IQWiG und G-BA bei einem Drittel der Verfahren uneinig. Illustration: Pharma Fakten
IQWiG und G-BA bei einem Drittel der Verfahren uneinig. Illustration: Pharma Fakten

So streng urteilt Deutschlands G-BA

Bei seinen Entscheidungen über den Nutzen von Arzneimitteln weicht der Gemeinsame Bundesausschuss teilweise beträchtlich von den Bewertungen anderer Behörden ab. Das zeigt ein internationaler Vergleich.

Nutzenbewertungssysteme für Arzneimittel gibt es mittlerweile in vielen Ländern. Sie sollen sicherstellen, dass Patienten Zugang zu innovativen und wirksamen Therapien haben – und das möglichst kosteneffizient. „Welchen (Zusatz)-Nutzen bekommt man zu welchen Kosten?“, ist die zentrale Frage.

Diese sogenannte Vierte Hürde (nach den drei Hürden – Sicherheit, Wirksamkeit und Qualitätsprüfung) gilt als Voraussetzung dafür, dass medizinischer Fortschritt und Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen sich nicht ausschließen sollen. Unter anderem haben Australien, Belgien, Kanada, England, Wales und Schottland, Schweden sowie die Niederlande eine solche Methodik eingeführt. Deutschland kam mit seinem AMNOG vergleichsweise spät.

Entscheidungen über den Wert und den Nutzen von Arzneimitteln, wie sie in Deutschland der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) trifft, hängen hierzulande die Aura der „Unfehlbarkeit“ an: Endlich ein objektives Votum darüber, was ein Medikament wirklich kann, so der Glaube. Warum aber unterscheiden sich die Entscheidungen der Behörden über ein und dieselben Medikamente im internationalen Vergleich zum Teil erheblich? Warum neigt der G-BA dazu, in der vergleichenden Nutzenbewertung strenger zu urteilen, als beispielsweise das englische NICE?

Der G-BA entscheidet anders als andere

Genau das nämlich ist das Ergebnis einer vergleichenden Studie von Wissenschaftlern der Universitäten von Hamburg, München und der New Yorker Columbia-Universität. Dazu haben sie sich alle frühen Nutzenbewertungen des G-BA im Zeitraum zwischen Januar 2011 und Dezember 2014 angeschaut und mit den Beschlüssen des englischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE), des Scottish Medicines Consortium (SMC) und des Australian Pharmaceutical Benefits Advisory Committee (PBAC) verglichen. Die Autoren fassen ihre Ergebnisse so zusammen: „Wir konnten zeigen, dass der G-BA […] in seinen Entscheidungen beträchtlich von denen der anderen Behörden abweicht. Unsere Studien zeigt auch, dass der G-BA dazu tendiert, strikter zur urteilen als das NICE.“

Bei den vergleichenden Nutzenbewertungen schwankt die Übereinstimmung der Entscheidungen des G-BA zwischen mageren 52,7 Prozent mit dem NICE und immerhin 69,7 Prozent mit dem australischen PBAC. Im Vergleich zum englischen NICE heißt das: Fast jede zweite Bewertung des G-BA kommt zu anderen Schlüssen. Schon bei der Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie – also der Frage, gegen welchen Wirkstoff das neue Präparate verglichen werden soll – liegen die Behörden weit auseinander. Diese Daten hinterlassen Zweifel an der „Unfehlbarkeit“ der Bewertungen, denn bei unterschiedlichen Ergebnissen muss nun mal eine Behörde falsch liegen.

IQWiG vs. G-BA: Bei einem Drittel der Verfahren uneinig

Um zu sehen, dass man über ein Medikament trotz Bewertung derselben umfangreichen Dossiers, derselben zweckmäßigen Vergleichstherapie auf Basis derselben gesetzlichen Grundlagen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, muss man allerdings gar nicht über die Grenzen schauen. Denn schon in dem, was das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) als Zusatznutzen definiert und dem, was der G-BA dann daraus macht, gibt es erhebliche Unterschiede – nachzulesen im Arzneimittel-Atlas 2016 (s. Grafik): „Seit 2011 wich der G-BA bezüglich der besten Patientengruppe in 37 von 115 Verfahren von der Einschätzung des IQWiG ab, was einem Anteil von 32 Prozent der betreffenden Verfahren entspricht.“

 

In 14 Prozent der Fälle veränderte der G-BA die Entscheidung nach oben – erkannte also einen höheren Zusatznutzen an. In 18 Prozent hingegen veränderte er die IQWiG-Entscheidung in Richtung eines niedrigeren Zusatznutzens. Einen Trend kann man aus den Zahlen nicht herauslesen; mal gibt es in einem Jahr mehr Verschlechterungen als Verbesserungen gegenüber dem IQWiG-Bescheid, mal ist es umgekehrt, wie die Grafik zeigt. Aber auch Fachgesellschaften liegen mit vielen Entscheidungen des AMNOG über Kreuz – ein weiterer Hinweis, dass man dieselben Daten durchaus unterschiedlich interpretieren kann.

Bleibt die Frage: „Warum?”

Viele Faktoren spielen in der Bewertung über ein Arzneimittel eine Rolle. Die vier untersuchten Behörden unterscheiden sich deutlich u.a. darin,

  • wie sie Studienendpunkte bewerten und ob sie Surrogat-Parameter akzeptieren;
  • welche Vergleichstherapien sie ansetzen;
  • wie sie damit umgehen, wenn Evidenz nicht zur Verfügung steht.

Anders als der Begriff der „evidenzbasierten Medizin“ suggerieren will, bieten klinische Studien zwar ein gutes Bild darüber, was ein Medikament kann und wie hoch der Preis (im Sinne von Nebenwirkungen) dafür ist. Aber sie sind immer nur ein Ausschnitt der Realität. Klinische Studien versuchen, der objektiven Wahrheit über ein Arzneimittel so nahe wie möglich zu kommen – ganz schaffen können sie es nie. Die Entscheidung über den Zusatznutzen eines Arzneimittels ist deshalb immer auch eine Entscheidung unter Unsicherheit.

Daraus folgt, dass Nutzenbewertungen letztlich immer Wertentscheidungen sind, die die Frage zwischen dem abwägen, was wir wissen, was wir vermuten und wie risikobereit wir im angesichts des Risikos der unbehandelten Erkrankung sind. Fakt ist aber: Je strikter die Bewertung, desto größer ist das Risiko, dass wichtige therapeutische Optionen gar nicht beim Patienten ankommen. Das gilt natürlich auch anders herum: Je weniger strikt die Bewertung, desto größer das Risiko, dass Präparate einen Zusatznutzen zugesprochen bekommen, die keinen aufweisen. Auf dieser Gratwanderung findet die Bewertung von Arzneimitteln statt.

Die zitierte Studie zeigt: Entscheidungen über den Nutzen von Medikamenten sind nicht unfehlbar – und sie können es nicht sein. Es sind Wertentscheidung, bei denen die zuständigen Behörden offensichtlich zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen. Konsequenterweise fragen die Autoren der Studie, „ob die Ergebnisse der G-BA-Bewertungen im Einklang stehen mit den Präferenzen der Patienten in Deutschland.“

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