Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.
Fortschritte in der Leukämie-Behandlung - die Überlebenskurven haben sich bei den akuten als auch bei den chronischen Leukämien deutlich verbessert. Logo: © Pharma Fakten e.V.

Nutzenbewertung im Zwielicht

Nach der 100. Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gibt es weiter viel Kritk am AMNOG-Verfahren.

Die Bewertungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sind maßgebend für die Preisgestaltung eines Medikaments. Mittlerweile hat der G-BA knapp 100 Arzneien überprüft und erklärt, fast die Hälfte habe bislang keinen Mehrwert für den Patienten gehabt. Doch diese Sichtweise hat das Gremium exklusiv. Denn die bei der Bewertung angewandten Methoden sind heftig umstritten. Kritik kommt nicht nur von betroffenen Pharmaunternehmen und Patientenverbänden. Auch Wissenschaftler hegen starke Zweifel an der Vorgehensweise von IQWiG und G-BA.

Keine Arznei erhielt beste Bewertung

Welchen Zusatznutzen ein neues Medikament beim AMNOG-Verfahren zugesprochen bekommt, ist bei den Preisverhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und den Arzneimittelherstellern entscheidend. Das Bewertungssystem nutzt zur Darstellung folgende Skala:

Der Zusatznutzen…

  • ist erheblich
  • ist beträchtlich
  • ist gering
  • ist nicht quantifizierbar
  • fehlt
  • geringer Nutzen

Mit „erheblich“ wäre der Bestwert erreicht. Bislang war es jedoch keiner Arznei vergönnt diese Bewertung einzuheimsen. In der Branche hält man es ohnehin für unwahrscheinlich, dass einem neuen Mittel überhaupt mal dieses Prädikat verliehen wird. Denn nicht mal eine Durchbruchstherapie wie aktuell in der Hepatitis-C-Behandlung erreichte die Höchstwertung. Lediglich für eine bestimmte Patientengruppe wurde dem Medikament ein beträchtlicher Zusatznutzen attestiert.

Das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim (BI) monierte, dass bei mehr als 90 Prozent der Subgruppen, für die der G-BA den Zusatznutzen als nicht belegt sieht, er aus rein formalen Gründen zu seinem Urteil gekommen sei. „Eingereichte Studien wurden in vielen Fällen von vorneherein als nicht bewertungsrelevant eingestuft, ohne dass die Studien im Einzelnen betrachtet wurden”, erklärte eine Unternehmenssprecherin. In den meisten Fällen lägen zwar randomisiert-kontrollierte Studien vor, doch der G-BA hätte Abweichungen in der verwendeten zweckmäßigen Vergleichstherapie, im Therapieregime oder in der untersuchten Population gesehen, die zum “formalen Scheitern” der Produkte in der frühen Nutzenbewertung führten.

Hersteller nahmen Medikamente vom deutschen Markt

Im vergangenen Jahr gab es überdies mehrere Beschwerden, weil das IQWiG Maßstäbe bei Vergleichstherapien verlangte, die nur schwer oder gar nicht zu erfüllen waren. Als Konsequenz nahmen einige Hersteller sogar ihre Arzneien vom deutschen Markt, obwohl viele Patienten ihre Produkte genutzt haben. Patientenvertreter reagierten daher mit Entsetzen auf die Nutzenbewertungen und monierten, dass nun hilfreiche Arzneien fehlten oder teurer im Ausland besorgt werden müssten.

BI nennt das Ergebnis der Bewertungen durch den Gemeinsamen Bundesauschuss “eher ernüchternd”. „Auffällig ist, dass regelhaft bei z.B. onkologischen Erkrankungen häufiger der Zusatznutzen anerkannt wird als bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes”, so eine Unternehmenssprecherin. Sorgfältig beobachtet werden müsse daher der Umgang mit der vorliegenden Evidenz bei neuen Wirkstoffen zur Behandlung chronischer Erkrankungen, bei denen zum Zeitpunkt der frühen Nutzenbewertung Langzeitdaten noch nicht vorliegen können. “Die Basis für innovative Arzneimittel sind immer die Zulassungsstudien und diese müssen den Anforderungen der Zulassungsbehörden entsprechen”, erklärte sie. Boehringer Ingelheim sieht daher vor allem die Notwendigkeit, dass die Perspektive der europäischen Zulassungsbehörde stärker und die vorhandene Evidenz zum Zulassungszeitpunkt anerkannt und entsprechend berücksichtigt werden.

Wissenschaftler kritisieren Methoden des AMNOG

Umstritten sind die Methoden des IQWiG nicht erst seit gestern. Gesundheitsökonomen haben starke Zweifel an den Methoden des Instituts. Die Vergleichstherapien sind meist Kern der Kritik. Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken selbst hat offenkundig Zweifel am Sinn dieses Systems. Denn bei den Preisverhandlungen, für die dieses Instrument einst geschaffen worden ist, spielt die Nutzenbewertung keinesfalls immer eine entscheidende Rolle. Prof. Volker Ulrich hob beim Bayerischen Pharmagipfel hervor, dass das Ausmaß des Zusatznutzens keine Auswirkungen auf den Erstattungspreis hat: „Warum machen wir das dann?“, fragte er. Ulrich fordert eine Entkopplung von Nutzenbetrachtung und Preisverhandlung. Der Nutzen der Nutzenbewertung – er ist und bleibt weiterhin heftig umstritten.

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