Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
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Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit

Die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern gelten generell als sehr impftreu. So verwunderte zuletzt die Meldung, dass es bei der zweiten Masern-Impfung große Lücken gibt. Pharma Fakten sprach mit Prof. Michael Borte von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum St. Georg Leipzig über die Gründe für die niedrige Impfquote, Erfahrungen vor der Wende und Einzelimmunisierungen.

Wie erklären Sie sich die niedrige Impfquote für die zweite Masern-Impfung von Kleinkindern in Sachsen, die sich aus aktuellen Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) ergeben?

Prof. Dr. Michael Borte: Für einen sicheren Schutz gegen Masern sind zwei Impfungen erforderlich, bei denen die Impfquote jeweils über 95 Prozent liegen sollte. Die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI empfiehlt die erste und die zweite Impfung bereits im zweiten Lebensjahr. In Sachsen wird von der Sächsischen Impfkommission, der ich angehöre, aus fachlich-wissenschaftlichen Gründen die zweite Masernimpfung erst im sechsten Lebensjahr empfohlen. Die hier zitierte Erfassung der Impfquoten für die 2. Masernimpfung durch das RKI erfolgte aber zur Einschulungsuntersuchung im 5. Lebensjahr. Da konnten sächsische Kinder eigentlich noch gar nicht die 2. Impfung haben. Das erklärt die virtuell niedrigere Impfquote für die 2. MMR-Impfung in Sachsen zu diesem Zeitpunkt.

Worin sehen Sie den Vorteil einer späteren zweiten Impfung?

Prof. Borte: Wir erwarten davon auch einen Booster-Effekt, damit der Schutz wirklich lebenslang ist. Durch viele Studien ist wissenschaftlich exakt nachgewiesen, dass dieser Booster-Effekt umso besser ist, je weiter diese beiden Impfungen auseinander liegen. Dies ist übrigens gängige Impfpraxis in den meisten europäischen Ländern und in den USA. Die Masern-Impfung erfolgt bekanntlich zusammen mit der Impfung gegen Mumps und Röteln (MMR). Wenn schon im zweiten Lebensjahr zweimal geimpft wird, ist es fraglich, ob zum Beispiel bei einer späten Schwangerschaft mit 40 noch ein Schutz gegen Röteln besteht.

Vor einem Jahr hatte es in Sachsen den schlimmsten Masernausbruch seit 1990 gegeben. Derzeit werden wieder Masern-Infizierte gemeldet. Befürchten Sie auch in Zukunft weitere Negativmeldungen?

Prof. Borte: Das Problem ist, dass hier fast alle Masern-Erkrankte ungeimpft waren. Viele Kinder und Jugendliche waren dies, weil ihre Eltern die Impfung abgelehnt haben. Ich habe dazu eine klare Meinung: Es ist eine Sorgfaltspflichtverletzung für das Recht eines jeden Kindes, gesund und ohne impfpräventable Erkrankungen aufzuwachsen. Das Kind kann dies zum Impfzeitpunkt nicht einfordern, deshalb grenzt ein solches Verhalten von Eltern für mich schon an Körperverletzung! Es handelt sich schließlich bei Masern nicht um eine harmlose Kinderkrankheit, was weithin leider nicht bekannt ist. Immer wieder gibt es Maserntodesfälle in Deutschland, so auch 2015.

Sie selbst haben die DDR-Zeit als Mediziner miterlebt. Wie hat sich das Impfverhalten seitdem aus ihrer Sicht verändert?

Prof. Borte: Es hat sich im Osten nicht gravierend geändert. Die Impfquoten für die Standardimpfungen sind generell stabil auf einem sehr hohen Niveau. In der DDR gab es eine Impfpflicht, aber keinen Impfzwang. Deshalb wurden immer nur Kinder geimpft, deren Eltern der Impfung zugestimmt hatten. Es wird immer Kinder geben, bei denen aufgrund bestimmter Situationen oder chronischen Erkrankungen eine Impfung nicht durchgeführt werden kann. Umso wichtiger ist es, eine große Durchimpfungsrate zu haben, damit die Zielerkrankung gar nicht erst auftritt. Dann sind auch alle diejenigen passiv mitgeschützt, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden konnten. Hier setzt die Verantwortung eines jeden von uns für die aktive Entscheidung für eine Impfung ein. Denn eine Entscheidung dagegen gefährdet die, die nicht geimpft werden können.

Aus meiner Sicht war das Wissen um die Gefahren durch Impfungen vermeidbarer Erkrankungen in der DDR viel stärker vorhanden, deshalb waren die Impfquoten viel höher als jetzt.

Werden Masern als Krankheit unterschätzt oder ist einfach eine Sorglosigkeit in der Bevölkerung eingetreten?

Prof. Borte: Ich denke schon, dass Masern weitgehend unterschätzt werden. Für viele ist es eine banale Kinderkrankheit. Das sind sie aber keinesfalls. Daher sollten sich auch 50-Jährige und Ältere gegen Masern impfen lassen. Wir haben seit 1980 in Deutschland hundert Masern-Todesfälle zu verzeichnen, das ist absolut inakzeptabel. Die Infektion führt zum Teil zu Hirnhautentzündungen oder Epilepsie. Hochgefährlich ist die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die immer tödlich verläuft. Das Risiko, daran zu erkranken, liegt bei einem Fall auf  3000 Masernerkrankte.

Generell rate ich, dass Ärzte jeden Patientenkontakt nutzen sollten, um den Impfstatus zu überprüfen. Es muss immer wieder über Impfungen gesprochen werden, um die Impfmoral in Deutschland zu verbessern.

Positive Meldungen kommen aktuell aus Thüringen. Dort haben im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 39 Prozent mehr Menschen die MMR-Impfung erhalten. Die Zahlen für die Einzelimmunisierung haben sich sogar verdoppelt. Wie bewerten Sie diese Zahlen? Wie ratsam ist die Einzelimmunisierung bei Masern?

Prof. Borte: Diese Zahlen stimmen uns optimistisch. Dazu haben die vielen positiv orientierten und wissenschaftlich gut begründeten Mitteilungen in der Presse und in den Medien zu dieser Thematik beigetragen. Das zeigt, wie wichtig auf diesem Gebiet eine breite sachdienliche Öffentlichkeitsarbeit ist.

Zum Thema „Einzelimmunisierung bei Masern“: Eine einzelne Impfung reicht leider nicht aus, um die Masern erfolgreich zu verhüten, denn etwa 20 Prozent reagieren nicht auf diese Impfung und sind erst durch eine zweite Impfung sicher geschützt. Deshalb ist eine zweimalige Impfung gegen Masern in allen Altersgruppen erforderlich.

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