Ohne sie würde kein einziger mühsam entwickelter Wirkstoff zu den Patienten kommen: Denn erst die Galeniker bringen ihn in eine gebrauchsfertige Form. Foto: © iStock.com/WanjaJacob
Ohne sie würde kein einziger mühsam entwickelter Wirkstoff zu den Patienten kommen: Denn erst die Galeniker bringen ihn in eine gebrauchsfertige Form. Foto: © iStock.com/WanjaJacob

Die Debatte neu ausrichten (Teil 3)

Wenn es um die Preise ihrer Produkte geht, stehen forschende Pharmaunternehmen unter Beschuss. Aber eine einseitig kostenfokussierte Debatte ist innovationsfeindlich – sie trifft die Patienten von morgen. Wer den Preis eines Arzneimittels beurteilt, muss sich eigentlich den gesamten Lebenszyklus eines Medikamentes ansehen: Teil 3 der Geschichte.

Exemplarisch könnte der Lebenslauf eines Arzneimittels so aussehen: Nach vielen Jahren der Forschung kommt ein neues Medikament auf den Markt: Nennen wir es X in der Indikation Y. Der pharmazeutische Unternehmer setzt seinen Preis fest. Den bekommt er in Deutschland vom ersten Tag an – nicht. Der Herstellerrabatt greift und nimmt ihm sieben Prozent ab. Innerhalb des ersten Jahres wird dann eine frühe Nutzenbewertung durchgeführt (AMNOG-Verfahren), an dessen Ende Preisverhandlungen stehen. Im Durchschnitt – es ist ein Erfahrungswert nach sieben Jahren AMNOG – reduziert sich dabei der Preis von X um weitere 20 Prozent. Unterstellen wir, dass im zweiten Jahr die Konkurrenz auf den Markt kommt. In der Regel geht dann ein Preiskampf los (es gibt Ausnahmen) – und der Preis von X setzt seine Talfahrt fort. Das gilt meist auch, wenn X durch weitere Studien belegt hat, dass es zusätzlich in einer weiteren Indikation wirksam ist – also gesamtgesellschaftlich betrachtet einen wesentlich höheren Nutzen hat als bei Zulassung.

„Was für wenige Jahre teuer erscheint, ist danach sehr lange günstig.“

Irgendwann kommt der Tag, an dem X seinen Patentschutz verliert. X kostet von heute auf morgen nur noch einen Bruchteil dessen, was es bei Markteinführung gekostet hat – steht aber der Gesellschaft noch über Jahrzehnte zur Verfügung. „Die heutigen Generika sind die innovativen Medikamente von gestern. Es gibt im Gesundheitsbereich keine anderen Ausgaben, die so routinemäßig, so dramatisch fallen“, schreibt der Mediziner Michael Rosenblatt, ein Wissenschaftler mit Harvard- und Industrie-Background. In Deutschland sind 77 Prozent der ärztlichen Verordnungen generisch (Zahlen von 2016). Die durchschnittliche Tagesdosis eines Generikums liegt bei rund 16 Cent. Kommen noch Rabattverträge obendrauf, sind es nur noch 6 Cent. Zur Erinnerung: Es geht hier nicht um „Kamelle“, sondern um hochwirksame Medikamente, die einst in den Pipelines forschender Arzneimittelhersteller erfunden wurden. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) beschreibt das so: „Was für wenige Jahre teuer erscheint, ist danach sehr lange günstig.“ Rosenblatt fragt: „Was sind die wirklichen Kosten dieser Medikamente für die Gesellschaft – der Preis am ersten Tag oder der durchschnittliche Preis über die Jahrzehnte?“

Das Prinzip mit den Generika hat außerdem einen innovationsfördernden Effekt – wenig können forschende Unternehmen besser planen, als das. Mit dem Gang zum Patentamt (übrigens Jahre vor der Zulassung) kennen sie das Ablauf-Datum. Wollen sie auch danach noch Geld verdienen, müssen sie forschen.

Teuer ist es, keine Medikamente zu haben

Eine langfristige Betrachtungsweise bedeutet auch, Ausgaben für Medikamente als Investition zu verstehen. Es ist „der Preis der Gesundheit, der zählt und nicht der Preis von Gesundheitsdienstleistungen“, so Gesundheitsökonom Tomas J. Philipson. Die meisten Innovationen treiben Arzneimittelausgaben zunächst in die Höhe; es sind hohe Investitionen und Ausgaben nötig, um Krankheiten wie Alzheimer zu bekämpfen. Nur: Teuer ist es, keine Medikamente gegen Alzheimer zu haben.

Aber es muss nicht immer gleich Alzheimer sein. Medikamente sorgen in der Regel dafür, dass sich die Gesundheit der Menschen verbessert. Ein Antibiotikum kann vor dem schweren Verlauf einer Infektion schützen, deren Behandlung viel Geld kosten würde. Die regelmäßige Einnahme von Antidiabetika, Blutdruck- oder Cholesterinsenkern hilft, Komplikationen zu vermeiden. Gerinnungshemmer können Herz- und Hirninfarkte verhindern. Impfungen schützen vor Krankheiten, bevor sie entstehen. Das Congressional Budget Office (CBO) am US-Kongress geht davon aus, dass eine einprozentige Ausgabensteigerung für Medikamente die Gesamtausgaben im Bereich des Krankenversicherungssystem Medicare so stark reduziert, dass jeder Dollar, den Medicare für Arzneimittel ausgibt, fast das Doppelte an Einsparungen in anderen Bereichen (z.B. Krankenhäuser) generiert. Das Doppelte gespart? So etwas gibt es eigentlich nur im Sommerschlussverkauf.

Bei der Bewertung von Arzneimittelpreisen kollidieren zwei Welten. 

  • Die eine denkt in „Budgetjahren“. Für diese Denke können Innovationen ein Graus sein, denn sie können sehr schnell, sehr kurzfristig zu Ausgaben-Peaks führen, die eine Budgetplanung ganz schön durcheinanderbringen können. Diese Welt ist kostenfokussiert. Die Frage ist, ob sie auch patientenorientiert ist.
  • Die andere Welt denkt in längeren Zeiträumen. Denn das Geschäftsmodell der forschenden Pharmaindustrie tickt anders. Wer im Jahr 2025 Alzheimer behandeln oder im Jahr 2030 HIV heilen will, ist schon seit Jahren dabei, etwas zu entwickeln. Dafür ist ein sehr langer Atem notwendig und ein gut gefülltes Konto: Pharmazeutische Forschung braucht eine gute finanzielle Ausstattung, denn die Medikamente von heute finanzieren die Entwicklung der Medikamente von morgen.

Auch deswegen macht die kurzfristige Betrachtung eines Preisschildes an einem neuen Medikament alles – nur wenig Sinn.

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