Multiple Sklerose: Eine Krankheit ausbremsen

Noch vor 20 Jahren undenkbar: Ein breites Angebot unterschiedlicher Arzneimittel macht es heute möglich, die Krankheitsaktivität bei Multipler Sklerose (MS) auszubremsen. Bei MS greift das fehlgesteuerte Immunsystem die körpereigenen Nervenzellen an. Dies kann unter anderem zu Lähmungserscheinungen, zu Taubheitsgefühlen oder Sehstörungen führen. Die Ausprägungen und Beschwerden sind jedoch sehr unterschiedlich, weshalb oft die Rede von der „Krankheit der 1000 Gesichter“ ist. Im Rahmen der Serie „Medizinische Zeitreisen“ wirft Professor Dr. Andreas Schmitt, Neurologe und Medizinischer Direktor beim Biotech-Unternehmen Biogen, einen Blick auf Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der MS-Behandlung.
Professor Dr. Andreas Schmitt, Neurologe. Foto: ©mjfotografie.de / Michael Jäger
Professor Dr. Andreas Schmitt, Neurologe. Foto: ©mjfotografie.de / Michael Jäger

Wo stehen wir HEUTE bei der Therapie von MS?

Prof. Dr. Andreas Schmitt: Dank moderner Therapieoptionen brauchen Patientinnen und Patienten keine Angst mehr vor dem Rollstuhl zu haben, denn die Krankheitsaktivität kann unter kontinuierlicher Therapie weitestgehend ausgebremst werden. Das ist ein Riesenunterschied zu früher – und das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung. Das erlaubt es uns, individueller als früher zu therapieren und auch persönliche Bedürfnisse zu berücksichtigen: Ist der Betroffene beruflich eingespannt oder viel auf Reisen, möchte er nicht jeden Tag an seine Therapie denken oder einen Tag lang verhindert sein, weil eine Infusion ansteht. Wir forschen daher nicht nur an neuen Therapiemöglichkeiten, sondern entwickeln auch bewährte Präparate weiter; etwa, wenn es darum geht, die Anwendungsform zu verbessern.

Aber unser Anspruch geht darüber hinaus. Die MS ist eine komplexe und sich sehr individuell manifestierende Erkrankung. Deshalb ist es uns wichtig, neben der medikamentösen Therapie, die Patienten über die Therapie hinaus auch im Alltag zu unterstützen. Das ist zum Beispiel durch digitale Anwendungen möglich, die nachweislich dazu beitragen, dass Betroffene ihre Krankheit besser managen können. Nur ein aufgeklärter, selbstbestimmter Patient kann gut mit seiner Erkrankung umgehen. Leider ist die MS bis heute nicht heilbar.

Wie war die MS-Behandlung GESTERN bzw. in der Vergangenheit?

Schmitt: Als ich als junger Arzt anfing, gab es im Wesentlichen nur Cortison und Zytostatika. Dann wurden vor über 20 Jahren die ersten krankheitsmodifizierenden MS-Präparate zugelassen; die so genannten Interferone. Sie haben sich bewährt und haben auch heute noch ihren Stellenwert bei milden oder moderaten Verläufen. Viele Patienten, die mit Interferon behandelt werden, sind seit Jahrzehnten stabil. Einige Interferone wurden weiterentwickelt, um sie noch besser an die Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen. So ist es gelungen, die Anwendungsintervalle zu verlängern und auch Hautreaktionen zu vermindern. Später kamen die ersten hochwirksamen Antikörper zur intravenösen Gabe hinzu. Damit konnte nicht nur die Krankheitsprogression eingedämmt, sondern sogar erstmals die Freiheit von Krankheitsaktivität erreicht werden – mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf die motorischen Funktionen und die Lebensqualität.

Werfen wir einen Blick auf das ÜBERMORGEN: Wie könnte die Zukunft der MS-Behandlung aussehen?

Schmitt: Kaum ein Indikationsgebiet unterliegt einem so schnellen Wandel wie das der Neurologie. In den Pipelines forschender Pharmaunternehmen sind etliche Wirkstoffkandidaten in der Erforschung, um die MS immer besser behandeln zu können. Wir setzen dabei auch auf das Potenzial digitaler Innovationen, die eine gezieltere Diagnose, Behandlung und Therapiesteuerung möglich machen können. Besonders im Bereich der MS bieten digitale Innovationen neue Chancen für eine stärker personalisierte Behandlung. Dabei haben digitale Biomarker ein großes Potenzial, also Gesundheitsparameter, die etwa durch Wearables mobil überall aufgenommen und überwacht werden können. Smart Devices können mittlerweile eingesetzt werden, um Verläufe noch feiner zu überwachen und zu kontrollieren.

Es sind solche Daten, die die Entwicklung selbstlernender Systeme möglich machen – Stichwort: Künstliche Intelligenz – um die klassische neurologische Untersuchung zu verbessern. Das alles erlaubt es uns, immer mehr über diese Erkrankung zu lernen – was wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass wir im Kampf gegen die MS immer besser werden können.

Weitere Artikel aus der Serie „Medizinische Zeitreisen: Heute – Gestern – Übermorgen“ lesen Sie hier.

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