Die Geschichte ist nicht neu – aber sie wird immer wieder neu erzählt. Diesmal in „Frontiers in Public Health“, einer US-Onlineplattform, die nach eigenen Angaben beseelt ist von der „Vision, dass jeder die gleiche Chance haben soll, wissenschaftliche Informationen zu finden, zu bewerten oder sie zu veröffentlichen“. Jüngst hat „Frontiers“ das Abstract einer Studie online gestellt, die belegen soll, dass Störungen in der Entwicklung des Nervensystems – z.B. Autismus – unter geimpften Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren dreimal so oft vorkommen wie unter nicht geimpften. Nach einem Twitter-Sturm der Entrüstung aber ist die Meldung bei Frontiers plötzlich nicht mehr auffindbar.
Der Grund dafür dürfte das abenteuerliche Design dieser „Studie“ sein. Denn die Aussagen beruhen auf einem Fragebogen, der Müttern in vier US-Bundesstaaten zugeschickt wurde, die ihre Kinder zu Hause unterrichten. Die Auswertung dieser anonymisierten Umfrage beruht auf 666 Kindern im Alter zwischen 6 und 12 Jahren, von denen 39 Prozent nicht geimpft waren. Das Ergebnis: Geimpfte Kinder haben mehr Allergien und häufiger Störungen des Nervensystems. Diese Diagnosen haben – wohlgemerkt! – die Mütter selbst getroffen.
Das ist aber nur ein Punkt, der Anlass zum Kopfschütteln gibt. Kritiker weisen darauf hin, dass die Gruppe der Befragten zu klein ist, um statistisch auf festem Grund zu stehen. Und, wie ein Arzt in der öffentlichen Diskussion anmerkte, sind Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, „nicht im entferntesten die Norm.“ Hinzu kommt: Das ganze Projekt wurde von einer Non-Profit-Organisation bezahlt, die dafür bekannt ist, Impfungen sehr kritisch zu sehen.
Abenteuerliche Studiendesigns
Der angebliche Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus hat eine lange Vorgeschichte, in der ein britischer Arzt eine unrühmliche Rolle spielt. Ende der 1990-er Jahre hatte Andrew Wakefield die These aufgestellt, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung das Auftreten von Autismus begünstige. Auch diese Studie war „abenteuerlich“: Sie basierte auf den Daten von zwölf (!) Kindern, es gab keine Kontrollgruppe. Später kam heraus: Wakefield hatte Geld erhalten von Anwälten, die die Eltern Autismus-betroffener Kinder vertraten und nach Belegen suchten, um Impfstoff-Hersteller zu verklagen.
Die Studie ist längst zurückgezogen, der Arzt hat seine Zulassung verloren. Aber die These vom Zusammenhang zwischen Impfen und Autismus hält sich wacker, obwohl seitdem einige große Untersuchungen in Angriff genommen worden sind, um diesen Zusammenhang ernsthaft zu überprüfen. Bis heute aber gibt es dafür keinen wissenschaftlichen Beweis, wie das Robert-Koch-Institut schreibt.
Bis heute unbelegt: Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus
Unbestritten ist, dass Impfungen auch Nebenwirkungen verursachen können. Deshalb sind Hersteller und Behörden verpflichtet, jeglichen Verdachtsmomenten nachzugehen – schließlich sind es vor allem Kinder, die eine Impfung erhalten. Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Autismus und Impfung werden immer wieder neu aufgelegt: eine letzte große Studie wurde erst im April 2015 veröffentlicht. Dort wurden in einer Langzeitbetrachtung die Daten von 96.000 Teilnehmern ausgewertet. Sie reiht sich ein in die Phalanx Dutzender anderer, die immer wieder zu demselben Ergebnis kommen: Ein Zusammenhang ist nicht wissenschaftlich erhärtbar.
Im so genannten post-faktischen Zeitalter scheint das auf wenig Resonanz zu stoßen. Die teilweise (zu) niedrigen Impfraten in Deutschland zeigen, dass die Angst vor möglichen Nebenwirkungen offenbar für viele Eltern ein besserer Berater zu sein scheint. Niemand hat allerdings die geschädigten Kinder gezählt, die aufgrund von wissenschaftlich zweifelhaften Thesen auf den Impfschutz verzichten mussten – und genau deshalb erkrankt sind.
Weiterführende Links:
https://www.youtube.com/watch?v=h5o0eBXOhVo
http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html