Pandemien gab es schon viele  aber keine traf auf eine derart digital vernetzte Welt. Verschwörungstheoretiker haben Hochkonjunktur. Doch wer Fehlinformationen verbreitet  gefährdet andere. Foto: ©iStock.com/http://www.fotogestoeber.de
Pandemien gab es schon viele aber keine traf auf eine derart digital vernetzte Welt. Verschwörungstheoretiker haben Hochkonjunktur. Doch wer Fehlinformationen verbreitet gefährdet andere. Foto: ©iStock.com/http://www.fotogestoeber.de

Verschwörungstheorien: Gefährlicher als das Virus

Pandemien gab es schon viele, aber keine traf auf eine derart digital vernetzte Welt. Das ist Segen, aber auch Fluch: Mittlerweile hat sich der Begriff der „Infodemie“ etabliert. Es entstand ein vorher nie dagewesener Strom von Informationen – oder was manche dafür halten. Doch wer Fehlinformationen verbreitet, sollte wissen: Er gefährdet die Gesundheit anderer.

Der Mann ist extra hingefahren ins Mekka der Sozialen Medien, berichtete die BBC. Im Silicon Valley traf sich Andrew Pattison, Digital Business Solutions Manager bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), mit Vertretern von Facebook, Google, Apple und Co., um über die Auswirkungen von Fake News zu sprechen. Da war die Welt fast noch in Ordnung. Lediglich eintausend Menschen waren bis dahin an den Folgen einer Covid-19-Infektion gestorben, aber schon kursierten wilde News über den Ursprung: Es musste Fledermaussuppe sein. Und könne mit Knoblauch geheilt werden. Der Glaube an die Heilkraft von Knoblauch gegen Viren muss groß sein: Das sollte schon bei HIV funktionieren.

Fehlinformationen: Schneller als das Corona-Virus

"Wir bekämpfen eine Infodemie." Foto: ©iStock.com/wildpixel
“Wir bekämpfen eine Infodemie.” Foto: ©iStock.com/wildpixel

Pattison stellte fest: „Fehlinformationen verbreiten sich schneller als das Virus.“ Bei der WHO waren sie sich einig: „Eine globale Epidemie von Fehlinformationen, die sich schnell über Social Media-Plattformen und andere Kanäle verbreitet, ist für die öffentliche Gesundheit ein ernstes Problem“, wie das Fachblatt The Lancet schrieb: „Wir bekämpfen nicht nur eine Epidemie, wir bekämpfen eine Infodemie“, formulierte es WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Die WHO hat deshalb die “Information Network for Epidemics (EPI-WIN)“ ins Leben gerufen. Das Ziel: Sich mit seriösen Informationen gegen den Tsunami einer Informationsflut zu stemmen, in der sich neben Daten auch Gerüchte und Fehlinformationen – und Angst – mischen.

„Schon im Mittelalter gab es dieses Phänomen“, sagt Sylvie Briand, die bei der WHO an dem Rezept gegen die Infodemie mitarbeitet. Wir erinnern uns: Für die Pest, die im 14. Jahrhundert in Europa wütete, waren schnell Menschen jüdischen Glaubens als Verursacher identifiziert. Geschichte wiederholt sich? In sozialen Netzwerken werden immer öfter Juden für die Ausbreitung des Corona-Virus verantwortlich gemacht. Die Welt ist 500 Jahre weiter – und kein bisschen weiser.

Verschwörung der dunklen Mächte: Bill Gates hat´s erfunden

Bill Gates. Foto: ©Gavi
Bill Gates. Foto: ©Gavi

Das Beispiel mit der Fledermaussuppe allerdings zeigt: Auch die Verbreiter von halbseidenen Informationen müssen sich offenbar erst warmlaufen. Mittlerweile gilt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Ganz vorne auf der Hitliste von Verschwörungen ist Bill Gates (s. dieser Pharma Fakten-Artikel). Er soll das Virus erfunden haben, damit er nun endlich seinen eigentlichen Plan umsetzen kann, in die Köpfe von Menschen Mikrochip-Implantate zu verpflanzen, um zu sehen, wer gegen Covid-19 getestet worden ist und wer nicht. Zu finden ist die Geschichte unter anderem in der New York Post, eine von Amerikas ältesten Boulevard-Zeitungen, die heute zur News Corporation von Rupert Murdoch gehört.

