Daten aus England zeigen: 2020 haben mehr heterosexuelle Menschen eine HIV-Diagnose erhalten als schwule und bisexuelle Männer. Foto: ©iStock.com/utah778
Daten aus England zeigen: 2020 haben mehr heterosexuelle Menschen eine HIV-Diagnose erhalten als schwule und bisexuelle Männer. Foto: ©iStock.com/utah778

Das HI-Virus endlich klein kriegen

Wenn eine klinische Studie scheitert, heißt es oft schnell: Sie war ein Fehlschlag. Das ist eigentlich falsch – wie die Vorgeschichte von HVTN 702 zeigt. Diese Studie wurde Ende 2016 gestartet und ist die erste Wirksamkeitsstudie für einen HIV-Impfstoff weltweit, nachdem die „Thailand-Studie“ vor sieben Jahren erstmals zeigen konnte, dass ein Impfstoff vorbeugend gegen HIV wirksam sein kann. Sanofi Pasteur und GlaxoSmithKline entwickelten und produzierten die Impfstoffe. Ein Interview mit dem Impfstoffforscher Dr. Jim Tartaglia, der bei Sanofi Pasteur das Projekt maßgeblich vorantreibt.

„HVTN 702“ – das Kürzel steht für eine der großen Hoffnungen im Bereich der HIV-Impfstoffforschung. Die Studie mit diesem offiziellen Code wurde im November 2016 in Südafrika gestartet – als erste große Wirksamkeitsstudie seit der renommierten „Thailand-Studie“ (Code: RV 144) vor sieben Jahren. An der Studie sollen 5.400 Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren teilnehmen. Zwei Drittel der Testpersonen werden weiblich sein, da sich in dieser Altersgruppe Frauen weitaus häufiger mit dem HI-Virus infizieren als Männer. Erste Ergebnisse werden für 2020 erwartet. Die Studie wird unter der Leitung des US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)  durchgeführt.

Die Suche nach einem HIV-Impfstoff ist lang – und sie hat die Forscher Demut gelehrt. Denn das HI-Virus bringt alles mit, was die Entwicklung eines Impfstoffs erschwert. Schon seine extreme genetische Vielfalt hat die Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Aber klinische Studien, die ihre Ziele nicht erreichen, sind nicht immer Fehlschläge, wie Jim Tartaglia beschreibt. Tartaglia arbeitet seit 1999 bei Sanofi Pasteur, ist anerkannter Experte für die Entwicklung rekombinanter, also gentechnisch hergestellter Impfstoffe und hat die Thailand-Studie entscheidend mitgeprägt. Diese gilt als Meilenstein in der HIV-Impfstoffentwicklung.

Die Forschung nach einem HIV-Impfstoff ist eine lange Geschichte, die immer wieder von Rückschlägen begleitet wurde. Was versprechen Sie sich von dem neuen Ansatz?

Dr. Jim Tartaglia: Im September 2009 haben wir etwas Entscheidendes gelernt: Ein wirksamer Impfstoff zur HIV-Prävention ist grundsätzlich möglich. Im Rahmen der Thailand-Studie zeigte der geprüfte Impfstoff eine Wirksamkeit von rund 60 Prozent ein Jahr nach der Impfung und rund 31 Prozent, dreieinhalb Jahre nach der Impfung. Diese Studie gilt als Schlüsselbeweis, dass ein Aids-Impfstoff machbar ist. Mit der neuen Studie HVTN 702 testen wir die gleiche Strategie. Allerdings wurden die Impfstoffkomponenten weiterentwickelt. Wir haben unsere ALVAC-HIV-Vakzine an den in Südafrika zirkulierenden HIV-Stamm angepasst, genau wie das auch GSK bei seiner Komponente getan hat. Außerdem wurde der Wirkstoffverstärker MF59 hinzugefügt. Wir hoffen damit, nicht nur die primäre Wirksamkeit, sondern auch die Dauer der Wirkung zu verbessern. HVTN 702 ist die Chance, das in der Thailand-Studie Gelernte zu verbessern. Schließlich ist ein sicherer und wirksamer Impfstoff entscheidend, wenn man die HIV/Aids-Epidemie beenden will. Jeder Meilenstein wie dieser ist ein Schritt in diese Richtung. Übrigens: Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Kinderlähmung hat 50 Jahre in Anspruch genommen.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Thailand-Studie RV 144 gezogen?

Tartaglia: Wir haben mit den Proben der freiwilligen Studienteilnehmer in mehr als 20 verschiedenen Tests verschiedene Typen von Immunfunktionen untersucht. Die Immunantworten derjenigen, die während der gesamten Studienzeit HIV-negativ waren, haben wir mit denen verglichen, die sich während der Studie mit dem Wildvirus infiziert haben (die Impfung selbst kann kein HIV auslösen). Über 30 Labore und mehr als 150 Wissenschaftler haben anschließend „Post-hoc-Analysen“ durchgeführt, um Risikokorrelate zu identifizieren. Sie fanden heraus, das verschiedene Typen von Antikörper-Antworten mit höheren oder niedrigen HIV-Infektionsraten korrelierten. So konnten verschiedene kausale Zusammenhänge für HIV-Infektionen identifiziert werden. HVTN 702 wurde entwickelt, um diese Risiko-Zusammenhänge zu validieren. Zusätzlich wurden Phase-I und II-Studien durchgeführt, um den Effekt von Booster-Dosen (Auffrisch-Impfungen) besser zu verstehen. Die im Mai 2016 präsentierten Daten zeigen, dass alle vorab definierten Kriterien erreicht wurden. Auch höhere Immunantworten als bei der Thailand-Studie konnten gezeigt werden: Daher die Entscheidung, mit HVTN 702 eine große Wirksamkeitsstudie durchzuführen.

Was unterscheidet HVTN 702 von anderen Studien? Wann erwarten Sie erste Ergebnisse?

Tartaglia: HVTN 702 ist zurzeit die einzige HIV-Wirksamkeitsstudie weltweit. Das Impfschema nennen wir eine „Prime-Boost-Strategie“. Der Impfstoff von Sanofi Pasteur ALVAC-HIV wird als „Primer“ geimpft – also um das Immunsystem anzuregen – und der Impfstoff von GSK mit Wirkverstärker anschließend als Booster – also als Auffrisch-Impfung, u.a. um eine möglichst lang anhaltende Wirksamkeit sicherzustellen. Erste Ergebnisse erwarten wir 2020.

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