„Auch in Europa wird Spitzenforschung geleistet“, schreibt Janssen in einem Beitrag für das Portal „Land der Gesundheit“. Und tatsächlich: Die FAS Research-Studie zeigt am Beispiel der Onkologie, dass das Innovationspotenzial in Europa ähnlich groß wie in Asien (v.a. China) und Nordamerika (v.a. USA) ist. Demnach waren Forschungsstandorte in Europa immerhin an fast 40 Prozent aller untersuchten Krebs-Forschungsprojekte aus den Jahren 2013 bis 2018 beteiligt (s. Grafik).
Europa als Ganzes könnte also viel erreichen. Und das obwohl unter den 30 wichtigsten onkologischen Forschungsstandorten nur acht europäische Städte zu finden sind – zwei davon aus Deutschland (Platz 20: Heidelberg, Platz 29: München). Für das Ranking haben die Experten die Beteiligung der jeweiligen Standorte an über 88.000 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und klinischen Forschungsprojekten (2013-2018) unter die Lupe genommen. Die meisten „Top-Städte der Krebsforschung“ liegen demnach in Nordamerika und China.
Forschung vernetzen: von USA und China lernen
Doch das wäre gar nicht so tragisch, würde man in Europa mehr Wert auf Zusammenarbeit legen. Stattdessen ist das „europäische Eco-System […] gekennzeichnet durch dezentrale, nationale Cluster ohne genügend strategische Schnittmengen“, meint Dr. Harald Katzmair, FAS Research. Aus der Studie geht klar hervor: Der gegenseitige Austausch von England, Frankreich, Deutschland Italien und Co. ist weniger intensiv als der Austausch, den jedes dieser Länder für sich mit den USA pflegt. Die Folge: Gute Ideen und viele neue Produkte „leaken“ von Europa aus in die USA – wo sie ökonomisch verwertet werden, so Katzmair.
Das geht besser: USA und China etwa haben „dicht vernetzte, nach innen orientierte nationale Ökosysteme entwickelt“, sagt der Experte. Die USA z.B. bestehen eben nicht – wie manch einer denken mag – nur aus Harvard, Yale und dem MIT (Massachusetts), sondern aus zahlreichen hochkarätigen Forschungsinstitutionen, die miteinander einen engen Austausch pflegen.
Natürlich: Große Länder haben in dieser Hinsicht einen klaren Vorteil – denn kleine Forschungsstandorte sind eher auf internationale Zusammenarbeit angewiesen.
In den USA und China sind laut der Studie 73,7 Prozent bzw. 61,2 Prozent der onkologischen Forschungskooperationen „endogam“ – sie finden also „intern“ statt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Wert bei 37,6 Prozent; in Norwegen als Schlusslicht bei 6,3 Prozent. Die Gefahr: „ein Sogeffekt, der Ressourcen und Humankapital in die größeren Länder zieht“.
Auf Basis der Studie kritisiert Janssen, „dass es in Europa an einer Translation der Forschungsergebnisse in Wertschöpfung mangelt. Wenn die Wertschöpfung jedoch nicht hier in Deutschland und Europa stattfindet, drohen wir hier zunehmend vom medizinischen Fortschritt abgekoppelt und damit abhängig von anderen zu werden.“
Europa: schwache Forschungsverbindungen zu China
Hinzu kommt: Die USA scheinen nicht nur der Knotenpunkt weltweiter onkologischer Zusammenarbeit zu sein; sie fungieren zudem als zentrale Verbindung zwischen Europa und China. „Zwischen amerikanischen und chinesischen Wissenschaftlern gibt es einen intensiven Austausch und zahlreiche Kooperationen“, schreibt FAS Research. „Europa hat dagegen nur unter sich und zu den USA Verbindungen“.
Katzmair resümiert: „Es lässt sich nachdrücklich am Beispiel der Onkologie verdeutlichen, was Globalisierung heute bedeutet: die Entwicklung eines massiven ‚Duopols‘, das aus den USA und China besteht“. Weiter erklärt er: „Wie Europa […] zum selbstbewussten Mitspieler eines ‚Tripols‘ werden kann, ist eine der entscheidenden, vielleicht auch existenziellen Zukunftsfragen“.
Krebsforschung: ein Europa auf Augenhöhe mit den USA und China
Eine neue, besondere Herausforderung könnte dabei auch der Brexit darstellen. Laut FAS Research ist Großbritannien ein „wichtiges verbindendes Element zwischen Nordamerika und Kontinentaleuropa“. Ob das trotz Ausstieg aus der Europäischen Union weiterhin der Fall sein wird, wird sich zeigen. „Im worst case verliert Europa einen Teil seiner Verbindungen zur US-amerikanischen Forschung“.
In diesem Sinne gilt es, in Europa sowohl den internen Austausch zu verstärken als auch die Verbindungen zu Forschungszentren außerhalb des Kontinents zu intensivieren. „Stärkere Vernetzung […], mehr Translation von Forschungsergebnissen in Europa, mehr Inventionen, gesunde Ökosysteme und einen attraktiven Markt“: Das braucht es laut Janssen, um nicht zu einem „Importeur von Innovationen“ zu werden. „Ich wünsche mir ein Europa auf Augenhöhe mit den ‚Hubs‘ USA und China, damit wir gemeinsam mehr medizinischen Fortschritt erreichen und weil Patientinnen und Patienten mit Krebs auf diesen Fortschritt dringend angewiesen sind“.