Bei der Vorstellung des Arzneimittel-Atlas 2014, den das IGES-Institut im Auftrag des vfa erstellt, hatte Studienleiter Prof. Bernhard Häussler Verschreibungsquoten für 13 patentgeschützte Präparate vorgelegt. Die Quote sagt aus, wie viel Prozent der Patienten, die von dem jeweiligen Medikament einen Zusatznutzen haben, dieses auch verschrieben wurde. Nur zwei der Arzneimittel erreichten 50 Prozent dieser Patienten. Bei fünf Arzneimitteln lag die Versorgungsquote sogar nur im einstelligen Bereich, darunter auch Präparate, denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen „beträchtlichen Zusatznutzen“ bescheinigt hatte.
vfa warnt vor einer Innovationsbremse
„Das liegt vor allem an der Angst der Ärzte vor Regressforderungen durch die Krankenkassen“, betonte vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. „Die Kostenfixierung im Gesundheitssystem wird so zur Innovationsbremse.“ Leidtragende seien die Patienten, die nur eingeschränkt Zugang zu innovativen Therapien erhielten.
Der GKV-Spitzenverband bestreitet auf Anfrage von Pharma Fakten, dass die Kassen Druck auf die Ärzte ausüben. „Wir haben ein Interesse daran, dass die Arzneimittelversorgung wirtschaftlich erfolgt. Deshalb gibt es Richtgrößen, die aber nicht mit einem strikten Budget verwechselt werden dürfen“, sagt Verbandssprecher Roland Stahl. „Was medizinisch notwendig und angemessen ist, wird bezahlt.”
Kassen halten Versorgungsquote nicht für sinnvolle Messgröße
Den Vorwurf, die Krankenkassen würden über diese Richtgrößen Einfluss nehmen, um Patienten kostspielige Präparate vorzuenthalten, nennt Stahl „ausgemachten Unsinn“. Ohnehin seien Versorgungsquoten keine sinnvollen Messgrößen: „Es kann nicht um abstrakte Quoten gehen, sondern nur um die passgenaue Versorgung, die sich am Individuum orientiert und nicht an Renditeerwartungen der Pharmaunternehmen.”
Die Versorgungsquote allerdings ist keine Erfindung der Pharmaindustrie, sondern des G-BA. Der hat als Zielvorgabe für innovative Arzneimittel eine Versorgung von 100 Prozent der Patienten, die von diesem Arzneimittel einen Zusatznutzen haben, gesetzt. Eine Vorgabe, die selbst der vfa als sehr ambitioniert bezeichnet.
Die Ärzte sehen Regresse als Problem
Mitten in diesem Widerstreit von Pharmaindustrie und Kassen stehen die Ärzte. Die sollten sich in ihren Entscheidungen nur nach dem Wohl des Patienten richten. Um das zu gewährleisten, sind sie allerdings auf die Finanzierung durch die Krankenkassen genauso angewiesen wie auf die Innovationen der Pharmaindustrie.
Entsprechend defensiv fällt die Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu dieser Streitfrage aus: „Diese Frage kann ich allgemein nicht beantworten“, sagt KBV-Sprecher Roland Stahl auf Nachfrage von Pharma Fakten. Er fügt jedoch hinzu: „Zweifelsohne aber stellt die Sorge vor Regressen ein Hindernis dar.“ Allerdings bekämen die Ärzte Rückhalt durch den Gesetzgeber, der das Prinzip „Beratung vor Regress“ deutlich gestärkt habe. „Ärzte können sich bei ihren Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) beraten lassen.“ Nach seiner Erfahrung werde dieses Angebot auch rege wahrgenommen.
Zu einer Verbesserung der Versorgungsquote könne vor allem eine transparente und neutrale Information über neue Wirkstoffe beitragen, sagt Stahl. „Da gibt es einige, beispielsweise von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft oder auch seitens der KVen und der KBV.“ Wo die Information auf diese Weise gesichert ist, treten allerdings die Ängste vor Regressen wieder in den Vordergrund. Die Frage der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln wird daher auch vor dem Hintergrund der Diskussion um die neuen Hepatitis-C-Medikamente ((Link zu unserem Artikel)) nicht an ihrer Brisanz verlieren.