„Ohne eine passende sowie frühzeitige Diagnose und Behandlung sind Krebserkrankungen im Kindesalter oftmals tödlich und es gibt – im Gegensatz zu Tumoren bei Erwachsenen – keine evidenzbasierten Screening-Programme oder Strategien der Risiko-Reduzierung, die wirksam sind, um den Ausgang zu verbessern“, schreiben die Forscher in der Studie „The global burden of childhood and adolescent cancer in 2017“.
Daher sind die politischen Entscheidungsträger gefragt, für gut funktionierende Gesundheitssysteme zu sorgen und so die Überlebensraten zu verbessern. Ihnen haben die Wissenschaftler rund um Dr. Lisa Force vom US-amerikanischen St. Jude Children’s Research Hospital nun wichtige Daten an die Hand gegeben. Zwar gab es bereits vorher Schätzungen, was die Zahl der Neuerkrankungen und die Sterblichkeit durch Krebs bei Kindern angeht – eine Analyse der Krankheitslast in Form von sogenannten DALYs (disability-adjusted life-years) jedoch nicht. Ein DALY ist gleichzusetzen mit einem „gesunden“ Lebensjahr, das aufgrund von frühzeitigem Tod, Krankheit oder Behinderung verloren wurde.
Verlorene gesunde Lebensjahre – vor allem durch Leukämien
„Krebs in der Kindheit resultierte 2017 in 11,5 Millionen DALYs weltweit“, so die Forscher in Bezug auf die Altersgruppe der unter 20-Jährigen. 97,3 Prozent davon sind Jahre, die durch Tod verlorengingen; die übrigen 2,7 Prozent wurden durch ein Leben mit Krankheit und Behinderung verursacht. Unter allen kategorisierten Krebsformen machten Leukämien den höchsten DALYs-Anteil aus – gefolgt von Tumoren an Hirn und Nervensystem. Die größte Krankheitslast traf Kinder von 0 bis vier Jahren (4,3 Millionen DALYs).
Die Studie deckte zudem eine große Ungleichheit zwischen Ländern mit einem niedrigeren und einem höheren „Socio-demographic Index“ (SDI) auf – ein Maß, das das Pro-Kopf-Einkommen, die Gesamtfertilitätsrate (bei unter 25-Jährigen) und den durchschnittlichen Bildungsstand einbezieht:
- Während Länder mit hohem und hohem-mittlerem SDI (d.h.: mit höherem Einkommen etc.) etwa 35 Prozent aller kindlichen Krebsneuerkrankungen im Jahr 2017 (147.300 von 416.500) ausmachten, entfielen nur rund 18 Prozent aller DALYs auf sie.
- Zum Vergleich: Der Anteil an den Neuerkrankungen von Ländern mit niedrigem und niedrig-mittlerem SDI lag bei 38 Prozent (159.600 Fälle) – und doch steuerten sie 60 Prozent der weltweiten DALYs bei; fast sieben Millionen verlorene gesunde Lebensjahre. Rechnet man noch die DALYs der Länder mit mittleren SDI hinzu, sieht man: Die weltweite Krankheitslast von Krebs im Kindesalter wurde 2017 zu 82 Prozent von den Regionen der untersten drei Kategorien getragen – gemeinsam kamen sie auf fast 9,5 Millionen DALYs.
Childhood Cancer – auch im Vergleich eine hohe Krankheitslast
Weltweit gilt laut der Wissenschaftler: Unter allen Tumorerkrankungen war „childhood cancer“ 2017 die sechsthäufigste Ursache für verloren gegangene gesunde Lebensjahre. Mehr DALYs verursachten nur Lungen-, Leber-, Magen-, Darm- und Brustkrebs (bei Erwachsenen). Und auch wenn man in der Betrachtung bei den Krankheiten der unter 20-Jährigen bleibt, sieht man: Krebs ist hier immer noch auf Platz neun bzgl. der Krankheitslast – nach Erkrankungen wie Malaria oder HIV, aber vor Masern oder Tuberkulose.
„Unseres Wissens nach ist dieses Papier die erste Analyse, die die weltweite Krankheitslast von Krebs in der Kindheit mithilfe von DALYs quantifiziert“, schreiben die Wissenschaftler. DALYs sind gerade in Bezug auf junge Menschen ein nützliches Maß, heißt es in der Studie. Denn wenn sie früh versterben, verlieren sie viele gesunde Lebensjahre; und wenn sie überleben, leben sie möglicherweise noch lange Zeit mit gesundheitlichen Einbußen und Behinderung. Das alles bilden DALYs ab. Die Zahl der Neuerkrankungen von 416.500 tut das nicht. Weltweit werden pro Jahr übrigens rund 18 Millionen Krebsfälle über alle Alters- und Bevölkerungsgruppen hinweg neu diagnostiziert.
Im Kampf gegen Krebs bei Kindern: frühe Diagnosen
Charles A. Stiller vom britischen „National Cancer Registration and Analysis Service“ geht davon aus, dass die Zahl der Neuerkrankungen und die Krankheitslast in Zukunft zunehmen wird – vor allem in ärmeren Ländern. „Krebs bei Kindern und Heranwachsenden ist sehr viel weniger zugänglich für Prävention als viele große Krebsarten der Erwachsenen, bei denen Risikofaktoren reduziert oder gar ausgeschaltet werden können.“ Man denke nur an das Rauchen. „Immunisierung gegen Hepatitis B hatte dort, wo das Virus endemisch ist, weniger Neuerkrankungen bei Leberkrebs zur Folge, aber der größte Effekt wird sich bei den Erwachsenen zeigen […]“, überlegt Stiller in einem Kommentar zur Studie in The Lancet Oncology. In Subsahara-Afrika könnte der Kampf gegen die HIV-Epidemie zu weniger Fällen des AIDS-assoziierten Kaposi-Sarkoms führen; und die Fortschritte bei Malaria könnten die Krankheitslast durch das Burkitt-Lymphom reduzieren.
Eine große Chance sieht Stiller in früheren Diagnosen durch ein größeres öffentliches Bewusstsein. Das würde zwar vermutlich zu einem kurzfristigen Anstieg der Krankheitslast bei Kindern und Heranwachsenden führen – einfach, weil mehr Tumore noch vor dem Alter von 20 Jahren entdeckt werden. „Insgesamt können frühe Diagnosen jedoch eine beträchtliche Reduktion der Sterblichkeit und der langfristigen Morbidität mit sich bringen“. Den größten Gewinn sieht er hier für ärmere Länder, in denen viele Krankheitsfälle erst im späten Stadium erkannt werden. Aber auch wohlhabendere Regionen können profitieren.
Benötigt werden dafür „verbesserte Einrichtungen für Diagnostik und Therapie mit universellem Zugang“, schreibt er. „Internationale Kollaboration wird eine essenzielle Komponente sein, um benötigte Kapazitäten aufzubauen. Ich hoffe, dass die aktuelle Studie dabei helfen wird, die notwenigen Verbesserungen anzuregen […]“.
Übrigens: „Kinder mit Krebs, die in Ländern mit hohem Einkommen leben, zeigen gute Behandlungserfolge; ca. 80 Prozent überleben fünf Jahre nach der Diagnose. Aber über 90 Prozent der Kinder, die jedes Jahr das Risiko haben einen Tumor zu entwickeln, leben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen“. Darauf weisen die Wissenschaftler in der Studie hin.