Impfgipfel 2021: In Berlin diskutierten Gesundheitsfachleute darüber  wie sich nach der Coronapandemie bessere Impfstrategien entwickeln und umsetzen lassen. Foto: ©iStock.com/FotoDuets
Impfgipfel 2021: In Berlin diskutierten Gesundheitsfachleute darüber wie sich nach der Coronapandemie bessere Impfstrategien entwickeln und umsetzen lassen. Foto: ©iStock.com/FotoDuets

7 Vorschläge für bessere Impfquoten

Marathon-Sitzung beim „Tagesspiegel“ in Berlin: Rund zweieinhalb Stunden lang diskutierten Fachleute aus dem Gesundheitswesen über „Lehren aus der Pandemie“. Im Fokus stand die damit verbundene Frage: „Brauchen wir bessere Impfstrategien?“ Und vor allem: Wie können solche Strategien aussehen und umgesetzt werden – vielleicht auch mit digitaler Unterstützung? Die gute Nachricht: Der „Impfgipfel 2021“ konnte tatsächlich mit konkreten Ideen und Vorschlägen aufwarten – allerdings müssen sie jetzt noch umgesetzt werden.
Klaus Holetschek. Foto: Roland Schraut, RS-Photo (CSU Landtag)
Klaus Holetschek. Foto: Roland Schraut, RS-Photo (CSU Landtag)

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek brachte es in seiner Eröffnungsrede gleich auf den Punkt: „Impfungen sind der Weg aus der Pandemie.“ Bis Anfang Oktober seien in Deutschland 54 Millionen Menschen gegen das Coronavirus geimpft worden. Doch eigentlich sollten es deutlich mehr sein.

Und SARS-CoV-2 sei nicht das einzige Virus, gegen das geimpft werden könne: Impfungen gegen Grippe und HPV – also gegen bestimmte Humane Papillomviren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen können – seien ebenfalls wichtig, ebenso die FSME-Impfung gegen durch Zeckenstiche verursachte Hirnhautentzündungen.

Doch wie lässt sich der Schwung aus der Corona-Pandemie nutzen, wie lassen sich Impfbereitschaft und Impfquoten generell steigern? Dazu kristallisierten sich im Laufe der Diskussionen sieben konkrete Vorschläge heraus:

