Die Beratungs- und Versorgungsangebote für trans und nicht-binäre Menschen weisen große Mängel auf – so das zentrale Ergebnis einer Studie von Deutscher Aidshilfe und Robert Koch-Institut. Foto: ©iStock.com/Devenorr
Die Beratungs- und Versorgungsangebote für trans und nicht-binäre Menschen weisen große Mängel auf – so das zentrale Ergebnis einer Studie von Deutscher Aidshilfe und Robert Koch-Institut. Foto: ©iStock.com/Devenorr

„Beratung zu sexueller Gesundheit für trans und nicht-binäre Menschen sollte wertschätzend sein“

„Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys“ – so lautet der Titel einer gemeinsamen Studie von Deutscher Aidshilfe und Robert Koch-Institut. Wir haben mit der Projektleitung Chris Spurgat von der Deutschen Aidshilfe über Ergebnisse und Schlussfolgerungen gesprochen – und darüber, was sich ändern muss, um eklatante Versorgungslücken zu schließen.

Die Deutsche Aidshilfe und das Robert Koch-Institut (RKI) haben die Ergebnisse einer Studie vorgelegt, an der trans und nicht-binäre Menschen teilgenommen haben. Worum ging es dabei?

Projektleitung Chris Spurgat von der Deutschen Aidshilfe
Projektleitung Chris Spurgat, Deutsche Aidshilfe. Foto: Deutsche Aidshilfe

Chris Spurgat: Wir wissen aus anderen Ländern, dass trans und nicht-binäre Personen besonders vulnerabel für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen sind, so genannte STIs. Doch in Deutschland wurden dazu bislang keine wissenschaftlichen Daten erhoben. Das wollten wir ändern – die Deutsche Aidshilfe und das RKI haben deshalb gemeinsam mit Community-Vertreter*innen eine Studie ins Leben gerufen, bei der es um Fragen der sexuellen Gesundheit ging. Wir haben dazu zwei verschiedene Methoden angewendet.

Welche?

Spurgat: Qualitative und quantitative Methoden. Qualitativ heißt: Die Deutsche Aidshilfe hat 59 Personen in Workshops und Interviews ausführlich über ihre Erfahrungen zu Wort kommen lassen. Den quantitativen Teil hat das RKI übernommen. Die Kolleg*innen haben gemeinsam mit Community-Vertreter*innen einen Online-Fragebogen entwickelt, den mehr als 3.000 trans und nicht-binäre Menschen beantwortet haben. 

Was genau sind trans und nicht-binäre Menschen?

Spurgat: Das sind Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Unter anderem gibt es trans-männliche und trans-weibliche Menschen. Ersteren wurde nach ihrer Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen, ihre Geschlechtsidentität ist aber männlich. Bei trans-weiblichen Menschen ist es umgekehrt – ihnen wurde das männliche Geschlecht zugewiesen, sie identifizieren sich aber als Frauen. Beide können in der geschlechtlichen Binarität von männlich und weiblich verbleiben. Es gibt aber auch Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen oder die sich im geschlechtlichen Spektrum hin und her bewegen – sie bezeichnen sich als nicht-binär oder auch gender-fluid. Dies sind nur einige Selbstbezeichnungen, die trans und nicht-binäre Menschen für sich verwenden.      

Wie wurden die Teilnehmenden an der Studie rekrutiert?

Spurgat: Wir von der Aidshilfe haben Community-Vertreter*innen angesprochen und Verbände angeschrieben. Außerdem waren wir auf Social Media aktiv – und wir haben auf unserer Homepage eine Unterseite eingerichtet, auf der Menschen Informationen zu der Studie finden und daran teilnehmen konnten. Das RKI hat unter anderem einen Aufruf zur Studien-Teilnahme getwittert – das hatte einen Shitstorm zur Folge.

Wieso das?

Transmenschen als Feindbild
Nicht-binäre Menschen identifizieren sich nicht oder nur teilweise mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht. Foto: ©iStock.com/Devenorr

Spurgat: Es gibt Menschen, die ein Feindbild brauchen – in den letzten Jahren waren das häufig Migrant*innen, jetzt sind es vermehrt auch trans und nicht-binäre Menschen. Wir werden sichtbarer in der Gesellschaft, aber das führt auch zu größeren Anfeindungen.

Wodurch genau hat das RKI den Zorn auf sich gezogen?

Spurgat: Sie haben einfach nur getwittert, dass es den Fragebogen gibt, und sie haben Menschen eingeladen, an der Studie teilzunehmen. Das war alles. In der Folge gab es neben vielen transfeindlichen Kommentaren auch über 10.000 ausgefüllte Fragebögen, von denen fast 7.000 unbrauchbar waren – etwa wegen Hasskommentaren in den Freitextfeldern oder widersprüchlichen Ankreuzmustern. Das RKI musste eine aufwändige Datenbereinigung machen, am Ende konnten dann 3.077 Fragebögen ausgewertet werden. 

Was waren die wichtigsten Ergebnisse der Studie?

