48.000 pro Jahr – So viele Menschen sterben Schätzungen zu Folge allein in den USA und Europa durch Infektionen mit resistenten Bakterien. Weltweit könnten es an die 700.000 sein. Ein Grund für die Entstehung solcher Resistenzen: der falsche Gebrauch von Antibiotika.
Eigentlich ist die Ausbildung von Resistenzen ein ganz natürlicher Vorgang – verursacht durch Mutationen. Wie bei allen Lebewesen setzt sich auch bei den Bakterien dasjenige, das unter den gegebenen Bedingungen den größten Überlebensvorteil hat, in der Evolution durch. Doch werden Antibiotika falsch – sei es bei viralen Infekten, in zu niedriger Dosierung, zu häufig oder mit falscher Einnahmedauer – eingenommen, wird die Entstehung von Resistenzen unnötigerweise begünstigt.
Bewährte Antibiotika werden wirkungslos
Das Ergebnis: Bewährte Antibiotika schlagen nicht mehr an. Schon Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, eines der ältesten verwendeten Antibiotika, erklärte 1945: „Die Zeit wird kommen, in der Penicillin von jedermann in Geschäften gekauft werden kann. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Unwissende das Penicillin in zu niedrigen Dosen verwendet. Indem er die Mikroben nun nicht tödlichen Mengen aussetzt, macht er sie resistent.“
Seine Warnung ist heute mehr als nur ein fernes Horror-Szenario. Antibiotika zählen inzwischen zu den weltweit am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte 2014 einen Bericht, in dem sie auf sehr hohe Resistenzraten bei Erregern gewöhnlicher Infektionserkrankungen in allen Regionen hinwies. Schon einfache bakterielle Erkrankungen können so unter Umständen tödlich enden. Eine moderne Gesundheitsversorgung ohne wirksame Antibiotika? Undenkbar.
Resistenzen vermeiden und bekämpfen
Daher gilt es Resistenzen möglichst zu verhindern und zu bekämpfen. Schon mit intensiveren Hygienemaßnahmen und höheren Impfquoten lassen sich Infektionen vermeiden – Antibiotika werden dann gar nicht erst notwendig. Schulungen für Ärzte und bessere Diagnostik können die falsche Anwendung der Präparate reduzieren. Doch das allein reicht nicht: Gerade, weil die Resistenzen-Bildung ein natürlicher Vorgang ist, braucht es Mechanismen, „die eine kontinuierliche Entwicklung und Einführung neuer Antibiotika sicherstellen“, erklärt der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in seinem aktuellen Positionspapier.
Bislang ist ein solcher Mechanismus nicht gefunden. Das Problem: „In den 70er und 80er Jahren schienen Infektionen beherrschbar und neue Antibiotika nicht erforderlich. Insofern konzentrierten sich die Forschungsaktivitäten auf andere Krankheitsbilder“, so der stellvertretende BPI-Hauptgeschäftsführer Norbert Gerbsch. Bei der Mehrzahl der Präparate ist daher der Patentschutz inzwischen abgelaufen; sie sind generisch, d.h. sehr preiswert verfügbar. „Mit diesen Umsätzen kann man nicht die Forschung für morgen finanzieren.“ Für die Investition in neue Antibiotika sind die wirtschaftlichen Bedingungen deshalb schwierig.
Das hatte offenbar auch der Gesetzgeber erkannt und mit dem im März 2017 verabschiedeten Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) versucht, die Erstattungssituation von Antibiotika generell zu verbessern. Wie der Gesetzestext jedoch in die Praxis umgesetzt werden soll, ist noch unklar.
So selten wie möglich einsetzen
Besonders herausfordernd ist die Situation bei den Reserve-Antibiotika. Diese sind, wie der Name schon sagt, nur als eine Art Vorrat für den äußersten Notfall gedacht. Sie kommen ausschließlich bei Patienten zum Einsatz, denen die gängigen Antibiotika nicht mehr helfen. Reserve-Antibiotika sind eine sinnvolle Strategie; sie zu entwickeln aber eine besondere wirtschaftliche Herausforderung: „Wir brauchen Wirkstoffe, die schwer zu entwickeln sind, möglichst selten und nur kurz eingesetzt werden. Dagegen stehen aber hohe Entwicklungsaufwendungen, was zu hohen Kosten führt. Dafür gibt es bislang keine guten Finanzierungsmodelle“, sagt Gerbsch. Das Ziel ist es, möglichst wenig Umsätze zu generieren. Aus derart geringen Absatzmengen lässt sich aber die Entwicklung nicht finanzieren.
Anreize schaffen
Deshalb müssen Anreize her. „So könnte zum Beispiel ein finanzieller Ausgleich für die Vorhaltung von Reserveantibiotika erfolgen“, schlägt Gerbsch vor. Auch Sonderrechte für Unternehmen, die sich in dem Bereich engagieren, wie eine zusätzliche Marktexklusivität oder ein verlängerter Schutz der Zulassungsunterlagen hält er für denkbar.
Trotz der bislang ungünstigen Marktbedingungen ist die Forschung wieder angelaufen. Im Januar 2016 schlossen sich über 80 Unternehmen und Industrieverbände aus der Pharma-, Biotech- und Diagnostika-Industrie der „Declaration on Combating Antimicrobial Resistance“ an – mit der Zusage, die Aktivitäten gegen resistente Keime auszuweiten und mit der Politik verstärkt nach Lösungen für die zunehmende Resistenzen-Bildung zu suchen. Gerbsch: „Die Entwicklungsaktivitäten haben wieder zugenommen, im laufenden Jahrzehnt ist mit der Zulassung von 18 Antibiotika in Deutschland zu rechnen.“ Der Wettlauf gegen die Biologie ist damit aber noch nicht gewonnen.
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Informationen für Patienten
Warum wirken Antibiotika immer weniger? Gibt es Hoffnung auf neue Mittel? Wie werden die „Bakterienkiller“ sachgemäß eingenommen? Diese und weitere Informationen finden sich in der Broschüre „Der Wettlauf mit den Keimen“. Herausgebracht wurde sie vom Fonds der Chemischen Indstrie im VCI – in Zusammenarbeit mit den Pharmaverbänden BPI und vfa sowie dem Bundesverband für Tiergesundheit.