Auch die sozialen Medien sind voll damit. Merke: Eine Verschwörungstheorie muss nicht einmal logisch sein; schon die einfache Frage: „Warum sollte Gates das tun und was hätte er davon?“ funktioniert bei diesem Ammenmärchen eigentlich als Realitätscheck.

Verschwörungstheorie? Verschwörungserzählung!

Für die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die das Phänomen schon länger untersucht und gerade zusammen mit Katharina Nocun das Buch Fake Facts veröffentlicht hat, fängt es schon mit dem Begriff an. Statt von Theorien spricht sie lieber von Verschwörungserzählungen – einfach, weil der Begriff „Theorie“ eine theoretische Grundlage suggeriert. Wie diese Narrative entstehen, erklärt sie im Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). „Wir konnten in verschiedenen Studien zeigen, dass wenn Menschen einen Kontrollverlust erleben, sie stärker an Verschwörungen glauben.“ Kontrollverlust – das Gefühl kann durch individuelle Lebenskrisen entstehen, oder eben im Falle einer Pandemie. Hier paart sich Angst mit dem Gefühl von Machtlosigkeit. Die Psyche reagiert darauf, dass sie sich Kompensationsstrategien sucht, nicht per se eine schlechte Idee. „Aber es gibt halt gute und schlechte Kompensationsstrategien“, sagt sie. Der Glaube an dunkle Mächte hilft zwar dabei, das Unfassbare fassbar zu machen, befeuert aber letztlich Ängste. Pandemien sind Phasen großer Unsicherheit. Das muss man aushalten können.

Und noch einen gemeinsamen Nenner hat Pia Lamberty bei Anhängern von Verschwörungserzählungen empirisch festmachen können: „Menschen, die das Bedürfnis verspüren aus der Masse hervorzustechen, glauben auch besonders gern an Verschwörungen.“ Treiber ist ein „gesteigerter Narzissmus“, sagt sie, ein Gefühl, „es verstanden zu haben“ – im Gegensatz zu den „Schlafschafen“, wie „die Anderen“ im Netz genannt werden, die vermeintlich nichts kapiert haben.

WHO: Impfskepsis unter den Top 10 der globalen Gesundheitsrisiken

Verschwörungserzählungen machen etwas mit uns, erklärt Lamberty: „Wir wissen aus Studien, dass wenn jemand mit einer Impfverschwörung konfrontiert wurde, diese Person nachher weniger bereit ist, das eigene Kind impfen zu lassen.“ Auch hier zeigt sich, dass Verschwörungen dazu beitragen können, die Gesundheit anderer zu gefährden. Die WHO zählt deshalb „vacine hesitancy“, also die Impfskepsis, zu den „Zehn Bedrohungen für die globale Gesundheit“, die sie 2019 veröffentlicht hat.

Vernetzung ist ein Beschleuniger für Verschwörungstheorien. CC0 (Stencil)
Vernetzung ist ein Beschleuniger für Verschwörungstheorien. CC0 (Stencil)

Und das nicht, weil die Behörde bestimmte Menschengruppen diffamieren will, sondern weil falsche Wahrnehmungen kursieren, die die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte bei der Ausrottung impfpreventabler Erkrankungen gefährden: Menschen erkranken oder sterben, weil andere glauben, sie sie seien die Hüter des Wissens.

Die Vernetzung ist dabei ein Beschleuniger: Was früher am Stammtisch nach dem dritten Bier vergessen war, geht heute direkt viral. Pia Lamberty gibt aber auch zu bedenken, dass die Gegenrede dadurch einfacher geworden ist. Trotzdem glaubt sie, dass das Phänomen noch unterschätzt wird: „Verschwörungserzählungen sind Radikalisierungsbeschleuniger.“

