Widersprüchlich wie selten hat die veröffentlichte Meinung auf den Schlussbericht reagiert, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am 5. Dezember zum Nutzen Biomarker-basierter Tests für die Brustkrebs-Behandlung vorgelegt hat. Die „Süddeutsche Zeitung“ unterstützt die IQWiG-Aussagen, spricht von „schlecht geprüften Gen-Analysen“ und kommt zu der Schlussfolgerung: „Hier wird schwer kranken Frauen für viel Geld ein bisschen Hoffnung gereicht.“
Dagegen zeigt sich Prof. Dr. Marion Kiechle, Direktorin am Münchner Universitätsklinikums rechts der Isar, entsetzt über das Verdikt gegen die Tests: „Das IQWiG exerziert hier die reine Lehre – auf dem Rücken von jährlich 25.000 Brustkrebs-Patientinnen. Mit ein wenig mehr ärztlichem Augenmaß und Kenntnis der Versorgungsrealität an unseren Kliniken wäre die Empfehlung sicher ganz anders ausgefallen.“
Pharma Fakten-Interview mit Professor Kriegsmann
Angesichts der Kontroverse hat Pharma Fakten bei einem ausgewiesenen Fachmann nachgefragt: Dr. Jörg Bert Kriegsmann ist Professor für Pathologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums für Histologie, Zytologie und Molekulare Diagnostik in Trier.
Herr Professor Kriegsmann, welche Rolle spielen die Biomarker-Tests in der Behandlung von Brustkrebs – in Deutschland und im internationalen Vergleich?
Professor Dr. Jörg Bert Kriegsmann: Viele Patientinnen mit Brustkrebs bekommen heute eine Chemotherapie, die keinerlei Nutzen bringt, aber schwere Nebenwirkungen verursachen kann. Die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie bei Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem, Her-2-negativem Mammakarzinom und maximal 1-3 regionären Lymphknoten-Metastasen stellt die Therapeuten vor eine große Herausforderung. Für die Identifizierung der Patientinnen, die ohne eine Chemotherapie optimal behandelt werden können, sind verschiedene Biomarker-basierte Testsysteme entwickelt worden. Die wichtigsten internationalen Leitlinien für die Behandlung von Brustkrebs, so die Leitlinie der European Society for Medical Oncology (ESMO) und der American Society of Clinical Oncology (ASCO), empfehlen für diese Patientengruppe den Einsatz von Genexpressionstests.
Müssen die Patientinnen den Test selbst bezahlen?
Kriegsmann: International werden die Kosten der Genexpressionstests in vielen Ländern übernommen – z.B. in den USA, Großbritannien oder der Schweiz. In Deutschland übernehmen private Krankenkassen in der Regel die Testkosten, ebenso die Techniker-Kasse als gesetzliche Kasse nach Prüfung der Indikation. Es liegen ausreichend Daten vor, die zeigen, dass der flächendeckende Einsatz von Genexpressionstests sinnvoll ist. Es kann nicht sein, dass der Zugang zu den Tests in einem hochentwickelten Land wie Deutschland vom Versicherungsstatus der Patientin abhängt, während sie in vielen anderen Ländern allen Patientinnen zur Verfügung stehen.
Der IQWiG-Abschlussbericht zum Nutzen der Tests wird derzeit heftig kritisiert. Können Sie uns die wichtigsten methodischen Kritikpunkte nennen, die dem Bericht vorzuwerfen sind?
Kriegsmann: Der IQWiG-Bericht hat sechs von acht Studien als nicht relevant ausgesondert und bezieht sich lediglich auf zwei davon. Eine davon, die MINDACT-Studie, basiert jedoch auf einem einzigen Test, der sowohl in Deutschland als auch international nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dennoch spricht das IQWiG im Titel generalisierend von „Biomarker-Tests“, obwohl im Pressegespräch zugegeben wurde, dass das Institut zu anderen Tests keine Aussage machen könne. Außerdem wurde ein Beobachtungszeitraum von lediglich fünf Jahren herangezogen. Es ist jedoch bekannt, dass eine Reihe von Metastasen erst in einem Zeitraum von zehn Jahren auftreten.
