30 Gramm – mehr sind es meistens nicht. In Form eines Schmetterlings schmiegt sich die Schilddrüse unterhalb des Kehlkopfes um die Luftröhre. Gesund ist sie von außen kaum zu ertasten. Doch es sind 30 Gramm, die es in sich haben: Denn die Drüse stellt zwei wichtige Hormone her: Das T4 (Levothyroxin) und das T3 (Triiodthyronin). Dafür ist der menschliche Körper auf das Spurenelement Jod angewiesen – etwas, was er nicht selbst herstellen kann, sondern zu sich nehmen muss. Jodmangel ist oft der Auslöser für Schilddrüsenprobleme. Die Schilddrüsenhormone steuern z.B. den Eiweiß-, Fett-, Kohlehydrat- und Energiestoffwechsel, sie beeinflussen das Wachstum von Knochen und Muskelgewebe und die Entwicklung des zentralen Nervensystems. Wichtig ist das „Thyreoidea Stimulierende Hormon“ (TSH) aus der Hirnanhangsdrüse. Es steuert u.a. die T4- und T3-Ausschüttung. Ist die Schilddrüse krank, leidet der ganze Körper mit:
- Bei der Unterfunktion (Hypothyreose) stellt die Schilddrüse zu wenige oder keine Hormone her. Dies kann beispielsweise Folge einer Entzündung sein (Hashimoto-Thyreoiditis) oder einer Operation. Die Unterfunktion wird mit Schilddrüsenhormonen behandelt.
- Bei der Überfunktion (Hyperthyreose) stellt sie zu viele Hormone her. Der Grund kann Morbus Basedow sein, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Oder eine Schilddrüsenautonomie (ein so genannter „heißer“ Knoten). Behandelt wird sie in der Regel mit Thyreostatika (Medikamente zur Hemmung der Hormonproduktion), Radiojod-Therapie oder mit einer Operation.
Erkrankungen an der Schilddrüse treten häufiger auf als gedacht. Demnach leidet ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland an krankhaften Veränderungen der Schilddrüse (s. Grafik). Die Behandlung der Erkrankungen könnte besser sein. Experten gehen davon aus, dass nicht einmal jeder zweite der Patienten, die ihre Schilddrüsenvergrößerung (Struma) behandeln lassen, mit den Laborwerten im gewünschten Zielbereich sind. Und schließlich zeigt die Studie, dass Aufklärung nötig ist: Nur wer weiß, dass seine Schilddrüse erkrankt ist, kann diese auch behandeln lassen.
Eine frühzeitige Therapie kann die Entstehung bzw. das Fortschreiten dieser Krankheiten und ihrer Folgeerscheinungen eindämmen. So weiß man heute, dass langanhaltende Fehlfunktionen der Schilddrüse nicht gut fürs Herz sind. Eine Überfunktion kann z.B. Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern hervorrufen. Deshalb sollte eine Überfunktion schnellstmöglich z.B. mit Thyreostatika therapiert werden, um kardiovaskuläre Schäden zu vermeiden.
Vorbei sind die Zeiten, in denen man Schilddrüsenhormonmangel mit dem Verzehr von frischen rohen Schilddrüsen von Hammel oder Kalb behandelte – gerne auf einem Butterbrot. 1927 konnte erstmals das Schilddrüsenhormon synthetisiert werden. Erst später erkannte man den Zusammenhang zwischen Jodmangel und Schilddrüsenproblemen. Die heute verfügbaren Wirkstoffe sind bereits seit den 50er Jahren bekannt. Ihre Herstellung bleibt aber bis heute eine Herausforderung, weil nur winzigste Mengen des Wirkstoffes benötigt werden. Therapiert wird auch mit einer sogenannten Radiojod-Therapie, bei der die Patienten radioaktives Jod in Tablettenform zu sich nehmen. Damit behandeln spezialisierte Kliniken gutartige Schilddrüsenüberfunktionen und -krebs, indem krankes Schilddrüsengewebe mit Hilfe von radioaktivem Jod gezielt zerstört wird. Experten gehen davon aus, dass die Radiojod-Therapie weniger Nebenwirkungen hat als die Operation, bei der die Schilddrüse ganz oder teilweise entfernt wird und durch eine lebenslange Hormontherapie ersetzt wird.
Deutschland – Operationsland
Wenn es ums Operieren der Schilddrüse geht, ist Deutschland Spitze – ob das sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Hierzulande werden, trotz zuletzt rückläufiger Zahlen, wesentlich häufiger Schilddrüsen-OPs durchgeführt als etwa in den USA oder England. Die Gründe dafür sind nicht ganz eindeutig: Es mag an der jahrelangen Unterversorgung der Bevölkerung in Deutschland mit Jod liegen – oder vielleicht gibt es einfach zu viele Kliniken, die das anbieten? Der Schilddrüsen-Experte Professor Dr. Peter Goretzki ist der Überzeugung, dass das nicht sein muss: „Zum einen könnte eine konsequente medikamentöse Behandlung wesentlich dazu beitragen, Operationen einzusparen. Die Ergebnisse der LISA-Studie zur Therapie der Knotenstruma haben gezeigt, dass in Deutschland, das nur grenzwertig gut mit Jod versorgt ist, durch eine kombinierte L-Thyroxin/Jodid-Therapie eine deutliche Reduktion von Knotengröße und Schilddrüsenvolumen zu erreichen ist. Viele Patienten sind jedoch präoperativ nie behandelt worden.“
Es ist noch viel Aufklärung nötig. Deshalb die Schilddrüsen-Woche. Sie ist eine Aktion, die in tausenden internistischen und Hausarzt-Praxen im ganzen Land stattfindet, um das Bewusstsein für das „Schmetterlings-Organ“ zu stärken. Partner sind u.a. die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin, die Ärzte Zeitung und das Pharma-Unternehmen Sanofi.