Das Gerede von der Weltregierung

Sich gegen ein Klima von Verschwörungen zu stemmen ist eine Herausforderung. Und das nicht nur, weil es das Wesen von Verschwörungserzählungen ist, dass sie sich einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen. Sondern auch, weil es schwer ist, sich ihnen zu entziehen, wenn sich sogar Institutionen daran beteiligen, die eigentlich als unverdächtig gelten sollten. In der kürzlich von einigen Würdenträgern der katholischen Kirche veröffentlichten Aufruf „Veritas Liberavit Vos“ – von dem sich die Deutsche Bischofskonferenz distanziert hat – heißt es: „Wir haben Grund zur Annahme – gestützt auf die offiziellen Daten zur Epidemie in Bezug auf die Anzahl der Todesfälle – dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Weltbevölkerung Panik zu erzeugen.“ Dies alles sei „ein beunruhigendes Vorspiel zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht.“

Auch die Pharmaindustrie bekommt ihr Fett weg: „Wir fordern die wissenschaftliche Gemeinschaft auf, dafür zu sorgen, dass die medizinische Behandlung von Covid-19 in aufrichtiger Sorge um das Gemeinwohl gefördert und daher sorgfältigst vermieden wird, dass zweifelhafte Geschäftsinteressen die Entscheidungen der Regierungen und internationalen Behörden beeinflussen. Es ist unvernünftig, Arzneimittel, die sich als wirksam erwiesen haben und oftmals kostengünstig sind, zu ächten, um Behandlungen oder Impfstoffen Vorrang einzuräumen, die nicht so wirksam sind, aber Pharmaunternehmen höhere Gewinne garantieren.“ Medikamente, die sich als wirksam erwiesen haben? Welche sollen das denn sein?

Mehrheit vertraut Wissenschaft. CC0 (Stencil)
Mehrheit vertraut Wissenschaft. CC0 (Stencil)

Das ist im besten Sinne wirr. Und es vernachlässigt, dass es nur deshalb in einem atemberaubenden Tempo gelungen ist, über 100 Impfstoffkandidaten zu ermitteln und so viele potenzielle Medikamente zu identifizieren, weil es eine funktionierende Forschungslandschaft gibt, in der öffentliche und privat-wirtschaftlich organisierte Forschung zusammenarbeiten (s. Pharma Fakten-Kommentar).

Die gute Nachricht: Mehrheit der Deutschen vertraut der Wissenschaft

Aber es gibt gute Nachrichten. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ Ende April ergab: Das Vertrauen der Deutschen in Wissenschaft und Forschung ist vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie deutlich gestiegen:

  • Fast 90 Prozent der Bevölkerung halten die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für wichtig, um die Verbreitung von Corona in Deutschland zu verlangsamen.
  • 61 Prozent rechnen damit, dass es Forschenden in absehbarer Zeit gelingen wird, ein Medikament oder einen Impfstoff zu entwickeln, mit dem die Pandemie in den Griff zu bekommen ist.
  • 81 Prozent der Deutschen wollen, dass politische Entscheidungen im Umgang mit Corona auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.

Das Problem scheint also auch eines von Lautstärke zu sein. Und so entsteht der Eindruck, dass die Welt Kopf steht. Doch zum Glück vertraut die Mehrheit der Kraft der Wissenschaft. Auch mit Kontroversen kann die Mehrheit gut umgehen; rund zwei Drittel der Befragten teilen die Auffassung, dass Kontroversen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hilfreich sind, damit sich die richtigen Ergebnisse durchsetzen. Sie beweisen damit ein gutes Gefühl, denn genau das macht Wissenschaft aus. Man könnte fast sagen: Ohne Kontroversen keine Wissenschaft.

Verschwörungstheorien: Gefährlicher als das Virus. ©iStock.com/www.fotogestoeber.de
Verschwörungstheorien: Gefährlicher als das Virus. ©iStock.com/www.fotogestoeber.de

Im Zweifel hilft Humor. Die Satire-Webseite Postillon wartete zur viralen Internetphobie gegenüber Microsoft-Gründer Bill Gates mit dieser Meldung auf: „Endlich! Multimilliardär Bill Gates hat heute die Veröffentlichung der neuen Covid-Version angekündigt. Covid-20 soll zahlreiche neue Funktionen bieten und einige Fehler der aktuellen Version beseitigen. Wie bereits Covid-19 und dessen Vorgängermodelle Covid-2000, Covid-XP und Covid-Vista wird auch Covid-20 kostenlos erhältlich sein.“ Die Rettung ist nahe.

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