Spurgat: Kurz gesagt: Medizinische Einrichtungen und Beratungsstellen zu Fragen der sexuellen Gesundheit sind nicht ausreichend auf trans und nicht-binäre Menschen vorbereitet. Wir von der Deutschen Aidshilfe haben bei den Interviews zudem Belastungs- und Empowermentfaktoren für die sexuelle Gesundheit identifiziert.

Welche sind das?

Spurgat: Zu den stärkenden Faktoren zählt eine klare Kommunikation in der Sexualität – die Menschen sprechen also zum Beispiel darüber, welche Art von Sexualität stattfinden soll und welche Körperteile beteiligt sein dürfen. Ein bestärkender Faktor ist es auch, wenn die Menschen Anschluss an eine Community halten und sich mit anderen trans und nicht-binären Personen über ihre Sexualität, aber auch in Fragen der sexuellen Gesundheit austauschen.

Und die Belastungsfaktoren?

Trans Menschen werden ausgegrenzt
Minoritäten-Stress: Wenn Menschen sich ausgegrenzt fühlen. ©iStock.com/HT-Pix

Spurgat: Dazu zählen Gewalterfahrungen oder auch so genannter Minoritäten-Stress – wenn die Menschen sich also ausgegrenzt fühlen und mit transfeindlichen Bildern zu kämpfen haben, die in der Gesellschaft verbreitet sind. Das kann sich sehr belastend auswirken, nicht nur auf die sexuelle Gesundheit, sondern ganz generell auf die Gesundheit. 

Welche Ergebnisse haben Sie am meisten überrascht?

Spurgat: Wenige. So ist es kaum verwunderlich, dass Beratungsangebote dann als positiv bewertet wurden, wenn die Beratenden selbst trans und nicht-binäre Personen waren. Es war auch keine Überraschung, dass Diskriminierungs-Erfahrungen eine Barriere für die Inanspruchnahme von weiteren Beratungen darstellen. 57 Prozent der trans- und nicht binären Befragten gaben an, Diskriminierung im Kontakt mit Behandler*innen im Gesundheitsbereich erfahren zu haben.

Welche Beispiele gibt es dafür?

Spurgat: Das fängt damit an, dass die Menschen mit dem falschen Pronomen angesprochen werden oder mit ihren alten, nicht mehr verwendeten Namen. Aber es wird auch häufig von übergriffigen Fragen berichtet, etwa, wenn aus reiner Neugier nach Geschlechtsteilen gefragt wird und diese Information für die Behandlung irrelevant ist. Die Folge ist, dass 17 Prozent der Befragten angegeben haben, wegen solcher Erfahrungen keine Beratungs- und Testangebote in Anspruch zu nehmen. Und 28 Prozent gaben an, sich nicht zu trauen, zum Test oder zur Beratung zu gehen. 

Wenn viele Ergebnisse vorhersehbar waren, welchen Nutzen hat dann die Studie?

Spurgat: Das Wissen, das wir jetzt veröffentlicht haben, ist zwar in den Communitys schon sehr lange verbreitet – aber es war eben bislang noch nicht wissenschaftlich untersucht. Das Community-Wissen wurde also erstmals wissenschaftlich belegt. Damit haben wir einen Grundstein gelegt für Anschlussprojekte, bei denen es darum geht, die Gesundheitsversorgung von trans und nicht-binären Menschen zu verbessern. Das ist auch deswegen notwendig, weil sie häufiger von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen betroffen sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. So liegt etwa die HIV-Prävalenz bei 0,7 Prozent, während es in der Gesamtbevölkerung nur 0,1 Prozent sind.

Angebote zur sexuellen Gesundheit fördern
Empfehlungen zur Verbesserung von Aidshilfen und Beratungsstellen. Foto: ©iStock.com/dusanpetkovic

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den Studienergebnissen?

Spurgat: Wir haben aus den Ergebnissen insgesamt 33 Empfehlungen abgeleitet, die wir in einem Auswertungsworkshop mit Community-Vertreter*innen diskutiert und weiter verbessert haben. Darunter sind Empfehlungen zur Verbesserung von Aidshilfen und Beratungsstellen, aber auch solche zur Entwicklung des Gesundheitssystems.

Welche dieser 33 Empfehlungen sind besonders wichtig?

Spurgat: Sie sind alle wichtig. Grundsätzlich sollte die Beratung zur sexuellen Gesundheit von einer wertschätzenden Haltung geprägt sein. Damit das gelingen kann, sollten wir dem Personal von Beratungs- und Testeinrichtungen spezifische Kenntnisse vermitteln, etwa durch Grundlagenschulungen zu trans und nicht-binären Identitäten. Im Forschungsbereich wünschen wir uns Studien, bei denen es um die medizinische Versorgung der Communitys geht. Und als Gesellschaft sollten wir deren Selbstorganisation stärken – etwa dadurch, dass Angebote zu sexueller Gesundheit in diesen Communitys gefördert werden.

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