Foto: ©iStock.com/caughtinthe
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  • Prävention stärken – und zwar gemeinsam. Heidrun Thaiss, Honorarprofessorin an der TU München und bis Anfang 2021 Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), engagiert sich im „Nationalen Aktionsbündnis Impfen“, an dem sich unter anderem der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, die Ständige Impfkommission (STIKO) und der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) beteiligen. „Wir wollen Kräfte bündeln und konkrete Vorschläge unterbreiten“, so Thaiss. Es gebe einen „Code of Conduct“, einen Verhaltenskodex, „den jede beteiligte Institution durch „eine Maßnahme ergänzt, die verbindlich umgesetzt wird.“ Erreicht werden soll damit, „dass die Menschen mehr über Impfungen wissen“ – über Wirkungen und Nebenwirkungen, aber auch über die Risiken der Krankheit, gegen die geimpft wird. Und wie genau könnte das gehen? Ideen dazu gibt es viele, etwa „Impfaktionen in Schulen und Betrieben“, „Aktionswochen zum Impfen“ oder auch gezielte Impfaktionen in Freizeit-, Pflege- oder Bildungseinrichtungen.
  • Impfungen in Apotheken ermöglichen. Für diesen Vorschlag machte sich Mathias Arnold stark, Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Er betonte, dass über die Apotheken auch Menschen erreicht werden könnten, die eher selten eine ärztliche Praxis aufsuchen – darunter zum Beispiel „junge Männer zwischen 20 und 40, die sich wenig um ihre Gesundheit kümmern.“ Studien hätten gezeigt: „Wir nehmen den Arztpraxen nichts weg, denn wir erreichen andere Gruppen.“ CDU-Politiker Erwin Rüddel, derzeit noch Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages, unterstützte diesen Vorschlag: „Ich bin ein Förderer der Idee, dass Grippe-Impfungen auch in Apotheken durchgeführt werden.“ Unklar blieb, weshalb diese Idee – von Modellprojekten abgesehen – bislang nicht umgesetzt wurde.
  • Klare Kommunikation. Der STIKO-Vorsitzende Prof. Thomas Mertens betonte: „Wir müssen lernen, mit einer Stimme zu sprechen.“ Es sei wenig hilfreich, wenn ständig unterschiedliche Meinungen geäußert und diskutiert würden. Sondern: „Wir müssen Evidenz schaffen und auf dieser Basis Empfehlungen geben.“ Mertens wehrte sich zugleich gegen Versuche, „die Unabhängigkeit der STIKO zu beschneiden“. Nicht zuletzt auch deswegen, weil viele Menschen bei ihrer Impfentscheidung auf die Empfehlungen der STIKO als unabhängiges wissenschaftliches Gremium vertrauen.
  • Die Forschungs- und Produktionsfähigkeit der Industrie stärken und Vorbereitungen gegen künftige Pandemien treffen. Dies schlug vfa-Präsident Han Steutel vor und betonte, dass insbesondere die Datenversorgung verbessert und Bürokratie abgebaut werden muss. Aber auch mit der „Pandemic prepardness“, also einer Vorbereitung auf mögliche Pandemien, müsse endlich „ernst gemacht“ werden. „Wir brauchen eine zuverlässige Planung und wir müssen schneller werden“, so Steutel, „aber ich glaube, dass die Politik das verstanden hat.“ Steutel bot an, „mit der Politik ins Gespräch zu gehen – wir können an einem Nachmittag klären, was gemacht werden muss.“
  • Den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) stärken. Dr. Ute Teichert, Bundesvorsitzende der Ärztinnen und Ärzte des ÖGD, erinnerte daran, dass bei der Schluckimpfung gegen die Kinderlähmung „die Gesundheitsämter noch aktiv beteiligt waren.“ Damals kamen die Kinder in der Schulturnhalle zusammen und wurden dort geimpft, ebenso bei der Pockenimpfung. Lange her. Heute gehe es darum, wieder „Impfberatung und Impfungen in den Gesundheitsämtern anzubieten“ und die Kontakte des ÖGD zu nutzen. „Wir erreichen Kitas, Schulen, aber auch Beratungsstellen, etwa für Obdachlose oder für Menschen mit psychischen Problemen.“ Dort könne der ÖGD überall tätig werden – allerdings nur, „wenn Strukturen dafür geschaffen werden“ und der ÖGD personell gut ausgestattet ist.
  • Medizinische Ausbildung verbessern. Thomas Mertens verwies darauf, dass es für angehende Mediziner:innen „kein Ausbildungspaket Impfen“ gebe. Das müsse sich ändern. Das Thema „Impfen“ müsse ein fester Bestandteil der studentischen Ausbildung werden, ebenso in der Weiterbildung, forderte auch Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
  • Digitalisierung vorantreiben und Impfregister einführen. Seit Anfang des Jahres gibt es eine elektronische Patientenakte, die allerdings bis Mai erst von 0,2 Prozent der Patient:innen genutzt wurde. Und auch sonst „finden wir den Megatrend Digitalisierung in der ambulanten Versorgung noch nicht“, erklärte Thomas Müller, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Einen möglichen Grund dafür nannte Thomas Fischbach: „Es gibt die Sorge, dass alles sehr kompliziert und Bürokratie-lastig wird.“ Digitale Anwendungen wie der für 2022 geplante elektronische Impfpass müssten „fluppen“. Wenn er schnell und einfach zu handhaben sei, dann könne ein solcher Impfpass viel bewirken. „Wir fragen ja als Kinderärzte auch den Impfstatus der Eltern ab“, so Fischbach, „und dabei sehen wir: Zumindest bei den Vätern hat mindestens ein Drittel keinen Impfpass mehr – bei einem e-Impfausweis wären die Daten verfügbar.“ Hilfreich wäre auch ein elektronisches Impfregister wie es in den skandinavischen Ländern schon längst eingeführt wurde. „Jede Impfung wird dort erfasst“, so Thomas Mertens, „man kann Wirksamkeit und Nebenwirkungen viel besser untersuchen“ – und sie dann auch kommunizieren, was wiederum die Impfbereitschaft stärken könnte.
Impfen: Prävention muss in den Mittelpunkt. Foto: ©iStock.com/FotoDuets
Impfen: Prävention muss in den Mittelpunkt. Foto: ©iStock.com/FotoDuets

Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff fasste am Ende des Impfgipfels 2021 als Moderator die Lehren aus der Pandemie zusammen: „Alle müssen es gemeinsam vorantreiben, Prävention muss in den Mittelpunkt. Wir müssen Wege für Projekte ebnen, den ÖGD stärken, digitale Formate entwickeln und sie einfach handhabbar machen.“

Kurzum: Es gibt viele gute Ideen, von denen bis zum nächsten Impfgipfel einige bereits umgesetzt sein sollen. Bleibt zu hoffen, dass die Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung dazu einen entscheidenden Beitrag leistet.

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