Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Vorsorgeuntersuchungen reduzieren Darmkrebsrisiko deutlich

Darmkrebs lässt sich durch Vorsorge gut vermeiden. Mögliche Maßnahmen gegen diese Erkrankung im Bewusstsein der Menschen zu verankern, ist das Ziel der Felix-Burda-Stiftung. Stiftungsvorstand Dr. Christa Maar spricht anlässlich des Darmkrebsmonats März im Interview mit Pharma Fakten über moderne Behandlungen und fordert ein Umdenken bei der Versorgung.

Darmkrebs unterliegt oft auch einer familiären Vorbelastung. Welche Vorsorgemaßnahmen werden in solchen Fällen empfohlen?

Christa Maar: Circa 30 Prozent der Menschen, die an Darmkrebs erkranken, haben ein familiär erhöhtes Risiko für diese Erkrankung. Insgesamt sind in Deutschland etwa vier Millionen Menschen davon betroffen. Viele von ihnen wissen aber nicht, ob es in ihrer Familie ein erhöhtes Risiko für diese Krebserkrankung gibt. Das ist das große Problem. Denn Menschen mit einem familiären Risiko erkranken häufiger und oft in einem wesentlich früheren Alter als die Normalbevölkerung. Sie müssen daher früher mit der Vorsorge beginnen.

Die wissenschaftliche Leitlinie empfiehlt für die familiäre Risikogruppe einen um mindestens zehn Jahre vorgezogenen Screening-Beginn. Die erste Vorsorgeuntersuchung sollte zehn Jahre vor dem Diagnosealter des jüngsten an Darmkrebs erkrankten direkten Verwandten (Mutter, Vater, Geschwister) erfolgen – spätestens aber mit 40 Jahren. Da bei familiär belasteten Menschen vermehrt mit Befunden zu rechnen ist und vorhandene Polypen und Karzinome bei jüngeren Menschen schneller wachsen, wird außerdem empfohlen, die Vorsorgeuntersuchung bei ihnen ausschließlich mit der Koloskopie zu machen.

Allerdings – und das ist wirklich absurd – hat diese Hochrisiko-Gruppe aktuell keinen gesetzlichen Anspruch auf eine vorgezogene Früherkennungsuntersuchung. Die gesetzliche Darmkrebsfrüherkennung – mit 50 Jahren ein Test auf verstecktes Blut im Stuhl, mit 55 Jahren die Vorsorgekoloskopie – kommt für sie zu spät. In diesem Alter sind viele längst an Darmkrebs erkrankt. Trotzdem wird kein vernünftiger Magen-Darm-Arzt jemanden mit diesem Risiko wieder nach Hause schicken. Um die Untersuchung von der Gesetzlichen Krankenkasse erstattet zu bekommen, muss er eine Diagnose wie unklare, länger anhaltende Bauchbeschwerden angeben, die der Patient aber gar nicht hatte.

Gegenwärtig gibt es keine etablierten Maßnahmen, um Menschen mit einem familiär erhöhten Darmkrebsrisiko frühzeitig zu identifizieren. Auch fehlt es an Informationen zu Screenings.  Sie eignen sich dafür, das Entstehen von Darmkrebs trotz eines gegebenenfalls stark erhöhten Risikos für diese Tumorerkrankung zu vermeiden. Das wichtigste Tool zur frühzeitigen Identifikation eines solchen Risikos ist die Familienanamnese. Diese wird in der ärztlichen Alltagspraxis aber gegenwärtig nur wenig erhoben.

Die Krankheit gilt als heilbar, sofern sie frühzeitig entdeckt wird. Allerdings scheuen viele Menschen die Vorsorge. Wie kann man die Menschen dazu bewegen, sich einem Screening beim Arzt zu unterziehen?

Maar: Rund sechs Millionen Menschen in Deutschland sind seit Einführung der Vorsorgekoloskopie der Einsicht gefolgt, dass diese effektiv vor Darmkrebs zu schützt. Jedes Jahr machen deshalb an die 450.000 Menschen diese Untersuchung. Bis heute konnten dadurch rund 200.000 Neuerkrankungen und 100.000 Todesfälle verhindert werden. Das sind, so denke ich, überzeugende Fakten. Aber natürlich weiß ich auch, dass die Untersuchung sowie das vorherige Abführen bei manchen Menschen unbehagliche Gefühle hervorruft. Manche haben sicherlich Angst vor der Untersuchung und einem eventuell positiven Befund. Aber zum einen sind Karzinome, die bei einer Vorsorgekoloskopie erkannt werden, in der Regel in einem so frühen Stadium, dass sie geheilt werden können. Zum anderen sagen die meisten nach der Untersuchung, dass sie diese als weitaus weniger dramatisch als erwartet empfunden haben.

