Chlamydomonas reinhardtii: So lautet der Name einer Grünalge. Was sie besonders macht? Sie verfügt über ein lichtempfindliches Protein (Kanalrhodopsin), welches es ihr ermöglicht, sich gezielt in Richtung Licht zu bewegen. So kann sie Photosynthese betreiben. Wie wertvoll ihr Molekül für die Wissenschaft und die Arzneimittelforschung ist – davon ahnt die Grünalge wohl eher nichts.
Im Jahr 2005 kopierten US-amerikanische Forscher den Teil der Algen-DNA, der die Anleitung zur Produktion des Kanalrhodopsins beinhaltet. Sie fügten ihn anschließend in bestimmte Gehirnzellen einer Maus ein. Das Ergebnis: Die Wissenschaftler konnten das Tier über Lichtimpulse gezielt im Kreis laufen lassen. Aus diesem Experiment ergaben sich wichtige Erkenntnisse – auch für die Suche nach neuen Wirkstoffen.
Zellen im Schlafmodus
Im Zuge der Arzneimittelforschung testen die Wissenschaftler von Pharmaunternehmen in einem Hochdurchsatz-Screening die Wirkung von tausenden oder gar Millionen von Substanzen auf ein Zielprotein, an das ein mögliches Medikament ansetzen soll. Lässt sich die gewünschte Interaktion beobachten, könnte die jeweilige Substanz zur Grundlage einer neuen Therapie werden.
Doch es gibt ein Problem: Oft geht ein Wirkstoff nur dann eine Bindung mit der Zelle, in der sich das Zielprotein befindet, ein, wenn sich diese in einem aktiven Zustand befindet. Ist sie im „Schlafmodus“ (passiv), funktioniert das Screening evtl. nicht. Daher braucht es am besten einen Knopf, der per sofort die untersuchten Zellen „anschaltet“.
Wirkstoff-Screening effizienter machen
Hier kommt die Grünalge ins Spiel: Ähnlich wie bei dem Maus-Experiment können die Wissenschaftler ein lichtempfindliches Molekül wie das Kanalrhodopsin in die Testzellen einbringen. Per LED-Lampe lassen sich diese nun gezielt aktivieren. Dr. Bernd Kalthof, Leiter High Throughput Screening Technologies beim Pharmaunternehmen Bayer, erläutert: „Durch die Anwendung der Optogenetik sehen wir eine Möglichkeit, die Qualität unserer Testverfahren noch einmal deutlich zu steigern. Der gezielte Einsatz von Licht erlaubt eine kontaktfreie und damit störungsfreie Kontrolle der Aktivität unserer Testzellen, die sich hinsichtlich Dauer und Intensität nun sehr genau einstellen lässt.“ Das Ergebnis: eine effizientere Wirkstoffsuche.
Noch steckt die Optogenetik in den Kinderschuhen. „Doch für uns stellt sie eine konsequente Weiterentwicklung unserer Hochdurchsatz-Screening Technologieplattform dar“, so Kalthof. Zwar werde sie die bisherigen Testverfahren nicht vollständig ersetzen, diese jedoch verbessern und erweitern. „Erste optogenetische Ansätze haben wir bereits bis in die praktische Anwendung gebracht. Weitere Methoden, die den Ansatz der Optogenetik nutzen, sind bei uns im Aufbau. Hierfür werden aber noch einige Jahre an Entwicklungszeit erforderlich sein.“
Neue Therapieansätze
Die Möglichkeit, bestimmte Vorgänge über optische Impulse an- oder ausschalten zu können, eröffnet auch in anderen Bereichen der Forschung neue Wege. Ein Beispiel: die Behandlung von Krebs. Der Nachteil der klassischen Chemotherapie ist, dass die Zytostatika auch gesunde Zellen angreifen. Wissenschaftler hoffen nun, Wirkstoffe entwickeln zu können, die sich per „Lichtschalter“ aktivieren oder deaktivieren lassen. Würde ein Tumor lokal beleuchtet werden, würden sie dann nur ihn angreifen – und alles, was im Dunkeln liegt, unberührt lassen.
Anderes Beispiel: Bei Patienten mit fortschreitenden Erkrankungen der Augen-Netzhaut sterben im Laufe des Lebens zunehmend die Fotorezeptoren, die für die Lichtwahrnehmung zuständig sind, ab. Das Sehvermögen lässt dadurch immer mehr nach – oft bis hin zur Erblindung. Mit optogenetischen Methoden könnte man – so die Idee – bestimmte Zellen im Auge lichtempfindlich machen, sodass sie die Funktion der Fotorezeptoren übernehmen.
Noch befinden sich derartige Projekte in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. „Das tatsächliche Anwendungspotential der Optogenetik jenseits spezieller Therapiegebiete, wie zum Beispiel die Behandlung degenerativer Augenerkrankungen, ist daher noch schwer einschätzbar“, kommentiert dies Kalthof.
Der Mensch ist nicht durchsichtig
Dennoch: Die Liste an Erkrankungen, die sich möglicherweise durch das gezielte Aktivieren bzw. Deaktivieren von Zellen per Licht behandeln lassen, ist lang. So wird beispielsweise auch im Bereich psychiatrischer Erkrankungen daran geforscht. Noch ist es jedoch ein weiter Weg, bis derartige Therapien beim Menschen zum Einsatz kommen können. Eine große Herausforderung ist unter anderem, dass der Mensch – man glaubt es kaum – nicht durchsichtig ist. Das bedeutet: Das Licht, das in der Optogenetik zum „Anschalten“ verwendet wird, erreicht nicht alle Zellen im Körper; es wird vom Gewebe absorbiert. Für ihr Experiment mit der Maus verwendeten die US-amerikanischen Forscher 2005 übrigens deshalb ein implantiertes Glasfaserkabel.