In Spanien müsste man leben. Behalten die Wissenschaftler um den US-Amerikaner Kyle Foreman Recht, wird das Land bis zum Jahr 2040 mit 85,8 Jahren durchschnittlicher Lebenserwartung weltweit den ersten Rang einnehmen. Überhaupt scheint die iberische Halbinsel ein gesundes Fleckchen Erde zu sein – Portugal schafft es nach der Prognose auf Platz 5 (84,5 Jahre). In den Top Ten außerdem mit dabei sind Länder wie Japan, Singapur, die Schweiz, Australien, Frankreich oder Italien. Deutschland sucht man in der Hitliste vergebens.
Die Zahlen stammen aus einer Untersuchung des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) in Seattle, die in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde. Unter dem Titel “Forecasting life expectancy, years of life lost, and all-cause and cause-specific mortality for 250 causes of death” haben die Wissenschaftler drei mögliche Szenarien gerechnet. Neben ihrem Referenzszenario gibt es außerdem ein günstiges und ein ungünstiges. Für die Autoren ist ihre Studie eine wichtige Entscheidungsgrundlage im Hinblick auf langfristige Investitionen im Gesundheitsbereich und damit eine Art Vorlage für wichtige Weichenstellungen von Gesundheitspolitik. Wie gesund wird die Welt im Jahr 2040 sein? Wie entwickelt sich die Lebenserwartung unter bestimmten Voraussetzungen? Was sind die Treiber für Gesundheit? Zur Beantwortung dieser Fragen haben sie sich 250 Todesursachen in 195 Ländern und Territorien angeschaut und bis 2040 hochgerechnet.
Die Herausforderung: die globale Gesundheit prognostizieren
Die Prognose ist ein mutiges Unterfangen. Denn dass globale Gesundheit nur bedingt in großen Zeiträumen planbar ist, zeigen folgende Beispiele: Wer hätte Anfang des Jahrtausends gedacht, dass aus der Leberinfektion Hepatitis C eine gut behandelbare Erkrankung wird? Wer hätte Anfang der 80er-Jahre eine HIV-Epidemie vorhergesagt mit seinen heute rund 36,9 Millionen Infizierten? Und wer hätte im Jahr 2000 darauf gewettet, dass – Stand 2017 – weltweit 21,7 Millionen Menschen eine antiretrovirale Therapie bekommen (Zahlen von UNAIDS)? Drei Beispiele, die auf das Prognostizieren von Gesundheit erhebliche Auswirkungen hatten – genauso wie Szenarien, die nur bedingt vorhersehbar sind: Wird es im Beobachtungszeitraum eine Impfung gegen HIV geben? Oder weitere Durchbrüche in der Krebstherapie? Oder Superviren, gegen die erstmal kein Kraut gewachsen ist? Werden die Ziele der Weltgesundheitsorganisation erreicht, die bis zum Jahr 2030 nicht nur HIV/Aids, sondern auch Hepatitis B und C eindämmen bzw. eliminieren wollen? Wie gesagt: Die Prognose von Foreman und Co. ist ein mutiges, aber eben auch kein unmögliches Unterfangen.
Denn so komplex die Welt ist – die Lebenserwartung der Weltbevölkerung wird im Wesentlichen von lediglich zwei Faktoren bestimmt. Da ist einmal CMNN – die Abkürzung steht für eine Gruppe von Krankheiten, die übertragbar (C für communicable) oder ernährungsbedingt (N für nutrition) sind; bzw. für den Tod der Mutter (M für maternal death) oder des Kindes (N für neonatal death). CMNN hat großen Einfluss auf die Lebenserwartung überall dort, wo Armut und Hunger herrscht, Gesundheitssysteme nicht existieren oder nicht funktionieren und wo Krankheitserreger leichtes Spiel haben. Der weitere bestimmende Faktor für die Lebenserwartung im globalen Kontext steht hinter dem Kürzel NCD (für non-communicable diseases). Diese nicht übertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs sind Folge des Wohlstands und auch der steigenden Lebenserwartung. Damit ist klar: CMNN definiert die Lebenserwartung in Ländern wie Afrika. Oder überall dort, wo Krieg herrscht. NCDs hingegen haben Einfluss auf Prognosen z.B. in Ländern unserer Breitengrade. Aber auch viele sich entwickelnde Länder müssen sich auf die Folgen der NCDs einstellen.
