Es trifft vor allem Menschen in ihren mittleren bis höheren Lebensjahren: Das Risiko, eine Diagnose wie Morbus Parkinson oder Alzheimer zu erhalten, steigt mit dem Alter drastisch an. Daher gehen Fachleute angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung davon aus, dass die Zahl der neurodegenerativen Krankheitsfälle „in die Höhe schnellen wird“, schreibt PhRMA in einem Bericht. „Neue Therapien braucht es heute mehr denn je“.
Das ist einfacher gesagt als getan. Neurodegenerative Erkrankungen sind wissenschaftlich gesehen eine besonders große Herausforderung. Darauf deutet das Beispiel der Alzheimer-Krankheit hin: Von 1998 bis Mai 2021 hat PhRMA 198 Arzneimittelkandidaten in klinischen Studien gezählt, die letztlich kein grünes Licht bekommen haben. „Während derselben Zeit wurden nur vier Medikamente zugelassen, um die Symptome der Erkrankung zu behandeln.“ Im Juni 2021 gab die US-amerikanische Behörde FDA das „Go“ für das erste Arzneimittel, das direkt in den Krankheitsprozess eingreifen kann und nicht nur symptomatisch wirkt. Bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA ist es in der Prüfung. Laut PhRMA sind 85 weitere Wirkstoffkandidaten gegen die Alzheimer-Krankheit in der klinischen Forschung und Entwicklung oder auf dem Weg zu einer möglichen Zulassung.
MS, SMA: Medizinischer Fortschritt
Auch in anderen Therapiegebieten tut sich einiges: PhRMA spricht zum Beispiel von „gigantischen Fortschritten“ im Bereich der Multiplen Sklerose (MS) und meint bestimmte krankheitsmodifizierende Therapien. Sie können „irreversible Schäden […] verhindern“ und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Im Pharma Fakten-Interview bestätigte jüngst Professor Dr. Andreas Schmitt, Medizinischer Direktor beim Biotech-Unternehmen Biogen: „Dank moderner Therapieoptionen brauchen Patientinnen und Patienten keine Angst mehr vor dem Rollstuhl zu haben, denn die Krankheitsaktivität kann unter kontinuierlicher Therapie weitestgehend ausgebremst werden. Das ist ein Riesenunterschied zu früher – und das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung.“ Laut PhRMA sind nun 33 weitere Wirkstoffkandidaten gegen MS in den Firmen-Pipelines. Denn noch lässt sich die Krankheitsaktivität „nicht komplett eliminieren“ und manche Betroffene sprechen nicht oder nicht ausreichend auf die verfügbaren Therapieoptionen an.
Einen großen Sprung hat auch die Behandlung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) gemacht – innerhalb kürzester Zeit ging es von null Medikamenten auf drei verfügbare Optionen. Kinder, die von der schwersten Verlaufsform betroffen sind, erreichen ohne Therapie meist nicht die ersten motorischen Entwicklungsschritte und werden in der Regel maximal 24 Monate alt. Vor rund fünf Jahren gelang ein Durchbruch: Das erste Arzneimittel wurde gegen die schwere Erkrankung zugelassen. Ab da ging es Schlag auf Schlag: Es folgten eine Gentherapie sowie ein Medikament, das oral von Zuhause aus genommen werden kann. Weitere Kandidaten sind in der Entwicklung (s. Grafik: „Erbkrankheiten“).
Neurodegenerative Erkrankungen verstehen
„Viele der 261 sich in der Entwicklung befindlichen Arzneimittel repräsentieren das wachsende Verständnis von den zugrundeliegenden Mechanismen der Neurodegeneration“, meint PhRMA. Das heißt: Das Wissen, wie und warum Nervenzellen bei den betroffenen Patient:innen Schädigungen erfahren, nimmt zu. Es ist die Grundlage für medizinischen Fortschritt: Denn das macht es möglich, „neue Wege und wissenschaftliche Ansätze zu erforschen, um diese komplexen Erkrankungen zu behandeln.“ So ist heute zum Beispiel bekannt, dass das Protein „Semaphorin 4D (SEMA4D)“ eine entscheidende Rolle in den Entzündungsprozessen der Huntington-Krankheit spielt. Die tödliche Huntington-Krankheit „führt zum Versagen der Nervenzellen im Gehirn“, so PhRMA. Wissenschaftler:innen arbeiten unter anderem an einem Medikament, das an SEMA4D bindet und dessen Aktivität hemmt. Die Hoffnung ist, dass es so den Untergang der Nervenzellen verlangsamen oder verhindern kann.