Die Chronische Lymphatische Leukämie (CLL) ist die häufigste leukämische Erkrankung in Deutschland. Foto: © iStock.com/Dr_Microbe
Die Chronische Lymphatische Leukämie (CLL) ist die häufigste leukämische Erkrankung in Deutschland. Foto: © iStock.com/Dr_Microbe

HARMONY: Wenn Medizin auf Informatik trifft

HARMONY will die Behandlung von Blutkrebskrankheiten verbessern. Künftig sollen den Patienten effizientere Behandlungen schneller zur Verfügung stehen. Dazu setzen die Macher von HARMONY auf Datenverarbeitung im großen Stil. Mit dabei: Universitäten, klinische Zentren und sieben Pharmaunternehmen.

Bei HARMONY dreht sich alles ums Blut. Es geht um komplexe Erkrankungen mit schwer aussprechbaren Namen, wie das multiple Myelom (MM), die akute oder chronische lymphatische Leukämie (ALL, CLL) oder das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL). Gemeinsam ist ihnen, dass sie relativ selten vorkommen. „Aber eigentlich ist jede von ihnen eine hoch individuelle Erkrankung mit sehr unterschiedlichem genetischem Ursprung. Deshalb gibt es auch nicht den ‚typischen Patienten’ – eine Standardisierung ist eine echte Herausforderung“, erklärt Dr. John-Edward Butler, der bei Bayer die Beteiligung an dem europäischen Gemeinschaftsprojekt koordiniert. „Der behandelnde Arzt hat vieles zu bewerten.“

Das ist aber gerade bei seltenen Erkrankungen alles andere als einfach. Denn wenige Patienten – das bedeutet immer auch wenige Daten. Damit ist die statistische Aussagekraft geringer, das Maß an Unsicherheit höher. Deshalb will HARMONY „poolen“; die Vision: Eine behandelnde Klinik soll künftig nicht nur auf Daten aus ihrem eigenen Behandlungskosmos und Erfahrungshorizont zurückgreifen können, sondern auf die gesammelte Expertise von mehr als 40 hochqualifizierten Behandlungszentren europaweit. Behandlung im Verbund – zumindest hämatologisch wächst Europa gerade zusammen.

Vernetzung und Wissenstransfer

HARMONY setzt auf Vernetzung und Wissenstransfer. Es will neue Biomarker identifizieren mit dem Ziel, dass „der richtige Patient das richtige Medikament zur richtigen Zeit bekommt“, wie Butler das ausdrückt. Es will klinische Endpunkte definieren helfen, damit die besten Erfahrungen bei der Behandlung am Krankenbett ankommen. Auch gesundheitsökonomische Daten sollen erhoben werden. Aber in erster Linie soll eine Plattform für den Datenaustausch entwickelt werden, um die Entscheidungsfindung für Behandler zu verbessern. Klinische Forschung trifft auf Big Data.

Butler weiß, dass der Begriff „Big Data“ Schatten wirft. Er suggeriere das wahllose Sammeln großer Datenmengen und schaffe Ängste vor dem Kontrollverlust der eigenen Daten. Der Forscher versteht diese Sorgen, sagt aber auch: „Für mich ist Big Data eine intelligente und fokussierte Art der Datenverarbeitung. Es geht darum, verborgene Schätze zu heben.“ Schätze, die das Zeug haben, Patienten mit diesen schweren Erkrankungen in Zukunft besser zu behandeln. „Ob das funktioniert? Fragen Sie mich in fünf Jahren“, sagt der Chemiker – denn so lange läuft das Projekt. „Aber wir wären alle sehr überrascht, wenn es nicht so wäre.“

Ohne Netzwerke geht es nicht mehr – da sind sich alle Beteiligten einig. Diese Erkenntnis ist offenbar wichtiger als die Angst vor unübersichtlichen Strukturen – denn 51 Partner in elf europäischen Ländern mit ihren verschiedenen Rechtsordnungen und Datenschutzgesetzen müssen erstmal unter einen Hut gebracht werden. Doch das Projekt ist straff organisiert, erzählt Butler. Dafür sorge schon der Leiter des Projekts: „Prof. Hernández Rivas von der Uni Salamanca ist Kopf und Seele von HARMONY.“ Ein 20-köpfiges Steering- und ein vierköpfiges Executive Commitee sorgen dafür, dass es vorangeht. Arbeitsteilung ist das Gebot der Stunde; einzelnen Partnern werden Arbeitspakete zugewiesen, die diese selbständig abarbeiten: „Wir sind absolut überzeugt von diesem Ansatz“, so Butler. 40 Millionen Euro stehen zur Verfügung, später soll es sich selbstständig tragen. Finanziert wird HARMONY von der Innovative Medicines Initiative (IMI). Sie ist die größte europäische Initiative des privaten und öffentlichen Sektors mit dem Ziel, die Entwicklung besserer und sicherer Medikamente für Patienten zu beschleunigen. Ihre Träger sind die Europäische Union und der europäische Verband der Pharmabranche, EFPIA.

Gesucht: Die beste Medizin

Was ein Unternehmen wie Bayer dazu bringt, sich in einem Projekt wie HARMONY zu engagieren? „Zunächst einmal ist da der Zugang zu Daten über Erfolg und Misserfolg von Standardtherapien, was uns bei der Entwicklung eigener Wirkstoffe hilft“, erklärt Butler. Der Austausch ist für Butler ein „Glücksfall“. Das IMI schaffe den vertraglichen Rahmen, um mit den Projektpartnern zusammenarbeiten zu können. Von Pharmaseite sind das Celgene, Novartis, Amgen, Janssen, Menarini und Takeda. „Allein das ist ein Wert an sich, denn diese Netzwerke beschleunigen den Erkenntnisgewinn.“

Erhält ein neues Medikament eine Zulassung, stehen zunächst Daten aus den klinischen Studien zur Verfügung. In der Regel sind das doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien. HARMONY will einen Schritt weitergehen und die „Real Life Evidence“ auswerten. Darunter versteht man die Nutzung verfügbarer Daten über ein breiteres Spektrum an Patienten, als es in klinischen Studien der Fall ist. „Wir stellen wissenschaftliche Fragen. Die Antworten aber werden uns nicht immer passen“, sagt Butler – etwa, wenn sich ein Wirkstoffkandidat als Irrweg herausstellt. Für Butler wäre das trotzdem ein Gewinn: „Am Ende wollen wir alle die beste Medizin.“

Weiterführende Links:

https://www.imi.europa.eu/projects-results/project-factsheets/harmony

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