Eine Rentnerin aus den USA brach sich im Sommer 2016 den Oberschenkelknochen, kam ins Krankenhaus und starb dort nach einiger Zeit – ein paar Monate später war sie weltweit in den Schlagzeilen. Ursache dafür war eine Mitteilung des US-Seuchenabwehrzentrums CDC: Im Körper der Patientin war ein mulitresistenter Klebsiella-Pneumoniae-Keim gefunden worden – die Ärzte in der Klinik in Nevada hatten sie mit allen 26 Antibiotika behandelt, die zu dieser Zeit in den USA zugelassen waren. Gewirkt hatte kein einziges.
Der Fall zeigt einmal mehr, dass Antibiotikaresistenzen eine reale Gefahr sind. Das Projekt „DRIVE-AB“ der europäischen „Innovative Medicines Initative“ (IMI) suchte mehr als drei Jahre lang nach Wegen, um diese Gefahr zu bannen – zu den Projektteilnehmern zählten Universitäten, Forscher, öffentliche und gemeinnützige Einrichtungen und Pharma-Unternehmen.
Im Januar legten die Mitglieder des Projektes nun ihren Abschlussbericht vor. Darin sprechen sie vier vorrangige Empfehlungen aus – sollten sie umgesetzt werden, könnte das zu einem Durchbruch im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen führen. Allerdings hat die Sache auch einen Haken.
Das Anreiz-Ökosystem
- Vorschlag 1: Push-Funding: Akademische Einrichtungen, Unternehmen und andere Forscher sollen für Forschungsprojekte Zuschüsse erhalten, die nicht zurückgezahlt werden müssen.
- Vorschlag 2: Pipeline-Koordinatoren aus staatlichen oder gemeinnützigen Organisationen sollen Lücken in der Antibiotika-Forschung identifizieren und dazu beitragen, dass entsprechende Forschungsprojekte gestartet und finanziell und technisch unterstützt werden.
- Vorschlag 3: Markteintritts-Prämien: Für die erfolgreiche Zulassung eines neuen Antibiotikums soll es Prämien geben, deren Auszahlung und Höhe von bestimmten Kriterien abhängt, wie etwa einer nachhaltigen Verwendung und einer gerechten Verfügbarkeit.
- Vorschlag 4: Langfristiges Modell einer kontinuierlichen Versorgung: Die Bezahlung für die neuen Antibiotika erfolgt unabhängig von der abgegebenen Stückzahl – stattdessen basieren die Einnahmen der Hersteller auf dem gesellschaftlichen Wert des Antibiotikums.
Alle Vorschläge zusammen bilden ein so genanntes „Anreiz-Ökosystem“: Sie enthalten Investitionsanreize für forschende Pharma-Unternehmen, zielen aber zugleich darauf ab, neue Antibiotika gezielt und sinnvoll einzusetzen.
Wechsel beim politischen Klima
Insgesamt umfasst der Abschlussbericht 137 Seiten, auf denen die Interessen aller Beteiligten unter einen Hut gebracht werden mussten. Keine einfache Aufgabe für Projekt-Koordinator Prof. Stephan Harbarth, der am Universitätsklinikum in Genf die Abteilung für Prävention und Kontrolle von Infektionskrankheiten leitet. „Als wir vor vier Jahren anfingen, waren wir ein netter Club von Akademikern und vernünftigen Industrievertretern“, sagt er, „seither haben wir viel erreicht. Wir waren Katalysatoren für wichtige Projekte, die neu in Gang gekommen sind. Aber es hat sich eben auch die politische Gewichtung verändert, insbesondere in den USA. Insofern bin ich skeptisch, ob unsere Vorschläge in die weltpolitische Landschaft passen.“
Zu den Erfolgen des DRIVE-AB Projektes zählen neu entstandene Initiativen wie „CARB-X“ (Combating Antibiotic-Resistant Bacteria Biopharmaceutical Accelerator) an der Boston University in den USA – bereits im ersten Jahr nach seiner Gründung unterstützte CARB-X 18 Forschungsteams in sechs Ländern. „Hier läuft unsere Idee des Push-Funding, also einer Startfinanzierung, schon recht erfolgreich“, sagt Harbarth. Ähnliches gilt für die „Global Antibiotic Research and Development Partnership“ (GARDP), die im Mai 2016 ihre Arbeit in Genf aufnahm – unter Federführung der WHO und der „Drugs for Neglected Diseases Initiative“ (DNDi).
Die akademische Arbeit von DRIVE-AB trug auch dazu bei, dass 2017 beim G20-Gipfel in Hamburg über das Thema „Antibiotikaresistenzen“ gesprochen wurde – in der Folge wurde in Berlin ein „Collaboration Hub“ eingerichtet, eine globale Koordinationsplattform für die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika.
Gegenwind gegen solche weltweiten Initiativen gibt es allerdings vor allem aus den USA: „Die Amerikaner sagen generell, dass sie supranationale Strukturen derzeit nicht auf der politischen Agenda haben“, so Prof. Harbarth, „außerdem sind sie mit ihrer jetzigen Regierung gegen Eingriffe in den freien Markt.“ Da kommt der Vorschlag nicht sonderlich gut an, Geld für die Einführung eines Produktes zu bezahlen, nicht aber für das Verkaufsvolumen. Und das, obwohl sich die angestrebte Belohnung für die Markteinführung eines neuen Antibiotikums durchaus sehen lassen kann: Eine Milliarde US-Dollar schlägt DRIVE-AB vor – damit könnte sich die Zahl neuer Antibiotika in den kommenden 30 Jahren vervierfachen. „Diese eine Milliarde fanden einige Kritiker viel zu hoch, andere meinten, das sei viel zu wenig“, so Harbarth. Er selbst hält sie für angemessen, wenn man bedenkt, dass die Entwicklung eines neuen, wirklich innovativen Antibiotikums zwischen 800 Millionen und 1,5 Milliarden US-Dollar verschlingen wird.
Vorbild CERN
Trotz aller weltpolitischen Probleme hat Stephan Harbarth eine Vision: „Nach dem Vorbild der Europäischen Organisation für Kernforschung wünsche ich mir ein CERN* gegen Antibiotikaresistenz. Also eine Einrichtung, an der viele Nationen beteiligt sind und die mit genügend Mitteln ausgestattet ist.“ Dies wäre Aufgabe der Politik, aber auch die Pharma-Industrie ist gefordert: „Die Industrie war im Rahmen des Projektes sehr diskussionsbereit“, so Harbarth, „aber jetzt muss es in dieser Richtung auch weitergehen. Neben der Entwicklung neuer Antibiotika gehört dazu auch, sicherzustellen, dass Antibiotika verfügbar bleiben, solange sie wirksam sind – und das in möglichst vielen Ländern.“
Die Rentnerin aus den USA hätte übrigens gerettet werden können. Analysen zeigten im Nachhinein, dass ein bestimmtes Antibiotikum durchaus gewirkt hätte – es war in den USA allerdings nicht zugelassen.
*CERN: Weltweit größtes Forschungszentrum auf dem Gebiet der Teilchenphysik – bekannt durch seine großen Teilchenbeschleuniger zur Erforschung der Materie.