Das AMNOG soll die Versorgung mit neuen und innovativen Medikamenten garantieren. Erfüllt es aus Ihrer Sicht diese Kriterien?
Susanne Fey: Bei Medikamenten für chronische Krankheiten wie Epilepsie oder Diabetes erfüllt das AMNOG diese Aufgabe definitiv nicht. Zwei Epilepsie-Medikamente sind in der frühen Nutzenbewertung gescheitert, haben also keinen Zusatznutzen zuerkannt bekommen. Dadurch hätten sich Erstattungsbeträge ergeben, die sich an niedrigpreisigen Generika orientieren. Die Arzneimittelhersteller haben diese Präparate vom Markt genommen, weil der jeweilige Preis nicht ausreicht, um die Entwicklungskosten wieder einzuspielen. Ähnliches ist bei einem Diabetes-Medikament geschehen – weitere werden, so denke ich, folgen. Aus Patientensicht ist das keine gute Versorgung mit neuen und innovativen Medikamenten.
Was sollte sich ändern?
Fey: Meiner Meinung nach sollte das AMNOG an die besonderen Bedürfnisse von Patienten mit chronischen Erkrankungen angepasst werden. Es könnten zum Beispiel patientenrelevantere Endpunkte für die frühe Nutzenbewertung formuliert werden, deren Nachweis nicht erst nach Jahrzehnten möglich ist. Das würde die Lebenswirklichkeit chronisch kranker Menschen besser abbilden. Außerdem sollte den ärztlichen Fachgesellschaften, die sich am besten mit einem Krankheitsbild auskennen, mehr Gehör geschenkt werden. Medizin ist heute so hochspezialisiert – da kann sich nicht jeder Neurologe perfekt mit unterschiedlichen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Epilepsie, Multipler Sklerose oder Karpaltunnelsyndromen gleich gut auskennen.
Die Preisgestaltung für neue Medikamente, denen kein Zusatznutzen zuerkannt wird, sollte sich nicht ausschließlich am generischen Preisanker orientieren müssen. Denn dadurch kommen künftig entweder keine neuen Präparate mehr auf den deutschen Markt oder die Firmen werden im ersten Jahr enorme Preise verlangen müssen, um die Forschungskosten refinanzieren zu können.
Außerdem kommt im AMNOG die Betrachtung der Gesamtkosten pro Patient zu kurz. Zumindest bei Epilepsie sollte man sich Gedanken über weitere Krankheitskosten machen. Sie entstehen, wenn Patienten nicht anfallsfrei werden. Nach schweren Anfällen oder zur Therapieoptimierung können sich Klinikaufenthalte anschließen und Arbeitsunfähigkeitszeiten anfallen. Jeder gut eingestellte Patient, der mit seiner Krankheit im Alltag zurechtkommt, als Jugendlicher eine Ausbildung machen konnte und als Erwachsener arbeiten kann, ist eine Entlastung für das Gesundheitswesen. Auch Eltern profitieren davon, weil sie entlastet werden und selbst keine medizinische oder therapeutische Hilfe benötigen. All das spart Geld.
Wie fühlen sich Eltern, wenn sie sehen, dass es zwar ein hilfreiches Medikament gibt, aber keine Möglichkeit, es zu nutzen?
Fey: Chronische Erkrankungen sind ohnehin schon eine außerordentliche Belastung für betroffene Familien. Eltern fällt es häufig schwer zu akzeptieren, ihrem Kind nicht immer helfen zu können. Sie wollen schließlich, dass ihr Nachwuchs so unbeeinträchtigt wie möglich aufwächst. Neue Medikamente könnten eine Hilfe sein. Für therapieresistente Patienten bedeuten sie eine weitere Chance auf Anfallsfreiheit beziehungsweise eine Verbesserung der Anfallssituation. Dass diese Arzneimittel in Deutschland jedoch nicht von der Krankenkasse bezahlt werden, macht die Eltern traurig und wütend. Erst recht, weil sie zugelassen und im restlichen Europa verfügbar sind.
Stattdessen übernehmen die Kassen im Rahmen ihrer freiwilligen Leistungen Kosten für nicht evidenzbasierte Therapien und Präventionsmaßnahmen wie Yoga-Kurse, autogenes Training, homöopathische Behandlungen oder die Mitgliedschaft in einem Sportverein. Das halte ich für ziemlich unausgewogen.
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