Bezüglich der international wie in Deutschland am häufigsten durchgeführten Tests, des Endopredict-Tests und des OncotypeDX, wurde nur festgestellt, dass die Studienlage keine Aussage erlaubt. Die Methodologie des IQWiG erfolgt hier analog der Zulassungsstudien von Medikamenten. Die aber ist für die Beurteilung prognostischer und prädiktiver Tests nur bedingt geeignet. Die entscheidende Frage bleibt doch: Welche Patientinnen haben eine gute Prognose und benötigen deshalb keine Chemotherapie?
Folgen Sie der Bewertung des IQWiG, die Biomarker-Tests und ihre Ergebnisse seien noch nicht ausreichend evaluiert und ein echter Nutzen für die Entscheidung über das Für und Wider einer Chemotherapie nicht belegt?
Kriegsmann: Nein. Die Frage, ob es bessere Methoden oder Daten gibt, um die Notwendigkeit einer Chemotherapie vorherzusagen, ist klar mit „Nein“ zu beantworten. Über einen der am häufigsten herangezogen Marker, die Proliferationsrate bzw. den Ki-67-Index, bestehen außerordentlich kontroverse Aussagen. Dies gilt insbesondere für mittlere Proliferationsraten, also für Tumore, die sinnvoll mit Multigentests in verschiedene Risikogruppen stratifiziert werden können.
Der Aussage des IQWiG, dass die meisten Aussagen zu Nachteilen von Chemotherapien vage sind, muss widersprochen werden. Sowohl Nebenwirkungen als auch Zusatzkosten von Chemotherapie-assoziierten Gesundheitsschäden sind bekannt und wurden in anderem Zusammenhang ausführlich untersucht. Die mit Chemotherapie assoziierten schweren Gesundheitsschäden als nicht hinreichend gut beschrieben zu bezeichnen und sie dann zu ignorieren – also auf Null zu setzen -, ist unwissenschaftlich und – viel schlimmer! – praxisfremd und patientinnenfeindlich. Erst kürzlich verstarb Ursula Goldmann-Posch, die Gründerin der Selbsthilfe-Initiative Mamazone e.V., an den Spätfolgen ihrer Chemotherapie.
Welche Folgen fürchten Sie als Konsequenz aus dem IQWiG-Bericht?
Kriegsmann: Dass auch in Zukunft in Deutschland Patientinnen nicht so gezielt und gut behandelt werden wie es dem internationalen Standard entspricht. Alles in allem werden wir in Deutschland sicher viel zu viel Chemotherapie einsetzen. Nicht wenige Patientinnen werden aber vorhersehbar sterben, weil wir die Aggressivität mancher Tumore mit den Methoden, die uns derzeit zur Verfügung stehen, nicht richtig fassen können.
Wie lauten Ihre Forderungen, um negative Folgen für die Patientinnen und die sie behandelnden Ärztinnen und Ärzte zu verhindern?
Kriegsmann: Flächendeckendes Angebot der Tests durch zertifizierte Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen! Die vorliegenden Ergebnisse rechtfertigen den Einsatz von Genexpressionstests. Der Einsatz der Tests beim Mammakarzinom reduziert Chemotherapie-assoziierte Nebenwirkungen und führt letztlich auch zu einer Senkung der Therapiekosten. Diese Einsparungen können genutzt werden, um die Betreuung der Patientinnen zu optimieren, die eine aggressive Therapie benötigen. Der Bundesverband Deutscher Pathologen e.V. bietet den gesetzlichen Krankenkassen dazu integrierte Versorgungsverträge an, bis die Tests in die Regelversorgung übernommen werden.