PUMA) beantragen. Diese Option wurde jedoch seit 2007 nur zwei Mal genutzt. Um für Pharmaunternehmen die Hürden bei der Zulassung von Arzneimitteln für Kinder zu senken, empfiehlt der Vorsitzende des BPI, Dr. Martin Zentgraf, in einer Pressemitteilung: „Wir sind der Auffassung, dass die Zulassung als Kinderarzneimittel schon per se einen gravierenden Zusatznutzen darstellt, der gesetzlich fixiert werden sollte […]”. Wenn es ein für Kinder zugelassenes Arzneimittel gibt, darf nur dieses abgeben werden, fordert der BPI weiter.

Bessere finanzielle Förderung im Ausland

Rascher sieht vor allem einen Bedarf an politischer Unterstützung: „In anderen Ländern gibt es eine viel bessere finanzielle Förderung von pädiatrischen Studienzentren. In Deutschland war die Förderung bisher nicht dauerhaft erfolgreich.”

Trotz der vielen Hindernisse wurden laut des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller allein 2014 23 schulmedizinische Medikamente und Applikationshilfen neu für Kinder und Jugendliche zugelassen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass weitere folgen könnten.

Anfang 2015 hat das erste Kinderarzneimittel mit PUMA-Zulassung im Rahmen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) die Nutzenbewertung und anschließende Preisverhandlung durchlaufen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat dem Wirkstoff Propranolol gegen Blutschwämme bei Kindern einen erheblichen Zusatznutzen attestiert. Diese Bestnote wurde seit Einführung des AMNOG 2011 erstmalig vergeben. Das schürt die Hoffnung, dass IQWiG und G-BA bei der Bewertung von Kinderarzneimitteln im AMNOG-Verfahren den Nutzen für die kleinen Patienten vor die Kostendiskussion stellen.

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