Herr Schmitt, bis heute sind alle klinischen Versuche gescheitert, ein Medikament gegen Alzheimer zu entwickeln. Woran liegt das?
Andreas Schmitt: Auch wenn die enormen Investitionen, die bisher in die Erforschung der Alzheimer Erkrankung und deren Therapie getätigt wurden, bisher nicht zu zugelassenen krankheitsmodifizierenden Medikamenten geführt haben – viele Milliarden, die auch forschende Pharmaunternehmen investiert haben – so ist das alles nicht umsonst gewesen. Wir haben aus dem Scheitern viel gelernt – unter anderem, dass die Diagnose und damit eine mögliche Behandlung viel früher beginnen muss: Frühere Ansätze konzentrierten sich auf die Behandlung von mild-moderatem Alzheimer. Heute wissen wir: Das ist viel zu spät, da die strukturellen Hirnschäden schon viel zu weit fortgeschritten sind. Die Wirkstoffkonzepte, die wir heute verfolgen, fokussieren auf die frühe Alzheimer Erkrankung. Auch haben wir viel gelernt, was das Ziel der Wirkstoffe im Gehirn angeht, ebenso hinsichtlich der Dosierung wissen wir heute mehr: Wirkstoffe, die in der Vergangenheit enttäuschende Ergebnisse gezeitigt haben, werden jetzt mit wesentlich höherer Dosierung in Phase-III-Studien getestet. Insgesamt kann man sagen: Es gibt Grund zu Optimismus: Wir sehen heute Wirkstoffe, die erste positiven Signale in Richtung einer Krankheitsmodifikation aufzeigen.
Wie funktionieren die unterschiedlichen Ansätze im Körper?
AS: Aktuell sehe ich drei wesentliche Ansätze im fortgeschrittenen klinischen Entwicklungsstadium; sie basieren auf der Amyloid-Kaskaden-Hypothese. Beta-Amyloid ist der Name zweier spezifischer Proteine, die als Bestandteil von so genannten senilen Plaques bekannt sind. Dies sind mikroskopisch nachweisbare Ablagerungen im Gehirn, die schon sehr lange als Auslöser für Alzheimer gelten. Mit Beta-Sekretase-Hemmern wird versucht, die Synthese des Amyloid-Beta zu unterbinden. Außerdem wird an verschiedenen Anti-Amyloid-Antikörpern geforscht – mit dem Ziel der Elimination des neurotoxischen zerebralen Amyloid-Betas. Als drittes Zielmolekül investieren wir in so genannten Anti-tau Antikörper: Ihr Ziel ist die Blockade der Weiterverbreitung von neurodegenerativ wirkenden Tau-Protein (Neurofibrillen).
Wie sieht die Zukunft der Alzheimer-Behandlung aus?
AS: Hoffentlich anders als heute: Die ätiologische, klinische Diagnostik gelingt meist im späteren Stadium der Erkrankungen. Daher wurde in den letzten Jahren verstärkt nach Biomarkern geforscht, die eine frühere und zuverlässige Diagnose der Alzheimer-Erkrankung erlauben. Insbesondere durch Liquor Marker sowie in der Neurobildgebung, wie beim strukturellen MRT und beim Amyloid-PET, konnten große Fortschritte erzielt werden, die hoffen lassen, dass die Frühdiagnostik zukünftig in die Routine-Diagnostik Einzug findet.
Was hindert uns, den Diagnose-Zeitpunkt nach vorne zu verschieben?
AS: Zunächst ist es ja ganz banal so, dass ein asymptomatisches Alzheimer eben asymptomatisch ist – also nicht weiter auffällt. Will man es trotzdem diagnostizieren, muss man auch Biomarker zum Nachweis der Amyloidpathologie einsetzen, was außerhalb der forschenden Zentren aber in der Regel nicht stattfindet. Es muss jedoch klar sein, dass bisher der individuelle prognostische Wert eines positiven Amyloid-Scans im präklinischen Stadium nicht ausreichend geklärt ist und dass heute noch keine zuverlässige Aussage bezüglich des Zeitraums bis zu einer möglichen späteren klinischen Manifestation der Alzheimer-Krankheit möglich ist. Daher kann momentan eine Amyloid-Bildgebung bei kognitiv Gesunden nur im Rahmen von klinischen Studien, insbesondere zur Risikoanreicherung in dieser Population im Rahmen von Therapiestudien, als gerechtfertigt erscheinen.
Wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, dass es keine wirksame Therapie gibt?
AS: Ganz sicher. Weil eine wirksame Therapie fehlt, wird das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Frühdiagnostik mehrheitlich negativ bewertet. Die aktuelle medizinische Leitlinie zur Demenz gibt derzeit keine klaren Empfehlungen zur Frühdiagnostik.
Was müsste sich ändern?
AS: Neben der dringenden Weiterentwicklung der Frühdiagnostik sowie einer möglichen krankheitsmodifizieren Therapie, muss die Erkrankung Alzheimer entstigmatisiert werden: Es gilt das Bewusstsein zu schaffen, dass Alzheimer Jahre bis Jahrzehnte vor der Demenz diagnostiziert und dass der Krankheitsprozess auch ohne spezifische Medikation in diesem Krankheitsstadium noch beeinflusst werden kann. Ein frühes Wissen um die Erkrankung gibt den Betroffenen und ihren Angehörigen einerseits die Möglichkeit, Weichen für die Zukunft zu stellen und die weitere Lebensplanung noch möglichst lange selbstbestimmt in die Hand zu nehmen, andererseits müssen aber auch labilerer Patienten aufgefangen werden. Dazu bedarf es einer fachlich qualifizierten und ausführlichen Beratung des Patienten und Ihrer Partner. Das geht bis hin zu der Frage, ob sich ein Betroffener vorstellen kann, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Als letztes müssen wir uns in der Gesellschaft auch mit dem Thema Präventionen noch stärker auseinandersetzen.
Noch einmal zurück zu den Chancen einer wirksamen Alzheimer-Therapie: Sie bleiben also optimistisch?
AS: Auf jeden Fall – wir sehen in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte. Wir haben über Alzheimer unheimlich viel gelernt und hoffen zukünftig auch medikamentös die Progression der Erkrankung nachhaltig zu beeinflussen.