Lebenserwartung 2040: China schlägt USA
Das Ranking der Studie gibt interessante Einblicke in den Gesundheitszustand von Nationen. Beispiel China: Dort betrug die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 2016 76,3 Jahre – das bedeutet Platz 68 von 195 Ländern. Sollte sich das Gesundheitssystem so weiterentwickeln wie bisher, könnte die Lebenserwartung bis zum Jahr 2040 auf 81,9 Jahre steigen – ein Plus von mehr als fünfeinhalb Jahren. China wäre dann weltweit auf Platz 39. Anders die Entwicklung in den Vereinigten Staaten: Die heute gemessene Lebenserwartung (78,7 Jahre) wird sich laut IHME nur um 1,1 Jahre verbessern. Für die USA im Jahr 2040 bedeutet das: Rang 64.
Außer den nackten Zahlen zeigt die Untersuchung einige interessante Trends: Laut der Projektion werden die nichtübertragbaren Erkrankungen stark zunehmen – dazu gehören neben den bereits genannten auch die Lungenkrankheit COPD, Lungenkrebs und die Folgen, die mit Übergewicht und Fettleibigkeit in Verbindung gebracht werden. Studienleiter Foreman sieht hier ein großes Potenzial zur Verbesserung der globalen Gesundheit, sollten die Hauptrisikofaktoren gezielt angepackt werden: „Die Zukunft der Weltgesundheit ist nicht vorherbestimmt“, sagt er. „Ob wir signifikanten Fortschritt oder aber Stagnation sehen werden, hängt davon ab, wie gut oder wie schlecht Gesundheitssysteme die Schlüsselfaktoren für Gesundheit adressieren.“ Laut Foreman sind die Treiber, die voraussichtlich den Verlauf von frühzeitigem Tode am deutlichsten bestimmen werden, Bluthochdruck, hoher Body Mass Index, hoher Blutzucker sowie Tabak- und Alkohol-Konsum. Und an sechster Stelle: die Luftverschmutzung.
Lebenserwartung in Deutschland: Da ist Luft nach oben
In ihrem Referenzszenario geht das IHME davon aus, dass sich die Voraussetzungen für ein Mehr an Gesundheit in den Jahren bis 2040 in den allermeisten Ländern verbessern werden. Aber es sieht auch die Gefahr, dass sich die globale Gesundheit trotz des technischen und medizinischen Fortschritts insgesamt verschlechtert – einfach, weil der politische Wille fehlt. Das gilt laut Foreman vor allem für den ärmeren Teil der Welt: „Kontinuierliche technische Innovation und höhere Gesundheitsausgaben […] sind notwendig, um zu verhindern, dass Millionen von Menschen in wesentlich schlechteren Bedingungen leben, als der Rest der Welt.“
Aber eben nicht nur. Warum Deutschland trotz der hohen Qualität des Gesundheitssystems keinen Platz unter den ersten zehn schafft, darauf gibt die Untersuchung keine Antwort. Aber es gibt Hinweise: So werden im Jahr 2040 hierzulande vermutlich rund 1,3 Millionen Lebensjahre durch das Rauchen verloren gehen, aber auch Alkoholkonsum, zu hohe Werte bei Blutdruck, Blutzucker und Gesamtcholesterin, der Feinstaub und eine ungesunde Ernährung fordern in der Projektion ihren Tribut.
Die Studie liest sich wie eine fertige Agenda für den Gesundheitsminister.