Man könnte die Sache einfach mal von der anderen Seite betrachten und sagen, was für ein schönes Gefühl es ist, wenn man nach einer Vorsorgekoloskopie weiß: Ich habe mit ziemlicher Sicherheit keinen Darmkrebs. Dieses kann 99 von 100 Untersuchten so ergehen. Denn nur bei circa einem Prozent wird ein Karzinom gefunden. Und von diesem einen Prozent sind 70 Prozent in einem frühen Stadium. Sie haben die große Chance, dauerhaft geheilt zu werden. Die Vorsorge-Koloskopie erbringt also für 99 von 100 Teilnehmern das frohe Ergebnis, keinen bösartigen Befund zu haben.

Bei sechs bis sieben Prozent der Untersuchten werden gutartige Vorstufen (Polypen/Adenome) von Darmkrebs erkannt, die noch während der Untersuchung abgetragen werden. Das ist eine Riesenchance für die Vorsorge, die es für keine andere Krebserkrankung gibt. Darmkrebs entwickelt sich aus gutartigen Vorstufen, die zehn bis 15 Jahre benötigen, um zu Krebs zu werden. Ein langer Zeitraum also, um Vorsorge zu betreiben und eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Dafür lohnt es sich, alle Ausreden zur Seite zu schieben und mit dem Arzt einen Termin zu vereinbaren.

Die Felix Burda-Stiftung ist nach dem Tod Ihres Sohnes Felix gegründet worden, der 2001 an Darmkrebs starb. Wie haben sich Medizin und Forschung seit der Gründung der Stiftung entwickelt?

Maar: Darmkrebs war nie ein medizinisches Problem. Erst recht nicht zu Zeiten von Felix’ Erkrankung und Tod. Vielmehr handelte es sich um ein kommunikatives Problem. Damals hat man nicht über dieses Organ gesprochen und erst recht nicht über Krebs in diesem Organ. Dieses Tabu ist passé. Heute sprechen viele Menschen ganz offen über ihre Koloskopie. Für manche von ihnen ist sie ein Anlass, um auch Freunde und Bekannte zu motivieren, die Untersuchung zu machen.

Bei der Behandlung von Patienten mit metastasiertem Darmkrebs hat man bei den Medikamenten heutzutage durch die hinzugekommenen Biologicals eine größere – und sehr viel teurere – Auswahl, zumindest ansatzweise zu einer personalisierten Behandlung zu kommen. Doch bislang können die Medikamente nur eine um ein paar Monate längere Überlebenszeit bewirken.

Was die Früherkennung und Vorsorge angeht, hat sich an der endoskopischen Front im Hinblick auf Genauigkeit einiges getan: Für Menschen, die partout keine Koloskopie machen möchten, gibt es jetzt die Kapselendoskopie. Dabei handelt es sich um eine große längliche Kapsel in Pillenform, die mit zwei winzigen Kameras ausgestattet durch den Darm wandert. Sie überträgt Bilder an einen kleinen Monitor. Außerdem gibt es die immunologischen Stuhltests, die dreimal so viele Karzinome erkennen wie der gegenwärtig noch als einzige Kassenleistung angebotene Guajak-Test. Ideal als Vorschalttest vor der Koloskopie wäre ein Bluttest. Daran arbeiten viele Institute. Jedoch ist es offenbar ziemlich schwierig, im Blut Marker für bestimmte Krebsarten zu identifizieren.

Wie bewerten Sie den aktuellen Forschungsstand bei Darmkrebs?

Maar: Was die Grundlagenforschung für Krebserkrankungen anbetrifft, sind wir in Deutschland, so glaube ich, nicht schlecht aufgestellt. Die große Frage ist aber: Wie schaffen wir es, dass wir die medizinischen Erkenntnisse deutlich schneller zum Arzt und Patienten bekommen? Das dauert nach wie vor endlos lange, und es sind 1000 institutionelle, bürokratische und datenschutzrechtliche Hindernisse zu überwinden. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Ländern – nehmen Sie nur Holland und Schweden – ganz anders. Die Politik muss endlich grundlegende Entscheidungen treffen, die diese unhaltbare Situation zu verbessern.

Lücken gibt es auch bei der Versorgungsforschung. Die ist in Deutschland ein ewig ungeliebtes Kind. Für Darmkrebs ist der einzige Wissenschaftler, der hier mit zahlreichen Studien nachhaltig Versorgungsforschung betreibt, Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Man muss sich das einmal vorstellen: Seit 1973 werden Jahr für Jahr Millionen Stuhltests an die Bevölkerung ausgegeben. Doch kein Mensch kann sagen, wie viele der ausgegebenen Tests tatsächlich gemacht wurden, wie viele positiv waren und wie viele Menschen sich danach zur Abklärung der Ursache haben koloskopieren lassen. So etwas darf in einem funktionierenden Gesundheitssystem eigentlich nicht sein.

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